Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Eine Gaswolke auf dem Weg ins Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße
Das Galaktische Zentrum – ein einzigartiges Labor für Astrophysik
Das Zentrum der Milchstraße ist ein Glücksfall für die Astronomie. In rund 8.200 parsec (27.000 Lichtjahren) Entfernung beherbergt es das nächste superschwere Schwarze Loch, SgrA* genannt. Andere „nahe“ Galaxienkerne sind rund 100 bis 1.000 Mal weiter entfernt. Unser galaktisches Zentrum erlaubt es deswegen, die astrophysikalischen Prozesse um ein schweres Schwarzes Loch in unübertreffbarer Genauigkeit zu beobachten [1]. Mit einem modernen Großteleskop kann man die einzelnen Sterne selbst in der unmittelbaren Umgebung von SgrA* auflösen.
Dazu muss man im Infraroten beobachten, bei Wellenlängen zwischen 1 μm und 4 μm. In diesem Bereich wird das Licht kaum mehr durch den interstellaren Staub absorbiert, der eine direkte Beobachtung im optischen Licht unmöglich macht. Diese Wellenlängen sind aber noch nahe genug am Optischen, sodass man weiterhin hauptsächlich die Planck-Strahlung der Sterne erfasst. Außerdem kann man vorhandene Teleskope verwenden, wenn auch mit speziellen Infrarotkameras.
Die Sterndichte im galaktischen Zentrum ist sehr hoch. In einem Raumbereich, in dem sich in der Sonnenumgebung nur wenige Sterne befinden, tummeln sich dort Tausende von Sternen. Deswegen benötigt man Teleskope, die eine hohe Auflösung erreichen, denn sonst könnte man die Sterne nicht voneinander trennen. Die Begrenzung der Auflösung für erdgebundene Teleskope ist dabei primär durch die irdische Atmosphäre gegeben – und erst sekundär durch die Teleskopgröße. Die Lufthülle verändert sich laufend, und damit auch der genaue Weg, den Licht durch das (wenn auch schwach) brechende Medium Luft nimmt. Die Bilder verwaschen so und die Abbildungsschärfe ist auf rund 1 Bogensekunde begrenzt. Einen Ausweg bietet eine clevere Technik, die die Unschärfe korrigiert: Adaptive Optik. Ein Spiegel im Strahlengang wird dabei mehrere hundertmal pro Sekunde so verformt, dass er optisch genau die Wirkung der Atmosphäre korrigiert. Dadurch wird die Abbildung auf dem Detektor scharf und das Teleskop kann beugungsbegrenzte Bilder erzeugen.
Unsere Gruppe verwendet seit nunmehr 20 Jahren solche hochauflösenden Infrarotbeobachtungen um das Zentrum der Milchstraße ins Visier zu nehmen. Es ist ein überaus erfolgreiches Projekt, das viele überraschende Entdeckungen hervorgebracht hat. Das wichtigste Ergebnis ist zweifellos der Nachweis, dass die kompakte Radioquelle SgrA* eine Masse von rund 4 Millionen Sonnenmassen hat – und damit ein Schwarzes Loch ist. In keinem anderen Fall sind sich Astronomen so sicher, dass sie tatsächlich ein Schwarzes Loch beobachten. Der Nachweis gelang durch die Beobachtung von einzelnen Sternumlaufbahnen. Wie die Planeten um die Sonne kreisen, so umrunden die Sterne das Schwarze Loch. Mithilfe des Newton'schen Gravitationsgesetzes kann man daraus die Masse der Schwerkraftquelle berechnen. Eine andere Überraschung war die Entdeckung von Strahlungsausbrüchen des Schwarzen Lochs, sogenannten Flares. Einige Mal am Tag steigert das ansonsten im Infraroten unsichtbare Schwarze Loch seine Helligkeit soweit, dass es immerhin so hell leuchtet wie die Sterne in seiner Umgebung. Die Flares entstehen vermutlich direkt am Ereignishorizont des Schwarzen Lochs, durch einen Prozess ähnlich dem, der Flares auf der Sonne verursacht: Durch einen magnetischen Kurzschluss, der lokal das Plasma soweit erhitzt, dass es bis ins Infrarote hinein strahlt.
Eine Gaswolke auf dem Weg zum Schwarzen Loch
Auch 2011 ist uns eine unerwartete Entdeckung geglückt [2,3]. Wir untersuchten systematisch Bilder, die bei 3,8 μm Wellenlänge aufgenommen wurden. Eigentlich sind diese Bilder aufgrund der relativ großen Wellenlänge nicht die schärfsten, die man erhalten kann. Unter ungünstigen Wetterbedingungen muss man jedoch diese Wellenlänge verwenden, da die adaptive Optik hier stabiler funktioniert. Bei 3,8 μm sieht man auch kühlere Objekte als Sterne. Der mit dem Gas vermischte Staub zeichnet so die Gasstrukturen im Zentrum der Milchstraße nach (Abb. 1(a)).
