Kein Fair Play bei Schimpansen
Im Gegensatz zum Menschen sind Schimpansen nicht bereit, faire Angebote zu unterbreiten und unfaire abzulehnen
Neue Forschungsergebnisse des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie zeigen, dass Schimpansen - im Gegensatz zum Menschen - so handeln, wie es traditionelle ökonomische Modelle vorhersagen. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt verwendeten Keith Jensen, Josep Call und Michael Tomasello eine modifizierte Version des Ultimatum-Spiels, eines der am meisten genutzten und anerkannten Werkzeuge der modernen Wirtschaftswissenschaften (Science, 5. Oktober 2007).
Das Ultimatum-Spiel wurde ursprünglich von dem Wirtschaftswissenschaftler Werner Güth vom Max-Planck-Institut für Ökonomie in Jena entwickelt. In diesem Spiel erhält eine Person (Akteur 1) vom Spielleiter eine bestimmte Menge Geld. Akteur 1 kann dieses Geld mit einer anderen Person, dem Akteur 2, teilen. Über den Anteil, den er abgeben möchte, entscheidet Akteur 1 alleine. Allerdings sehen die Regeln für den weiteren Verlauf des Spiels wie folgt aus: Nimmt Akteur 2 das Angebot von Akteur 1 an, dürfen beide den entsprechenden Geldbetrag mit nach Hause nehmen; lehnt er das Angebot jedoch ab, bekommt keiner von beiden etwas.
Die Angst, dass ein unfaires Angebot abgelehnt wird, veranlasst Akteur 1, ein faires Angebot zu unterbreiten. Gewöhnlich bieten Menschen einen Anteil von knapp unter 50 % an, denn schlechtere Angebote werden häufig abgelehnt. Das Gespür für unfaire Angebote und die Bereitschaft, Kosten in Kauf zu nehmen (also auf das angebotene Geld ganz zu verzichten), um ein unfaires Angebot abzustrafen, sind vermutlich ausschließlich dem Menschen eigen. Die Erkenntnisse, die die Wirtschaftswissenschaftler aus dem Ultimatumspiel ableiten konnten, widersprachen damit den bisherigen Vorstellungen vom Homo oeconomicus, dem reines Selbstinteresse unterstellt wurde.
In der in der Zeitschrift Science publizierten Studie hat das Forscherteam um Keith Jensen mit Schimpansen, unserem nächsten lebenden Verwandten, eine vereinfachte Version des Ultimatum-Spiels gespielt. Akteur 1 kann hierbei Akteur 2 eine bestimmte Anzahl Rosinen anbieten, indem er eine herausziehbare Lade, auf der sich zwei Schälchen befinden, so nah wie möglich heranzieht (Abb. 2). Ein Zugriff auf die Schälchen ist aber erst möglich, wenn Akteur 2 das Angebot annimmt und die Lade so weit heranzieht, dass beide die Rosinen entnehmen können. Wenn Akteur 2 das, was ihm angeboten wurde, nicht mag, zieht er die Lade nicht heran und beide gehen leer aus. Aufgrund vorangegangener Arbeiten wussten die Forscher, dass Schimpansen zwar nicht zählen können, aber sehr wohl in der Lage sind, Quantitäten zu unterscheiden.
In verschiedenen Versionen dieses Mini-Ultimatum-Spiels konnte Akteur 1 eine Lade mit 8 Rosinen für sich und 2 Rosinen für Akteur 2 heranziehen. Menschen würden eine solche Aufteilung als unfair empfinden und normalerweise ablehnen. Akteur 1 hatte dann die Wahl: In der ersten Spielrunde konnte er sich entscheiden, ob er das unfaire oder ein faires Angebot unterbreitet (jeder erhält 5 Rosinen). In der nächsten Spielrunde konnte er ein übermäßig faires Angebot wählen (2 Rosinen für sich selbst, 8 für Akteur 2). In der dritten Spielrunde hatte Akteur 1 keine Wahl - er konnte nur ein unfaires Angebot unterbreiten (8 Rosinen für sich, 2 für Akteur 2). Im vierten Spiel konnte Akteur 1 dann Akteur 2 ein äußerst unfaires Angebot unterbreiten: 10 für sich selbst, 0 für Akteur 2.
Im Gegensatz zu Menschen akzeptierten Schimpansen jedes Angebot - ob unfair oder nicht. Allerdings mit einer Ausnahme: Das einzige Angebot, das sicher abgelehnt wurde, war die Option 10/0, bei der Akteur 2 leer ausgehen würde. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass Schimpansen nicht bereit sind, faire Angebote zu unterbreiten und unfaire Angebote abzulehnen. Sie verhalten sich also eher wie eigennützige Ökonomen und weniger wie soziale Reziprokatoren - letztere beziehen sowohl sich selbst als auch den anderen in ihre Handlungsentscheidung mit ein.