Soziales Umfeld wirkt stimulierend

Ein komplexes soziales Umfeld war vermutlich verantwortlich dafür, dass sich die kognitiven Fähigkeiten unserer nächsten Verwandten weiterentwickelten

26. September 2008

Die Hypothese zur "Machiavellischen Intelligenz-" bzw. zum "Sozialen Gehirn" besagt, dass die Evolution des Hirnvolumens hauptsächlich vom Leben in komplex organisierten sozialen Systemen angetrieben werde. Soziale Komplexität habe also eine größere kognitive Herausforderung geboten als die Vielfalt der unbelebten Umwelt, da andere Individuen als "bewegliche Ziele" mit unterschiedlichen Verhaltensweisen und -strategien aufeinander reagieren. Ein Forscherteam des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie konnte nun zeigen, dass kognitive Fähigkeiten tatsächlich nicht so sehr mit genetischer Ähnlichkeit oder der Ernährungsweise, sondern vielmehr mit der steigenden Komplexität der Gruppenstrukturen zusammenhängen (Current Biology, 23. September 2008).

Primaten, einschließlich des Menschen, leben in mehr oder weniger komplexen Gruppenstrukturen. Das sogenannte Fission-Fusion-System (FF-System), in dem einige Affenarten organisiert sind, stellt dabei besondere Anforderungen an die Mitglieder einer Gruppe: Die Tiere brechen täglich in kleineren Verbänden mit unterschiedlicher Besetzung zur Futtersuche auf und kommen später, meist zur Nachtruhe, wieder zusammen. Individuelle Strategien und Verhaltensweisen der einzelnen Gruppenmitglieder erfordern unterschiedliche Reaktionen. Deshalb wird das FF- System in sozialer Hinsicht als besonders komplex eingestuft. "Diese Gruppenstruktur könnte bestimmte kognitive Fähigkeiten wie zum Beispiel. zurückhaltende (inhibitorische) Verhaltensweisen fördern und so die Individuen in einer wechselhaften sozialen Umgebung dazu befähigen, vorschnelle aber erfolglose Reaktionen zu unterdrücken", erklärt Josep Call vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Um den Zusammenhang zwischen kognitiver Flexibilität und der Komplexität des sozialen Systems einer Art zu untersuchen, verglichen die Max-Planck-Forscher das Verhalten von verschiedenen Primatenarten, die in einem Fission-Fusion-System leben wie Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans und Spinnenaffen mit solchen, die in Gruppen mit stärkerer Gruppenzusammengehörigkeit organisiert sind wie Gorillas, Kapuzineraffen und Langschwanzmakaken. Den Affen wurden fünf verschiedene Aufgaben präsentiert, bei deren Lösung stets die Unterdrückung einer vorschnellen Reaktion gefordert war.

Ein Beispiel dafür ist die Schwingtürenaufgabe, bei der eine Belohnung hinter einer nach hinten schwingenden transparenten Klappe liegt. Um diese Aufgabe erfolgreich zu bewältigen, dürfen die Affen nicht direkt an die Klappe stoßen, da dann die Belohnung nach hinten wegfällt. Sie müssen also den Impuls, den direkten Weg zur Belohnung zu gehen, unterdrücken und den Umweg über die danebenliegende, ebenfalls nach hinten aufgehende Klappe wählen und um die Ecke greifen, um die Belohnung zu erhalten. Es zeigte sich, dass die Affenarten, deren Gruppenzusammensetzung variierte, die Aufgaben besser lösten als die, deren Leben sich in konstant gleichbleibenden Verbänden abspielte.

Die Einbeziehung von Arten, die sich in punkto Ernährung, phylogenetischem Verwandtschaftsgrad und dem Level an FF-Dynamik unterscheiden, erlaubte es den Forschern, sowohl ökologische als auch phylogenetische und sozial-ökologische Erklärungen für interspezifische Unterschiede einander gegenüberzustellen. Spinnenaffen zeigten eine Leistung, die mit der von Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans vergleichbar war und die sich über der Leistung von Gorillas bewegte. "Diese Erkenntnisse liefern den ersten Nachweis dafür, dass bessere inhibitorische Fähigkeiten mit einem hohen Level an Fission-Fusion-Dynamik einhergehen und nicht so sehr mit phylogenetischem Verwandtschaftsgrad oder der Ernährungsweise zusammenhängen", sagt Josep Call.

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