Ist gentechnisch veränderter Schwarzer Nachtschatten nur noch bedingt abwehrbereit?
Freisetzungsversuche sollen neue Erkenntnisse über die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und ihrer Umwelt liefern
Jenaer Max-Planck-Wissenschaftler haben jetzt den Schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum) als neue Modellpflanze in die Forschungsrichtung der Chemischen Ökologie eingeführt. Speziell sollen zwei Gene, die vermutlich die Abwehrbereitschaft der Pflanze gegenüber Schadinsekten gewährleisten, im Freiland mit Hilfe transgener Pflanzen genauer unter die Lupe genommen werden. Die Forscher erwarten aus diesen Versuchen neue Erkenntnisse über die Anpassung von Pflanzen und Insekten an ihre Umwelt und spezielle Standorte, was unser Verständnis von Ökosystemen erheblich erweitern könnte. Am 30. August hatte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Genehmigung zur Durchführung der Freisetzungsversuche erteilt, nachdem die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit dem Antrag des Instituts ohne Bedenken zugestimmt und das Bundesamt für Naturschutz sowie weitere Bundesbehörden ihr Einvernehmen erklärt hatten. Auch die zuständigen Thüringer Landesbehörden haben positive Stellungnahmen abgegeben. Jetzt befinden sich rund 500 gentechnisch modifizierte Pflanzen für einen Zeitraum von etwa fünf Wochen im Freiland. In diesen Pflanzen ist die Aktivität zweier potenzieller Abwehrgene herabgesetzt, um zu prüfen, inwiefern sich dies auf den Stoffwechsel und die Verteidigungsbereitschaft der Pflanzen auswirkt. Nach Abschluss der Beobachtungen und Beprobungen werden die Pflanzen in das Institut zurückgeholt. Während der Freisetzung werden täglich, auch an den Wochenenden, Experimente durchgeführt und Proben entnommen. Die Freisetzungsexperimente werden in den Jahren 2005 und 2006 fortgesetzt.
Solanum nigrum: eine neue Modellpflanze in der ökologischen Forschung
Der Schwarze Nachtschatten wurde von den Max-Planck-Wissenschaftlern wegen zahlreicher Aspekte, die für ökologische Fragestellungen und deren Beantwortung von Bedeutung sind, ausgewählt. Zwei dieser Eigenschaften sind besonders hervorzuheben: Diese Pflanzenart wird von einer Vielzahl herbivorer, also Pflanzen fressender Insekten besucht und muss diese, um das eigene Überleben und die Fortpflanzung zu gewährleisten, erfolgreich abwehren. Bei den Fraßfeinden handelt es sich um Käfer, Zikaden, Wanzen und Blattläuse. Außerdem wurde der Schwarze Nachtschatten als Modellpflanze ausgewählt, weil er im Gegensatz zu Kultur- und Nutzpflanzen nicht von Menschenhand gezüchtet wurde, was ihn für ökologische Experimente unbrauchbar gemacht hätte. Der bei uns heimische Schwarze Nachtschatten besitzt ursprüngliche und vielfältige genetische Merkmale, während Nutzpflanzen über Jahrhunderte auf züchterische Merkmale wie Ertrag oder Pathogenresistenz von Menschenhand selektioniert und für unsere heutige Landwirtschaft optimiert wurden. Die jetzt begonnenen Freilandexperimente mit Schwarzem Nachtschatten soll zu einem besseren Verständnis der Wechselwirkungen von Pflanzen mit ihrer natürlichen Umwelt führen und neue Erkenntnisse liefern, die künftig auch dem Pflanzenschutz und der Landwirtschaft insgesamt dienen könnten.
Appetitszügler und Botenstoffe: Zwei Proteine, ein Ziel?
Zwei im Erbgut des Schwarzen Nachtschattens kodierte Proteine, so hatten die Max-Planck-Wissenschaftler herausgefunden, scheinen für die Abwehr von Pflanzenfressern eine besondere Rolle zu spielen: Ein Hemmstoff (Proteinase-Inhibitor), der den Raupen den Appetit verdirbt, indem er die Verdauung pflanzlicher Eiweiße in ihrer Nahrung behindert, und ein Botenstoff (Systemin), der in der Pflanze nach Insektenbefall eben genau die Anreicherung dieser Proteinase-Inhibitoren veranlasst und die Pflanze in einen Alarmzustand versetzen könnte. Versuche, die bislang mit Gewächshauspflanzen durchgeführt wurden, ließen vermuten, dass die transgenen Pflanzen nur noch bedingt abwehrbereit gegenüber Fraßfeinden in der Natur sind, wenn der Gehalt von jeweils einem der Stoffe herunterreguliert wird. Ob dies stimmt, sollen nun die Untersuchungen im Freiland beantworten: Gewächshausversuche entsprechen nicht den natürlichen Wachstumsbedingungen, denn die meisten Stressfaktoren, die einen Einfluss auf die Pflanze-Schädling-Interaktion und damit auch auf natürliche Genexpression haben, sind nicht präsent. Darüber hinaus sind nur in der Natur alle Fraßfeinde des Schwarzen Nachtschattens vorhanden - solche Bedingungen kann kein Gewächshausversuch gewährleisten.
