Gehirn schließt von Korrelation auf kausale Beziehung
Forschern entschlüsseln, wie Bilder und Geräusche zu einer Wahrnehmung integriert werden
Um mitzubekommen, was in der Umgebung passiert, muss das Gehirn die Informationen mehrerer Sinne zusammenführen. Doch woher weiß es, welche Signale integriert werden müssen? Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik, des Bernstein Zentrums Tübingen, der Universitäten Oxford und Bielefeld haben diese Prozesse genauer untersucht: Sie haben festgestellt, dass das menschliche Gehirn die Korrelation zwischen den zeitlichen Veränderungen der Signale nutzt, um herauszufiltern, welche Signale zusammengehören und welche unabhängig voneinander verarbeitet werden müssen.
Signale von mehreren Sinnen, die ihren Ursprung im gleichen Ereignis haben, ähneln sich häufig. So haben zum Beispiel ein Feuerwerk am Silvesterabend, ein fallender Gegenstand, der mehrmals auf dem Boden aufprallt, und die Schritte einer Person auf der Straße gemeinsam, dass sich die zeitliche Abfolge der dabei entstehenden Seh- und Höreindrücke größtenteils ähnelt, das heißt, sie stehen in Korrelation zueinander. In diesen Fällen nehmen Menschen unweigerlich an, dass die Seh- und Höreindrücke von ein und demselben Ereignis in der Welt herrühren. Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass das Gehirn einfach die Gleichzeitigkeit der Sinneseindrücke registriert. Tatsächlich bildet jedoch die Ähnlichkeit der zeitlichen Strukturen der Sinnessignale für das Gehirn eine verlässliche Grundlage bei der Entscheidung, ob die Signale verschiedener Sinne eine gemeinsame Ursache haben.
Cesare Parise vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen sowie des Bernstein Zentrums Tübingen und seine Kollegen haben die Rolle der Signalkorrelation bei der gemeinsamen Verarbeitung der Eindrücke verschiedener Sinne genauer untersucht, indem sie Studienteilnehmer bei Experimenten eine Abfolge von Tönen und Bildeinblendungen lokalisieren ließen. Die Studienteilnehmer saßen dabei vor einer großen Leinwand, von der aus akustische Reize als Abfolge von einzelnen Klickgeräuschen und Sehreize als Abfolge aufblitzender Flecken aus verschiedenen Richtungen im Raum eingespielt wurden. Bei einem Teil der Versuche wurden nur Seh- oder nur Hörreize präsentiert, bei anderen Versuchen wurden beide Reize in Kombination abgespielt. Bei den Kombinationsversuchen waren außerdem die Abfolgen der Seh- und Hörreize teilweise miteinander korreliert, teilweise nicht. Die Studienteilnehmer hatten jeweils die Aufgabe, die Reizquelle zu lokalisieren.
Wie bei früheren Studien waren die Angaben der Testpersonen präziser, wenn die Geräusch- und Bildabfolgen zusammen statt einzeln präsentiert wurden. Waren die Reize nicht miteinander korreliert, war die Präzision nur unwesentlich erhöht. Die Präzision war am höchsten, wenn die Geräusch- und Bildabfolgen miteinander korrelierten, dann erreichte die Leistung der Studienteilnehmer fast das theoretische Maximum.
Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen die Signale mehrerer Sinne nur dann optimal miteinander kombinieren, wenn diese zeitlich korrelieren. Frühere Forschungen hatten ergeben, dass eine optimale Integration nur zustande kommt, wenn das Gehirn sicher ist, dass die Signale eine gemeinsame Ursache haben. Das Gehirn nutzt also die statistische Korrelation zwischen den Sinnessignalen, um auf eine gemeinsame physikalische Ursache zu schließen, es schätzt ab, ob die Sinne gleichartige Informationen liefern, die integriert werden sollten.
Den Forschern zufolge hat das Gehirn mit dieser Verarbeitungsweise eine effiziente Fähigkeit entwickelt, sich einen sicheren Weg durch die Vielzahl der Umgebungsreize des Alltagslebens zu bahnen, die unaufhörlich von allen Sinnen auf das Gehirn einströmen. „Dadurch können wir beispielsweise bei einer lauten Cocktailparty zuordnen, welche Person mit welcher Stimme spricht“, sagt Cesare Parise. „Unsere Augen und Ohren nehmen ständig Sinnesinformationen auf, und unser Gehirn gibt allem einen Sinn, indem es Bilder und Geräusche mit ähnlichen zeitlichen Strukturen zusammenführt.“
Obwohl es sich um einen allgemeinen Aspekt der Verarbeitung von Sinnesinformationen handelt, weiß man bisher wenig über die Details, wie die statistischen Eigenschaften der Signale helfen, verschiedene Sinnesreize mit komplexen dynamischen zeitlichen Mustern zu integrieren. Mit den neuen Forschungsergebnissen wird nun die Rolle eines sehr generellen Prinzips verdeutlicht, mit dem das Gehirn die Korrespondenz mehrerer Wahrnehmungssignale identifiziert. Was auf den ersten Blick als Trugschluss erscheint, nämlich aus der Korrelation einen ursächlichen Zusammenhang abzuleiten, erweist sich als Regel bei der Wahrnehmung.
JE/HR