In der Zusammenschau der Daten der letzten zehn Jahre war eine kompakte Quelle auffällig, die sich rasch auf SgrA* zubewegt, jedoch kein Stern zu sein schien, da wir sie bei kürzeren Wellenlängen nicht entdecken konnten (Abb. 1(b)). Die Bewegung war nicht geradlinig, sondern gekrümmt, was ein eindeutiges Zeichen dafür ist, dass die Schwerkraft des Schwarzen Lochs auf das Objekt einwirkt.
Die Quelle konnte auch in den spektroskopischen Daten entdecket werden. In diesem Fall spielt das am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) entworfene und gebaute Instrument SINFONI [4] seine Stärken voll aus, da man Spektren für ein ganzes Bildfeld erhält und nicht nur entlang eines eindimensionalen Spaltes. Die Quelle konnte in den SINFONI Daten als kompakte Emission in einer Rekombinationsline des Wasserstoffs gesehen werden. Damit war klar, dass es sich um eine Gaswolke mit eingelagertem Staub handelt. Aus der Helligkeit der Linie ergab sich eine Masse von rund drei Erdmassen. Ebenso konnte aus der Lage der Linie die Radialgeschwindigkeit bestimmt werden, die mit über 1.000 km/s ähnlich hoch ist, wie für die Sterne, die das Schwarze Loch eng umkreisen. Da ähnliche Daten aus den Jahren 2004, 2008 und 2011 bekannt waren, konnte man sogar sehen, wie die Geschwindigkeit stetig zugenommen hatte. Damit ließ sich ein wohl definierter Orbit bestimmen (Abb. 2).
Demnach fliegt die Wolke auf einer sehr exzentrischen Bahn fast direkt auf SgrA* zu und wird den tiefsten Punkt bereits im Herbst 2013 erreichen, in einem Abstand von nur rund 2.000 mal der Größe des Schwarzen Lochs. Das ist sehr nahe und vergleichbar mit den Abständen, die manche Sterne erreichen können. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied: Da die Gaswolke zu leicht ist, um gravitativ selbst gebunden zu sein, wird sie den nahen Vorbeiflug nicht überleben, sondern die Gezeitenkräfte werden sie zerreißen.
Zerreißen, Verwirbeln, und Absturz – das mögliche Ende der Gaswolke
Der Begriff Gezeitenkräfte bedeutet, dass sich die Vorderseite der Gaswolke näher an der Schwerkraftquelle befindet als die Rückseite, und dadurch stärker angezogen wird. Die Wolke wird also in die Länge gezogen. Erstaunlicherweise konnten wir genau das in unseren Spektroskopie-Daten entdecken. Während 2004 alles Gas innerhalb der Messgenauigkeit mit der gleichen Geschwindigekit flog, zeigte sich 2008 eine Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Vorder- und Rückseite von 230 km/s, 2011 schon 360 km/s und 2012 sogar 600 km/s (Abb. 3). Wir sehen also „live“ zu, wie die Gezeitenkräfte die Gaswolke auseinanderreißen. So etwas wurde zuvor noch nie beobachtet und vielleicht haben wir hier den Glücksfall, dass wir zusehen können, wie das Gas in das Schwarze Loch stürzt.
Nicht nur die Schwerkraft wirkt auf die Gaswolke. SgrA* ist von einer dünnen, heißen Atmosphäre umgeben, die nach innen hin dichter wird, und durch die die Gaswolke nun fliegt. Dies führt zu zusätzlichen zerstörerischen Prozessen. Hydrodyamische Instabilitäten führen zu Turbulenzen und dadurch wird das Gas Energie und Drehimpuls verlieren, was letztlich dazu führt, dass das Gas in das Schwarze Loch stürzen kann. In den vergangenen Jahren war die Dichte der Wolke größer als die des Umgebungsgases und deswegen folgt sie einer Keplerbahn. Dies könnte sich in 2013 jedoch ändern, sodass die hydrodynamischen Effekte die weitere Entwicklung vollkommen dominieren, wie es etwa unsere Simulationen zeigen (Abb. 4, [5]).
Naturgemäß ist es schwer vorherzusagen, was genau 2013 passieren wird. Leicht abzuschätzen ist, dass die Gezeitenkräfte die Wolke so stark in die Länge gezogen haben werden, dass es rund ein Jahr dauern wird, bis alle Teile durch den tiefsten Punkt der Bahn geflogen sind. Die Hydrodynamik hängt dagegen von zwei Unbekannten ab – der Dichte der Atmosphäre im inneren Bereich und davon, wie klumpig die Wolke strukturiert ist. Je weniger klumpig und je dichter die Atmosphäre, umso wichtiger werden die hydrodynamischen Effekte. Im Umkehrschluss erlaubt der Einfall der Gaswolke also etwas über die Atmosphäre des Schwarzen Lochs zu lernen und damit vielleicht auch besser zu verstehen, warum SgrA* so wenig akkretiert.
Wo kam die Gaswolke her?
