Hormonblocker als Hoffnung gegen Muskelschwäche CMT

Göttinger Max-Planck-Wissenschaftler haben Weg gefunden, wie die erbliche Nervenkrankheit CMT gemildert werden kann

2. Dezember 2003

Eine Anti-Progesteron-Therapie könnte das Fortschreiten der Charcot-Marie-Tooth-Krankheit, kurz CMT-1A, wirksam verlangsamen, berichten jetzt Wissenschaftler des Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin, der Universität Göttingen und vom Bundesinstitut für Technologie in Zürich in der Dezember-Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature Medicine". Ihre Therapie-Studie hatte gezeigt, dass sich das Krankheitsbild bei an CMT-1A leidenden Ratten durch die Behandlung mit einem Hormonblocker verbessert, und die Überexpression des Gens PM22, dessen Duplikation dem humanen CMT-1A zugrunde liegt, zurückgeht. Unter CMT, einer erblichen Nervenkrankheit, leidet in den USA eine von 2.500 Personen. Unter den vielen genetischen Formen der Krankheit tritt CMT-1A in etwa 50 Prozent der Fälle auf. Bei CMT-1A steigt durch eine Genduplikation die Expression des Proteins PM22 in den Schwannschen Zellen um etwa das 1,5fache, was insbesondere die Nervenhüllen schädigt und zu einer Degeneration der Nervenzellen führt.

Neuropathien sind Nervenerkrankungen, die bereits in jungen Jahren zur Muskelschwäche und dann zu einer zunehmenden Behinderung im Alltag führen. Die häufigste erbliche Neuropathie wird von Humangenetikern nach ihren Entdeckern Charcot-Marie-Tooth Erkrankung (CMT) bezeichnet. CMT schädigt das periphere Nervensystem, das für die Steuerung der Bewegungsabläufe und die Verarbeitung von Sinneseindrücken verantwortlich ist. Besonders betroffen sind die Nervenhüllen, das so genannte Myelin, über das die Nervenreize übertragen werden. CMT verläuft sehr unterschiedlich - die Nervenschwäche setzt meist um das 10. Lebensjahr ein und verschlimmert sich mit zunehmendem Alter. Es treten Lähmungen und schliesslich auch eine Muskelatrophie ein. Betroffen sind vor allem die Beine, die Füsse und oft auch die Hände. Im Extremfall sind Patienten auf einen Rollstuhl angewiesen.

CMT wird durch eine Störung des Aufbaus dieser Nervenhüllen hervorgerufen, verursacht durch die abnorme Verdopplung eines Gens, das die Herstellung eines für den Aufbau der Nervenhülle benötigten Strukturproteins, des Peripheren Myelin-Proteins (PM22) steuert. In CMT-Patienten wird PM22 auf Grund der erhöhten Gendosis etwa 1,5-fach überexprimiert. Warum das Gen durch eine leicht überhöhte Expression zum Krankheitsgen mutiert, ist nicht geklärt, und eine Therapie für CMT1A bislang nicht bekannt.

Die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen haben ein Rattenmodell der CMT1A generiert ("CMT-Ratte"), indem das für die Krankheit verantwortliche PMP22-Gen als Transgen ebenfalls überexprimiert wurde. In der Folge entwickeln diese Tiere eine periphere Neuropathie, die der humanen CMT-Erkrankung (von Neurologen auch HMSN bezeichnet) sehr nahe kommt, mit peripherer Hypomyelinisierung, einer verringerten Nervenleitgeschwindigkeit und zunehmender Muskelschwäche. Im Schnitt, so Prof. Klaus-Armin Nave, Direktor am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin, wird PM22 in Ratten etwa 1,6fach mehr exprimiert, doch bei Menschen mit CMT-1A variert der Grad der Überexpression und das klinische Krankheitsbild extrem. Das lässt vermuten, dass es - zusätzlich zur Duplikation des PM22-Gens selbst - noch andere, die Genexpression bei CMT-1A beeinflussende Faktoren geben muss. Wenn wir diese finden könnten, so Nave, wäre es möglich, den Krankheitsverlauf positiv zu beinflussen.

Deshalb sind die Göttinger Forscher jetzt einen wichtigen Schritt weiter gegangen, und haben das transgene Ratten-Modell erstmals für eine experimentelle Therapiestudie ("proof of principle study") eingesetzt. Dabei nutzten die Wissenschaftler die Erkenntnis anderer Forscher, wonach die Gene für Myelinproteine in kultivierten Gliazellen unter anderem durch das Steroidhormon Progesteron stimuliert werden. Daher stellten sich die Max-Planck-Wissenschaftler die Frage, ob die Gabe von einem Anti-Progesteron (Onapristone) im Tier die Expression des PMP22- Gens entsprechend negativ beeinflusst. Die Antwort war ja. Tatsächlich zeigte sich bei der täglichen Injektion des Progesteron-Antagonisten Onapristone über sieben Wochen, dass die 1,5-fache Überexpression von PMP22 in der CMT-Ratte um 15 Prozent zurück ging. Diese leichte Reduktion der Boten-RNA von PMP22 reichte bereits aus, um den Krankheitsverlauf der Ratte, der über sieben Wochen hinweg genau verfolgt wurde, bereits deutlich im Vergleich zu einer parallelen Placebo-Behandlung zu mildern, wenn auch nicht vollständig zu heilen.

Umgekehrt führte die Gabe von Progesteron selbst zu einer weiteren Stimulierung des PMP22-Gens und einer sichtbaren Verschlechterung des CMT-Krankheitsverlaufs in der Ratte. Damit ist es den Forschern gelungen, den Progesteronrezeptor (ein Gentranskriptionsfaktor) als pharmakologisches Ziel für die mögliche Therapie einer genetischen Krankheit zu identifizieren. Darüber hinaus erscheint es für Patienten, die eine PMP22-Genduplikation tragen, wenig ratsam, Progesteron, das z.B. in manchen Verhütungsmitteln enthalten ist, langfristig einzunehmen.

Nave plant nun weitere Langfriststudien mit anderen Progesteron-Blockern, die die Nebenwirkungen von Onapristone nicht aufweisen. Hierbei wird sich zeigen, ob ein Progesteron-Rezeptor-Antagonist für eine kausale CMT1A-Therapie beim Menschen geeignet sind. Dabei müssen neben der Klärung möglicher pharmakologischer Nebenwirkungen auch noch Fragen nach der langfristigen Wirksamkeit und möglichen Unterschieden zwischen männlichen und weiblichen CMT-Tieren bzw. Patienten beantwortet werden.

"Fernziel könnte es sein, einen auf diese Weise gefundenen Progesteron-Antagonisten mit den geringsten Nebenwirkungen und optimierter Dosierung in einer ersten klinischen Studie bei Patienten einzusetzen," sagt Nave. "Auch wenn wir nicht in der Lage sein sollten, die Ursache der Krankheit ganz zu beseitigen - wenn es uns gelingt, die Genexpression zu regulieren, sollten wir künftig zumindest die Folgen solcher Mutationen lindern und Patienten wesntlich mehr Jahre mit einer guten Lebensqualität ermöglichen können." Für diesen Weg von "bench to bedside" ermöglichen transgene Tiermodelle wichtige Vorarbeiten.

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