Hyperschnelle Lichtblitze enthüllen Innenleben von Molekülen
Forscherteam gelingen erstmals Serien absolut identischer ultrakurzer Laserpulse, die künftig schnelle elektronische Vorgänge im Inneren von Atomen aufdecken und kontrollieren können
Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und der Technischen Universität Wien ist es gelungen, die Bewegung von Elektronen mit bisher nicht bekannter Genauigkeit zu kontrollieren und damit einzelne Lichtpulse im Attosekunden-Bereich zu erzeugen. Dies gelang, weil die Max-Planck-Forscher um Prof. Theodor Hänsch ihre Technik der Laser-Frequenzkämme für Präzisionsmessungen kombinierten mit den Erfahrungen von Prof. Ferenc Krausz und seinen Mitarbeitern am Wiener Institut für Photonik im Umgang mit ultraschnellen Lasern. Auf diese Weise konnten die Forscher erstmals nicht nur die Helligkeit sondern auch den genauen Verlauf des elektrischen Feldes in einem Laserpuls steuern. Die dadurch mögliche perfekte Kontrolle von Licht lässt völlig neue Anwendungen erwarten: Laser-Experimente im Femtosekundenbereich können Einblicke in die Bildung und das Schwingungsverhalten von Molekülen liefern, mit Attosekundenblitzen wird man in Zukunft sogar Vorgänge in der Elektronenhülle von Atomen verfolgen können (Nature, 6. Februar 2003). Das Zeitalter der Attophysik hat begonnen, die vom Fachmagazin "Science" zu den zehn wichtigsten wissenschaftlichen Errungenschaften des Jahres 2002 gezählt wird.
Seit Jahren liefern sich verschiedene Labors ein Wettrennen in der Erzeugung immer kürzerer Laser-Lichtblitze. Dabei ist man inzwischen bei Pulsdauern von nur noch wenigen Femtosekunden angekommen (1 Femtosekunde ist ein Millionstel einer milliardstel Sekunde). Wie mit einem Stroboskop (einem Blitzgerät zur Sichtbarmachung von schnellen periodischen Bewegungen) kann man mit wiederholten Laserblitzen die Bildung wie auch die Schwingung von Molekülen in Echtzeit beobachten. Und im Jahr 2002 gelangen die ersten Experimente mit Lichtblitzen im Attosekundenbereich - eine Attosekunde (10-18 s) ist der millionste Teil eines Millionstels einer millionstel Sekunde. Würde eine Sekunde unseres Lebens so lange dauern wie das Alter des Universums, wäre eine Attosekunde davon noch immer kürzer als eine Sekunde. In einer Attosekunde legt das Licht gerade einmal eine Entfernung zurück, die kaum größer ist als die Länge eines Wassermoleküls. Die natürlichen Schwingungen eines Moleküls vollziehen sich innerhalb von Zeiten, die in der Größenordnung von einigen zehntausend Attosekunden liegen; selbst die schnelle Bewegung von Elektronen um einen Atomkern wird in einigen Hundert bis einigen Tausend Attosekunden gemessen, und eine einzige Schwingung einer Welle von sichtbarem Licht dauert etwa 2000 Attosekunden.
Bei den jetzt erzeugten Attosekundenpulsen handelt es sich um Blitze weicher Röntgenstrahlung, die entstehen, wenn man intensive Lichtpulse eines Femtosekundenlasers in ein Gas fokussiert. Durch das starke elektrische Feld werden Elektronen aus den Gasatomen herausgerissen und beschleunigt. Da sich das Feld nach kurzer Zeit umkehrt, können solche Elektronen wieder zum Atom zurückkehren, wo sie die in der Zwischenzeit aufgesammelte Energie in einem Spektrum hoher Harmonischer Frequenzen abstrahlen. Allerdings war bisher nur die zeitabhängige Helligkeit oder "Einhüllende" der eingestrahlten Laserpulse messbar, etwa durch Autokorrelationsmessungen die einen Puls mit seiner eigenen zeitverzögerten Kopie vergleichen. Der Verlauf des elektrischen Feldes innerhalb der Puls-Einhüllenden war unbekannt und blieb bei allen bisherigen Experimenten dem Zufall überlassen. Wie bei einer stroboskopischen Blitzlampe mit Wackelkontakt entstanden so im Gas in unkontrollierter Weise manchmal Einzelblitze und manchmal Mehrfachblitze, und die Deutung der Messergebnisse erforderten das Gespür eines guten Detektivs.
