Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Forschungsstelle für Enzymologie der Proteinfaltung

Katalysierte Proteindynamik und -aggregation regulieren Proteinfunktionen

Control of protein functioning by catalyzed protein dynamics and protein aggregation

Autoren
Fischer, Gunter
Abteilungen
Enzymologie der Proteinfaltung (Prof. Dr. Gunter Fischer)
Zusammenfassung
Die Proteinfaltung und die Biokatalyse sind wichtig für alle Lebensvorgänge. Max-Planck-Forscher arbeiten an den molekularen Zusammenhängen beider Prozesse. Inwieweit ist die Hauptkettendynamik eines Proteins der Schlüssel zum Verständnis der Biokatalyse und von Krankheiten wie Morbus Alzheimer und Parkinson? In den Experimenten werden Zwischenstufen bei der Bildung pathologischer Proteinaggregate, aber auch sog. Michaelis-Komplexe nachgewiesen. Dabei lässt sich die Kettendynamik bei der Biokatalyse und bei der Entstehung von Amyloidfibrillen getrennt von anderen Faktoren untersuchen.
Summary
Both protein folding and biocatalysis are most important for life. A major aim of work of Max Planck researchers is to elucidate their interplay. Knowing whether or not chain dynamics play a key role for biocatalysis and misfolding diseases like Alzheimer´s and Parkinson´s is essential for avoiding malfunction of proteins in the cell. Their experiments are designed to characterize aggregation intermediates as well as folding-relevant Michaelis complexes. The methods allow for separate insight in chain dynamics during biocatalysis as well as in the formation of amyloid fibrils.

Biokatalyse

Biokatalysatoren, die Enzyme, sind in den meisten Fällen Eiweißstoffe, die im Verlauf der Evolution darauf optimiert worden sind, dass sie physiologisch wichtige Stoffumwandlungen selektiv  beschleunigen können. Verglichen mit der unkatalysierten chemischen Reaktion werden in ihrer Gegenwart 1010-1020-fach höhere Produktbildungsgeschwindigkeiten gemessen. Der molekulare Ursprung dieser enormen katalytischen Kraft von Enzymen ist schon lange Gegenstand intensiver Untersuchungen vor allem auf der Basis von  quantenchemischen Berechnungen, der Methoden der Chemie und Biochemie sowie der  Molekularbiologie. Diese Anstrengungen sind gerechtfertigt: Je mehr wir über die molekularen und submolekularen Besonderheiten der Biokatalyse wissen, umso mehr  wächst unsere Fähigkeit, maßgeschneiderte Biokatalysatoren für technische Stoffumwandlungsprozesse neu zu entwickeln oder auch pathophysiologische Zellprozesse durch metabolische Steuerung und Enzymengineering zu normalisieren. Trotz aller Anstrengungen liegt der Ursprung der katalytischen Kraft von Enzymen nach wie vor im Dunklen. Zunehmend stellt sich heraus, dass ein statisch bestimmtes Bild der Biokatalyse unzutreffend ist. Vielmehr tragen die dynamischen Eigenschaften der Biokatalysatoren selbst zu den beobachteten Reaktionsbeschleunigungen bei.

Kontrovers ist gegenwärtig, inwieweit die Konformationsdynamik der Proteinkette eines Enzyms im Mikro- bis Millisekundenbereich  im Michaelis-Komplex – dem Enzym-Substrat-Komplex – mit chemischen Schritten der Katalyse gekoppelt ist oder diese sogar kontrolliert. Besonders hinderlich für den experimentellen Zugang eines durch die Proteindynamik determinierten  Biokatalysemodells ist die Tatsache, dass eine Änderung der Proteindynamik durch Temperaturänderungen zwar leicht zu bewerkstelligen ist, dass aber dem exponenziellen Anstieg der Reaktionsgeschwindigkeit mit der Temperatur ein Aktivitätsverlust durch reversible und irreversible Entfaltungsvorgänge entgegensteht. Im Endeffekt ist die Trennung der Einzelvorgänge voneinander schwierig. Zudem wirkt eine Temperaturänderung auf alle bindenden Wechselwirkungen in einem Proteinein, sodass eine nicht vorhersagbare Verteilung der Dynamik der Kettenbewegungen in einem Protein entsteht. Mit der Entdeckung und Charakterisierung spezifischer Peptidbindungs-cis/trans-Isomerasen  hat man nun die Möglichkeit , in einem Proteinsubstrat die Dynamik des Proteinrückgrates in einem lokal begrenzten Areal vorhersagbar zu erhöhen. Andere Bereiche der Kette weisen dabei eine Dynamik auf, die der jeweiligen Umgebungstemperatur entspricht.

