Flugtraining der besonderen Art
Eine neue Generation von Flugsimulatoren soll den Luftverkehr sicherer machen
Zum Geschäftstermin ins Nachbarland oder zur Urlaubsreise in die Karibik: Was für viele Menschen selbstverständlich ist, stellt nicht nur die Logistik sondern vor allem die Piloten vor immer größere Herausforderungen. Die Flugzeugführer optimal auszubilden und auf Gefahrensituationen vorzubereiten, ist das Ziel des von der Europäischen Union mit 3,7 Millionen Euro geförderten SUPRA-Projekts. Wissenschaftler aus neun verschiedenen Institutionen und Industrieunternehmen wollen die Wahrnehmung von Piloten in extremen Situationen untersuchen, Flugsimulatoren verbessern und damit einen Beitrag zur Sicherheit im Luftverkehr leisten. Wissenschaftler vom Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik steuern die biologischen Grundlagen bei: Sie versuchen herauszufinden, warum die Piloten in Extremsituationen oft die Orientierung verlieren und wie Gleichgewichts- und Sehsinn zusammenarbeiten.
Angehende Piloten werden, neben echtem Flugtraining, zunehmend mit Hilfe von Simulatoren geschult. Das spart Geld, schont die Umwelt und ist vor allem sicherer. Standard-Flugsituationen, wie ein Start oder eine Landung, können bereits sehr gut unter Verwendung konventioneller Flugsimulatoren trainiert werden. Extreme Manöver wie das Abfangen eines abstürzenden Flugzeugs sind viel komplexer und weitaus schwieriger zu simulieren. Der eingeschränkte Bewegungsspielraum gängiger Simulatoren sowie das Fehlen geeigneter Algorithmen, um die extremen Flugmanöver an den Arbeitsraum der Simulatoren anzupassen, sind nur einige der Probleme, die das interdisziplinäre Forscherteam lösen will. Ihr Ziel ist es, im Rahmen des auf drei Jahre angelegten SUPRA-Projekts (Simulation of Upset Recovery in Aviation) die Simulation komplexer Flugmanöver zu verbessern und eine neue Generation von Flugsimulatoren zu entwickeln.
Zunächst müssen relevante Trainingsszenarien für die Experimente ausgewählt werden. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit professionellen Testpiloten, die bereits Erfahrungen mit extremen Flugmanövern gesammelt haben. Die Wissenschaftler unter der Leitung von Heinrich Bülthoff am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik wollen herausfinden, wie Piloten die Bewegung des Flugzeugs in einer Extremsituation wahrnehmen und warum sie dabei oft die Orientierung im Raum verlieren. Insbesondere interessiert sie das Zusammenspiel von visuellen Sinneseindrücken mit den Signalen, die das Gehirn vom Gleichgewichtsorgan bekommt. Mit Hilfe eines Roboterarms werden Versuchspersonen unterschiedlichen Beschleunigungen ausgesetzt, während ihnen gleichzeitig computergenerierte, virtuelle Welten gezeigt werden. Durch die geeignete Stimulation des visuellen sowie des Gleichgewichtssinnes ist es möglich, das Gehirn zu "täuschen", so dass die Piloten nicht mehr das Versuchslabor, sondern das simulierte Flugmanöver wahrnehmen. Zum Beispiel können die Wissenschaftler durch eine rein visuelle Stimulation den Eindruck einer lang anhaltenden Beschleunigung erwecken, obwohl sich die Testperson in Wirklichkeit nicht bewegt. Dieses Empfinden kann durch eine geeignete Stimulation des Gleichgewichtssinnes noch verstärkt werden. Bewegungsillusionen dieser Art werden in Flugsimulatoren dazu benützt, Bewegungseindrücke zu erzeugen, die aufgrund des begrenzten Arbeitsraumes der Simulatoren sonst nicht nachzustellen wären.
Das internationale Konsortium bedient sich bei seinen Forschungen zweier völlig neuartiger Simulatoren, die sich am niederländischen Forschungsinstitut TNO und am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen befinden. "Eine gute Ausbildung von Piloten ist in der heutigen Zeit, in der Mobilität eine große Rolle spielt, eine wichtige Thematik. Wir freuen uns, dass uns die Europäische Union die Möglichkeit gibt, mit einem internationalen Team einen aktiven Beitrag zur Flugsicherheit zu leisten, indem wir erforschen, wie die Ausbildung der Piloten noch verbessert werden kann", sagte Heinrich Bülthoff zum Start des Projekts.