Inaktivierte Gene - in der Natur nichts Neues
Für die Freisetzungsversuche erzeugten die Wissenschaftler transgene Pflanzen, die so genannte "RNA-silencing" Konstrukte enthalten. Mit Hilfe dieser Technik kann die Ausprägung ausgewählter Gene minimiert werden: Molekularbiologisch gesehen wird der Gehalt der von der DNA transkribierten mRNA reduziert. Wenn nur noch wenig mRNA zur Kodierung des entsprechenden Proteins in der Zelle zur Verfügung steht, ist auch dessen Gehalt verringert - die im Gen abgelegte Information kann von der Pflanze nicht mehr oder nur noch bedingt benutzt werden. Solche wie hier durch "RNA-silencing" bewirkten Inaktivierungen von Genen treten durch natürliche Veränderungen im Erbgut bei allen Organismen auf, wie durch Punktmutationen, Gen-Deletionen oder Gen-Translokationen, und können langfristig die Anpassung eines gegebenen Genotyps an seine Umwelt ermöglichen. Die konventionelle Züchtung von Nutzpflanzen nutzt diese Vorgänge, um gezielt landwirtschaftlich relevante Merkmale in Pflanzen oder Tiere einzukreuzen.
Bei den beiden Genen, deren Expression in den trangenen Pflanzen des Schwarzen Nachtschattens reduziert wurde, handelt es sich konkret um nigpro, welches das Vorläuferprotein des Systemins kodiert, und um pin2b, das die Information für einen Proteinase-Inhibitor trägt. Erste Enzymanalysen von transgenen "nigpro-Pflanzen" zeigten wie erwartet eine Abnahme der Proteinase-Inhibitor Aktivität - dies könnte bedeuten, dass sich der gentechnisch veränderte Schwarze Nachtschatten im Freiland nur noch eingeschränkt gegen Fraßfeinde wehren könnte. Der Freisetzungsversuch wird zeigen, ob diese Annahme stimmt. In den Experimenten wird geprüft, wie viele verschiedene herbivore Insekten die Pflanzen besuchen und ob sich in den trangenen Pflanzen, verglichen mit den gleichzeitig freigesetzten Wildtypen, Unterschiede im Stoffwechsel und der Expression anderer Gene zeigen. Weiterhin werden Interaktionen zwischen den Wurzeln und Bodenorganismen, vornehmlich Bakterien und Pilze, genauer betrachtet. Die so genannte "Darwinsche Fitness", d.h. die Fähigkeit, Nachkommen (Samen) zu erzeugen, wird in den Freisetzungsversuchen nicht bestimmt: Die Pflanzen werden nicht zur Blüte kommen, sondern noch vor Erscheinen der Blütenknospen einschließlich Wurzeln wieder aus dem Boden entnommen und im Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie fachgerecht entsorgt.
Das Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena
Ihre zumeist ortsfeste Lebensweise hat die Pflanzen zur Entwicklung von ganz eigenen Mechanismen gezwungen, um beispielsweise geeignete Fortpflanzungspartner zu finden, die Ausbreitung der eigenen Nachkommenschaft zu gewährleisten oder um sich vor Fraßfeinden und Pathogenen zu schützen. Im Laufe der Evolution entwickelten sie eine Fülle chemischer Signalstoffe, die ihnen eine optimale Anpassung an ihre jeweilige Umwelt ermöglichte. Diese so genannten Allelochemikalien werden beispielsweise eingesetzt, um bestäubende Insekten anzulocken, Blattschädlinge und Krankheitserreger zu bekämpfen oder unliebsame Konkurrenten fern zu halten.
Das Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie erforscht die Rolle, Vielfalt und Eigenschaften von chemischen Signalen, die Interaktionen zwischen Organismen und ihrer Umwelt steuern. Um das komplexe System der chemischen Kommunikation zu verstehen, arbeiten am Institut Wissenschaftler aus den Bereichen Insektenkunde (Entomologie), Ökologie, Biochemie, Populationsgenetik und Evolution sowie der Organischen Chemie zusammen.
Der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit am Institut liegt auf der Untersuchung der Interaktionen zwischen Pflanzen und ihren Fraßfeinden. Pflanzen synthetisieren komplexe Mischungen organischer Substanzen, die fraßhemmende bzw. toxische Wirkungen auf Herbivore besitzen. Die Wirkung einzelner Komponenten konnte bereits in zahlreichen Experimenten gezeigt werden, jedoch blieben viele Fragen zur Interaktion zwischen den Organismen noch unbeantwortet. Molekularbiologische und gentechnische Methoden werden daher zukünftig an Bedeutung gewinnen.