Choreografie der Moleküle

Komplexe Nanostrukturen bilden sich in gesteuerter Selbstorganisation

19. Januar 2012

Leichte und gleichzeitig unverwüstliche Werkstoffe, Nanomaschinen, die wie eine unsichtbare Putzkolonne Oberflächen reinigen, oder elektronische Bauteile in Molekülgröße, die Computer gleichzeitig rasend schnell und energiesparend machen würden: Bislang sind das Visionen der Nanotechnologie. Forscher des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin sind ihnen nun einen Schritt näher gekommen. Mit einem neuen Verfahren steuern sie die Selbstorganisation von einzelnen Molekülen zu einer komplexen Struktur. Mit der Methode der Berliner Forscher um Leonhard Grill lässt sich der Aufbau eines Netzwerkes aus Molekülen Schritt für Schritt programmieren. Diese gesteuerte  Selbstorganisation erlaubt es, eine komplexe Struktur aus verschiedenartigen Bausteinen erstehen zu lassen. Das macht im Prinzip das Kombinieren von Nanobauteilen zu einem funktionalen System, etwa einen molekularen Schaltkreis, möglich. Außerdem führt sie zu einer besseren Qualität der Struktur als eine ungeregelte Selbstorganisation.

Aufbau in mehreren Schritten ermöglicht komplexe Nanostrukturen

Weil sich die Iodatome an den gegenüberliegenden Enden jedes Porphyrin-Moleküls befinden, verbinden die Moleküle sich nach ihrer Ablösung zunächst zu Ketten. Erhöht man die Temperatur weiter, löst sich das Brom und die Flanken der Ketten werden reaktiv. Dadurch verbinden sich die Ketten Flanke an Flanke miteinander, wodurch ein zweidimensionales Netzwerk entsteht.

„Mit unserer Methode lässt sich also ein hierarchischer Aufbau einer komplexen Struktur aus einzelnen Molekülen programmieren“, sagt Grill. Denn nach dem ersten Aktivierungsschritt entsteht aus Einzelbausteinen eine eindimensionale Struktur, aus der sich nach dem zweiten Schritt eine zweidimensionale ausbildet. Die Komplexität steigt also mit jedem Schritt an. „Dies ist unseres Wissens nach das erste Mal, dass eine Selbstorganisation auf Oberflächen in mehreren Schritten programmiert wurde. Mithilfe eines Rastertunnelmikroskops wiesen die Berliner Forscher nach, dass durch das neue Verfahren weniger Defekte, also Unregelmäßigkeiten im Netzwerk, entstehen. Außerdem wachsen größere Netzwerke als bei einem Ein-Schritt-Verfahren.

„Darüber hinaus öffnet die Zwei-Schritt-Methode die Tür zum selbstorganisierten Aufbau von heterogenen Strukturen“, sagt Grill. Er meint damit Strukturen, die aus mindestens zwei verschiedenen Molekülarten bestehen. Auch dies demonstrierten die Berliner Forscher, indem sie eine zweite Molekülart (Dibromoterfluoren, kurz DBTF) hinzufügten, die fadenförmig ist und an deren Enden Bromatome hängen. Die nach dem ersten Aktivierungsschritt gebildeten Ketten aus Porphyrin-Molekülen verbanden sich nach der darauffolgenden Ablösung des Broms über Ketten aus DBTF untereinander. „Dies zeigt, dass im Prinzip unterschiedliche Komponenten miteinander verbunden werden können, etwa ein molekularer Schalter mit einem Nanodraht, um ein mögliches Beispiel aus der molekularen Elektronik zu nennen“, sagt Grill.

Das Fernziel: molekulare Elektronik und Nanomaschinen

Auch damit begnügten die Berliner Forscher sich nicht und fanden noch eine weitere Möglichkeit, die Verknüpfung von Molekülen auf einer Goldoberfläche zu steuern. Anstatt einer glatten Goldoberfläche verwendeten sie in einem weiteren Versuch eine geriffelte. Bei dieser ragt jede fünfte Reihe von Goldatomen aus der Oberfläche heraus, so dass sich parallele Rillen bilden, ähnlich wie bei einem Spargelfeld. Es zeigte sich, dass sich die Netzwerke aus Porphyrin-Molekülen bezüglich dieser Rillen in einem bestimmten Winkel ausrichten. „Die Rillen dirigieren die molekularen Strukturen auf der Oberfläche in eine bestimmte Anordnung“, erläutert Grill den Grund für diese Ausrichtung.

Die Kontrolle über die Selbstorganisation werde es auf lange Sicht erlauben, komplexe Strukturen mit bestimmter Funktionalität aus einzelnen Molekülen aufzubauen, zeigt sich Grill überzeugt. Dies wollen die Berliner Forscher nun versuchen. Ein Spielfeld dafür bietet die molekulare Elektronik. So könne man versuchen, bestimmte Moleküle, die theoretisch wie elektronische Logik-Bauelemente in Computern funktionieren, in einen molekularen Schaltkreis einzubauen und die vermutete Funktionalität zu testen, sagt Grill. Oder man könne prüfen, ob sich ein Molekül, das wie ein Rad auf einer Unterlage rollt, mit einem aus Molekülen aufgebauten Chassis zu einer Art Molekül-Schubkarren verknüpfen lässt. Grill betont, dass es sich hierbei weiterhin um Grundlagenforschung handeln wird. Nanomaschinen, die Oberflächen reinigen, sowie energieeffiziente und blitzschnelle molekulare Computer bleiben, zumindest vorläufig, Stoff für Science-Fiction-Autoren.

CM/PH

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