Für die Erzeugung hoher Harmonischer und auch für andere nichtlineare Effekte in der Wechselwirkung kurzer Lichtblitze mit Materie ist die genaue Lage der optischen Zyklen innerhalb der Einhüllenden wichtig. Deshalb suchen Wissenschaftler seit einer Zeit nach Möglichkeiten, das elektrische Feld der Laserblitze zu kontrollieren. Diese Pulse kann man sich als ein oszillierendes elektromagnetisches Feld vorstellen, das in die eigene "Hülle" eingeschnürt ist und zwischen zwei Spiegeln in einem Laser-Resonator hin und her pulsiert. Wenn einer dieser Spiegel einen Teil des Lichtes durchlässt, tritt bei jeder Hin- und Herbewegung jeweils ein Teil des Laserpulses aus und bildet eine Pulskette. Doch obwohl sie auf identische Weise entstehen, sehen die Pulse einer solchen Kette nicht gleich aus. Die Feldschwingungen der so genannten optischen Trägerwelle sind ein wenig versetzt. Das liegt daran, dass die Trägerfrequenz im Allgemeinen nicht vereinbar ist mit der Pulswiederholfrequenz. Daher ergibt sich bei der Mittelung der Wirkung vieler Laserpulse ein unbekannter zufälliger Feldverlauf.
Bereits vor einigen Jahren fanden die Max-Planck-Quantenphysiker um Theodor Hänsch einen Weg, diesen Defekt bei einem Femtosekundenlaser sehr hoher Pulswiederholrate zu überwinden. Das Ziel war es, einen neuen Weg zu finden, um die Frequenz von Licht sehr genau zu messen. Die Erfindung, ein Laser-Frequenzkammgenerator, revolutioniert heute die Präzisionsspektroskopie und liefert erstmals ein praktisches "Uhrwerk" für zukünftige optische Atomuhren (Nature, 2002). Hierbei lernten die Forscher auch, wie man den Feldverlauf der Laserpulse stabilisieren kann. Inzwischen werden solche Stabilisierung von dem Martinsrieder Startup-Unternehmen Menlo Systems GmbH, einer Ausgründung des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik, sogar kommerziell angeboten.
Der Wiener Gruppe um Ferenc Krausz wiederum gelang eine andere Innovation in der Lasertechnik. Mit vergleichbar exotischer Technik wie die Garchinger Forscher erzeugten sie hochenergetische und zugleich ultrakurze Laserpulse. Solche Pulse haben nach dem Fokussieren ein genügend hohes Feld, um in einem Gas auf dem oben beschriebenen Weg weiche Röntgenblitze von zuletzt nur noch 500 Attosekunden Dauer zu erzeugen.
Der Hochleistungslaser aus Wien wurde mit der Technik aus Garching stabilisiert, so dass jeder der Laserpulse mit einer Spitzenleistung von 100-Milliarden-Watt jetzt identisch ist. Das bedeutet, dass Elektronen, die im Fokus des Lasers von einem Atom weggerissen werden, identischen Wegen folgen und zu identischen Zeiten wieder zum Rumpf zurückkehren. Insbesondere wurde es damit erstmals möglich, die Lichtphase so einzustellen, dass innerhalb eines Laserblitzes kontrolliert und zu einem wohlbestimmten Zeitpunkt nur ein einzelner weicher Röntgenblitz entsteht. In diesem Falle verwandelt sich das Spektrum bei den höchsten Frequenzen in ein glattes Kontinuum, und die sonst vorhandenen Maxima bei harmonischen Frequenzen verschwinden.
Die jetzt mögliche präzise Kontrolle des elektrischen Feldes eines Lasers ermöglicht eine Reihe neuer Effekte und Anwendungen. Von besonderer Bedeutung ist die Erzeugung von Lichtpulsen im Attosekundenbereich, denn nur mit immer kürzeren Pulsen lassen sich immer kleinere und schnellere Vorgänge verfolgen. Geht es beim Femtosekundenlaser noch um die Bewegung der Kerne in Molekülen, lassen sich mit Attosekunden-Pulsen sogar Umstrukturierungen der Elektronenhülle beobachten und steuern. So kann man künftig zum Beispiel die Bewegung von Elektronen, die durch Photonen angeregt wurden, um ihr Mutter-Ion zeitaufgelöst verfolgen. Philipp H. Bucksbaum, University of Michigan, kommt in seinem "News and Views"-Artikel in der selben Nature-Ausgabe deshalb zu dem Ergebnis, die jetzt demonstrierten phasenstabilisierten Laserpulse markierten tatsächlich den Beginn einer Ära der Attophysik - das Studium physikalischer Prozesse auf der Attosekunden-Zeitskala.