Wie flicht man Nanozöpfe?

Max-Planck-Wissenschaftler identifizieren Parameter, die die Bildung von Filamentbündeln kontrollieren

11. Oktober 2005

Biomimetische Systeme aus steifen Polymeren oder Filamenten und quervernetzenden Molekülen sind in der Lage, komplexe Filamentnetzwerke und -bündel auszubilden. Diese Filamentbündel kann man sich als geflochtene Zöpfe auf der Nanoskala vorstellen, deren Eigenschaften im wesentlichen von der Anzahl der verflochtenen Filamente bestimmt werden. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam haben jetzt gezeigt, dass sich wegen der thermischen Bewegung der Filamente Bündel erst dann bilden, wenn die Konzentration der vernetzenden Moleküle einen bestimmten Schwellwert überschreitet. Dieser hängt von der Anzahl der Filamente ab, bleibt aber auch für Bündel aus zahlreichen Filamenten endlich. Verringert man die Konzentration der Quervernetzer, separieren sich die Bündel in kleinere Subbündel oder lösen sich in einem abrupten Phasenübergang komplett auf (Physical Review Letters 95, 038102).

Biologische Zellen sind mechanisch stabil, da sie Aktinfilamente und Mikrotubuli besitzen, die Netzwerke und Bündel ausbilden. Diese Architekturen werden von quervernetzenden Proteinen, die zwei klebende Enden besitzen und damit verschiedene Filamente aneinander binden können, zusammengehalten und kontrolliert. Will man die für diese Prozesse verantwortlichen Kräfte verstehen, um beispielsweise die mechanischen Eigenschaften der Architekturen zu optimieren, muss man biomimetische Modellsysteme studieren, die allein aus Filamenten und quervernetzenden Proteinen bestehen. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Vernetzung mehrerer Filamente zu dicken Bündeln oder "Nanozöpfen", die steifer sind und eine größere externe Last tragen können als ein einzelnes Filament.

Doch die Vernetzung von Filamenten wird durch ihre thermische Bewegungen gestört. Die Potsdamer Max-Planck-Wissenschaftler haben jetzt gezeigt, dass die thermische Bewegung den Aufbau eines Filamentbündels verhindert, sofern die Konzentration der Vernetzer einen bestimmten Schwellwert nicht überschreitet. Dieser Schwellwert hängt von der Filamentsteifigkeit, der Bindungsenergie der quervernetzenden Moleküle und der Temperatur ab. Des weiteren nimmt der Grenzwert ab, wenn die Anzahl N der Filamente innerhalb des Bündels zunimmt, bleibt aber endlich im Limes großer N.

Die Abbildung zeigt Schnappschüsse von einzelnen Filamentbündeln, wie sie in der Computersimulation beobachtet werden. In Abb. (a) ist ein loses Bündel bei einer Vernetzerkonzentration zu erkennen, die nur leicht über dem Schwellwert liegt. Wie in Abb. (b) zu sehen, zeigen die Simulationen, dass diese Bündel sich oft auftrennen in kleinere Subbündel, die typischerweise fünf Filamente enthalten. Dabei unterscheidet sich die Bündelmorphologie sehr stark von der Gleichgewichtsform, wie sie in Abb. (c) abgebildet ist. Welche der beiden Morphologien angenommen wird, hängt von der anfänglichen Anordnung der Filamente und von der Kinetik des Vernetzungsprozesses ab.

Biomimetische Systeme, die aus Lösungen von Aktinfilamenten und quervernetzenden Proteinen bestehen, wurden bereits von mehreren Arbeitsgruppen experimentell untersucht. Diese experimentellen Daten stehen im Einklang mit den Ergebnissen der neu entwickelten Theorie, die auf dem Wechselspiel von molekularer Vernetzung und thermischer Bewegung beruht. Besonders interessant ist der experimentelle Nachweis einer Schwellwertkonzentration von Quervernetzern, oberhalb derer die Bündelung von Filamenten abrupt einsetzt. Systematische Studien der Abhängigkeit von der Filamentanzahl stehen jedoch noch aus.

Abgesehen von ihrer Aufgabe als strukturelle Elemente können Filamentbündel auch enorme Druckkräfte erzeugen. Diese entstehen durch das gerichtete Wachstum der Filamente, wenn weitere molekulare Bausteine an den Filamentenden angebaut werden. Eine wichtige Herausforderung besteht nun darin zu beschreiben, auf welche Weise diese Druckkräfte von der Anzahl der Filamente im Bündel abhängen. Diese wissenschaftliche Thematik wird derzeit innerhalb des Europäischen Netzwerks über "Aktive Biomimetische Systeme" intensiv verfolgt (siehe auch Verwandte Links [1]).

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