Ebenso unklar wie die zukünftige Entwicklung ist die Herkunft der Gaswolke [6]. Ein wichtiger Hinweis dazu dürfte sein, dass der Orbit in der gleichen Ebene liegt, in der auch zahlreiche junge, massereiche Sterne in einigen Bogensekunden Abstand SgrA* umrunden, in einer regelrechten Scheibe aus Sternen. Außerdem liegt der fernste Punkt des Gaswolkenorbits in dieser Scheibe. Ein Zusammenhang liegt also nahe. Zum Beispiel könnte die Wolke durch die Kollision von Sternwinden in der Scheibe entstanden sein [7]. Dabei kann Gas entstehen, das nahezu keinen Drehimpuls mehr hat und so fast radial auf das Schwarze Loch zufliegt. Schwierig in diesem Modell ist zu verstehen, warum die Wolke 2004 noch so kompakt war, denn die Gezeitenkräfte hätte sie schon zuvor stark in die Länge ziehen müssen.
Ein anderes Modell nimmt an, dass die Gaswolke einen jungen Stern beherbergt, der zu dunkel ist, um beobachtet zu werden [8]. Die protoplanetare Scheibe um so einen Stern würde auf dem gemessenen Orbit durch die Gezeitenkräfte auseinandergerissen, und würde so die Gaswolke erzeugen. Die Gasproduktion würde sich also erhöhen, je näher das Objekt dem Schwarzen Loch kommt, und dadurch die Linienhelligkeit immer größer werden. Unsere Daten zeigen das jedoch nicht; die Helligkeit blieb von 2004 bis 2012 konstant. Ebenso ist es in dem Modell schwierig zu verstehen, wie ein junger Stern auf so einen exzentrischen Orbit geraten kann, ohne dabei seine eventuell vorhandene Scheibe komplett zu verlieren.
Ob die Gaswolke noch einen Stern im Inneren enthält oder nicht wird sich 2013 zeigen – je nachdem ob sie komplett auseinander gerissen wird, oder ob es einen kompakten Kern gibt, der sich weiter auf dem gemessenen Orbit bewegt.
Was wird man 2013 beobachten können?
Astronomen haben weltweit Ideen entwickelt und eine große Menge an Teleskopzeit wird sich dem Gaswolken-Einfall widmen. Mit mm-Wellen wird man eventuell das ankommende Material zuerst nachweisen können – denn die Polarisation dieser Strahlung ist sensitiv auf die Menge an Material zwischen uns und der Quelle SgrA*. Im Frühjahr 2013 könnte die Wolke beim Durchflug durch die Atmosphäre an ihrer Frontseite eine Schockfront entwickeln, die im Röntgenbereich durchaus heller als das Schwarze Loch selbst scheinen könnte.
Besonders interessant könnte es werden, wenn SgrA* deutlich mehr akkretieren würde als zuvor. Zum Beispiel könnte sich die Struktur der Atmosphäre verändern – von einer annähernd kugelförmigen Schichtung zu einer ausgeprägten Akkretionsscheibe mit senkrecht dazu davon-strömenden Materie-Jets. Dies könnte auf zwei Arten beobachtbar sein: Zum einen könnte sich die veränderte Struktur in mm-Very-Long-Baseline-Interferometry zeigen. Zwar kann man noch keine Bilder von SgrA* machen, aber eine typische Größenskala und Aussagen über die Symmetrie der Quelle sind möglich. Eine andere Variante, die veränderte Struktur zu sehen, könnte Astrometrie bei cm-Wellenlängen sein. Ein plötzlicher Sprung in der Position von SgrA* wäre hier das zu erwartende Signal.
Eine erhöhte Akkretionsrate würde auch zu einer allgemein höheren Leuchtkraft von SgrA* führen. Die Vorhersagen dazu sind besonders schwierig, da die meiste Strahlung nahe am Ereignishorizont entsteht, das Gas also erst tief in das Gravitationspotenzial fallen muss. Es ist unklar wie lange es dauert, bis das Gas in dem für die Strahlungsproduktion relevanten Bereich ankommt. Schätzwerte liegen zwischen einem Jahr und Jahrzehnten. Neben einer allgemein erhöhten Emission von SgrA* könnte sich auch die Rate oder die Helligkeitsverteilung der Flares verändern, die ziemlich gut bestimmt sind.
Es bleibt spannend, was 2013 zu beobachten sein wird. Eine Liste an Veröffentlichungen zur Gaswolke, sowie eine Sammlung von Beobachtungsproposals kann man hier finden:
https://wiki.mpe.mpg.de/gascloud/FrontPage
Es ist eventuell auch nicht das erste Mal, dass SgrA* in jüngerer Zeit deutlich heller leuchtet als heute. Die Analyse von Röntgenlicht in der Umgebung von SgrA* zeigt eine Eisenlinienemission, die durch Fluoreszenz entstehen kann. Man sieht also eventuell ein Lichtecho [9]. Der Abstand zu SgrA* und die beobachtete Helligkeit machen es wahrscheinlich, dass das Schwarze Loch vor einigen Hundert Jahren hell im Röntgenbereich strahlte.