Molekulare Klettverschlüsse machen Holz formbar

Forscher haben einen bisher unbekannten molekularen Mechanismus entdeckt, durch den sich Holz zerstörungsfrei verformen lässt

25. November 2003

Mit den außergewöhnlichen Eigenschaften von biologischen Materialien wie Knochen oder Holz beschäftigen sich Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam. Gemeinsam mit Kollegen aus Wien und Leoben (Österreich) sowie aus Kiel und Grenoble (Frankreich) haben die Forscher dünne Holzfolien und -fasern im Röntgenstrahl der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESRF gedehnt und alle hierbei ablaufenden molekularen Veränderungen beobachtet. Dabei haben sie in der Zellwand einen molekularen Mechanismus entdeckt, mit dem sich Holz - ähnlich wie Metall - verformen kann, ohne dass Beschädigungen auftreten. Diese Verformung beruht auf spiralförmig gewundenen Zellulosefibrillen, die in der Wand der Holzzellen liegen und durch eine Matrix aus Polymeren miteinander verbunden sind. Werden diese Fibrillen nun durch starke Kräfte verdreht, löst sich ihre Verbindung untereinander und rastet - sobald diese äußeren Kräfte nachlassen - in einer neuen Position wieder ein, wie bei einem Klettverschluss. Dieser Klettverschluss ermöglicht Holz eine ähnlich "plastische Reaktion" wie bei Metallen. Die Ergebnisse werden in der Dezember-Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift "Nature Materials" (Online-Publikation: 16. November 2003) veröffentlicht.

Bäume haben ihre innere Struktur und äußere Gestalt über Jahrmillionen an die Umweltbedingungen angepasst. Ihr Holz muss zwei Anforderungen gleichzeitig erfüllen: mechanische Stabilität und effizienter Wassertransport. Nur wenn beides in einem optimalen Kompromiss gewährleistet ist, können Bäume bis zu 120 Meter hoch in den Himmel wachsen. Mikroskopisch betrachtet ist Holz ein komplex aufgebautes Material, ein Nanokomposit, der komplett aus Polymeren besteht und dennoch bemerkenswert fest ist. Ein Grund dafür ist seine Adaptionsfähigkeit: Holz kann nicht nur die äußere Form eines Stamms oder Asts, sondern auch seine molekulare Struktur an die natürlichen Anforderungen anpassen. Es besteht im Wesentlichen aus parallelen Röhren, den Holzzellen, deren Zellwände aus Zellulosefibrillen sowie einer Matrix aus Hemizellulose und Lignin aufgebaut sind. Die nur wenige Nanometer dicken Zellulosefibrillen sind wiederum spiralförmig um den zylindrischen Hohlraum der Holzzelle gewickelt. Bisher war wenig darüber bekannt, ob die Steifigkeit und Dehnbarkeit des Holzes eher durch diese Fibrillen in der Zellwand oder durch Interaktionen zwischen den Holzzellen selbst beeinflusst wird.

Um hinter die molekularen Details dieser Verformungsmechanismen innerhalb der Zellwand zu kommen, haben die Wissenschaftler unterschiedliche Holzproben an der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle in Grenoble mit Röntgenstrahlung untersucht. Dazu hatten der Physiker Jozef Keckes und der Holzbiologe Ingo Burgert gemeinsam mit ihrem Team dünne Holzfolien und auch einzelne -zellen präpariert. Die Holzzellen mit einem Durchmesser von 25 Mikrometern, also deutlich dünner als ein menschliches Haar, wurden dann kontrolliert gedehnt und simultan mit der Streuung von Synchrotronstrahlung analysiert. Mit dieser Methode konnten die Wissenschaftler erstmals messen, wie sich der Spiralwinkel der Zellulosefibrillen während der Verformung verändert. Die Forscher stellten fest, dass Holzzellen ähnlich wie Spiralfedern reagieren, denn auch im Holz wurde der Winkel der Spiralen mit zunehmender Dehnung immer steiler. Damit war klar, dass der Verformungsmechanismus nicht durch Zell-Zell-Interaktionen, sondern innerhalb der Zellwand vermittelt wird.

Die Wissenschaftler konnten genau klären, wieso Holz stark verformt werden kann, ohne dass es beschädigt wird. Diese Eigenschaft kennt man eigentlich nur von Metallen: Diese kann man walzen oder schmieden und sie sind danach genauso steif wie zuvor. Doch die Metalle haben dafür einen speziellen Mechanismus, bei dem so genannte Versetzungen durch das Kristallgitter gleiten, ohne das Metallgitter zu schädigen. Etwas Vergleichbares aber war bisher für Polymer-Verbund-Materialien nicht bekannt. Die neuen Untersuchungen zeigen jetzt, dass sich die Polymermatrix, welche die Nanofasern aus Zellulose verbindet, ähnlich wie ein Klettverschluss öffnen und dann in einer neuen Position wieder einrasten kann. Welche molekularen Bindungen bei diesem Öffnen und Schließen tatsächlich beteiligt sind, ist noch nicht klar. Doch die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich bei der Verformung eine größere Zahl unspezifischer chemischer Bindungen vorübergehend löst. Sobald der äußere Stress aufhört, gleiten die Nanofibrillen nicht zurück, sondern rasten gewissermaßen an einer anderen Stelle wieder ein, indem sich dort die zuvor geöffneten chemischen Bindungen wieder schließen. Das ist der tiefere Grund, warum sich Holz zerstörungsfrei verformen lässt.

"Das Gleiten von Versetzungen, auf dem die plastische Verformung von Metallen beruht, ist in Holz offenbar durch einen molekularen Klett-Mechanismus ersetzt, sagt Prof. Peter Fratzl, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung und Leiter des gemeinsamen Forschungsprojektes. "Doch unsere neuen Forschungsergebnisse geben nicht nur Aufschluss, wie die Natur die von ihr verwendeten Materialien optimiert hat, sondern sie sind auch wichtige Anhaltspunkte für die Entwicklung neuartiger biomimetischer Materialien."

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