Die Wissenschaftler um Gunter Fischer haben eine proteolytische Reaktion identifiziert, bei der es möglich sein sollte, den Anstieg in der Kettendynamik einer inaktiven Protease mit der Aktivierung der Proteasefunktion in Gegenwart einer Peptidbindungs-cis/trans-Isomerase zu korrelieren. Diese Reaktion ist als Signalweg für die  Immunantwort einer Pflanze auf den Befall mit dem Bakterium Pseudomonas syringae bekannt. Dabei wird die inaktive Cysteinprotease AvrRpt2 über ein Typ III-Sekretionssystem  der Bakterien in eine Pflanze, die Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana, eingeschleust. ROC1, eine prototypische Peptidyl-Prolyl-cis/trans-Isomerase in Arabidopsis, aktiviert dann die proteolytische Funktion von AvrRpt2 derart, dass nun bestimmte Resistenzproteine wirksam werden können (Abb. 1).

Die Wissenschaftler haben in ihren Arbeiten herausgefunden, dass die enzymkinetischen Parameter der proteolytischen Reaktion anhand der Spaltung  eines fluoreszenzmarkierten Dekapeptides in vitro leicht zugänglich gemacht werden können. Ein relativ stabiles, kurzes Fragment von AvRrpt2 mit der Molmasse von ca. 21 kDa zeigt ebenfalls alle katalytischen Eigenschaften des Volllängenproteins, so dass nachgewiesen werden konnte, dass die Aktivierung von AvrRpt2 über die Bindung dieses Proteins an das katalytische Zentrum von ROC1 erfolgt. Mit diesem experimentellen Ansatz gelingt auch die getrennte Berechnung von Effekten, die entweder durch die Bindung von ROC1 an AvrRpt2 oder aber durch die vergrößerte Hauptkettendynamik in AvrRpt2 hervorgerufen werden.  Zuerst war  zu bestimmen, wie proteaseaktiv AvrRpt2 in Abwesenheit von ROC1 ist und wie hoch der Aktivierungsfaktor  durch die Gegenwart von ROC1 ausfällt. Das Ergebnis zeigt an, dass selbst nach einer Inkubationszeit von mehreren Tagen AvrRpt2 alleine das Substrat nicht hydrolysieren kann, während in Gegenwart von ROC1 die proteolytischen Spaltpeptide sehr schnell erscheinen. Der Aktivierungsfaktor ist demnach mindestens in der Größenordung von 105 zu berechnen (Abb. 2), [1]. Bei diesen Untersuchungen stellte sich auch heraus, dass humanes Cyclophilin A (CypA) ROC1 in der Aktivierungsreaktion mit gleicher Effizienz vertreten kann. Durch den Einsatz von punktmutierten Cyclophilinvarianten gelang der entscheidende Nachweis, dass nicht die Bindung von CypA an AvrRpt2 selbst, sondern die der Michaeliskomplexbildung nachfolgende Erhöhung der Isomerisierungsgeschwindigkeit einer Prolylpeptidbindung im AvrRpt2 für die Aktivierung dieser zuvor inaktiven Protease verantwortlich ist. Die Verminderung der Fähigkeit zur Isomerisierungskatalyse in der CypA-R55A-Variante spiegelt sich in einer über 1000-fachen Verringerung  der Geschwindigkeit AvrRpt2-katalysierter  proteolytischer Reaktionen wider. Die unterschiedliche Affinität von AvrRpt2 für CypA-R55A trägt dabei nur zu einem kleinen Teil zum  Verlust des Aktivierungsvermögens bei.

Diese Untersuchungen beweisen erstmals, dass die lokale Erhöhung der Hauptkettendynamik ein Protein dazu bringen kann, eine zuvor verborgene Fähigkeit, hier die zur Proteolyse eines Substrates, freizusetzen. Zugleich wird klar, dass dieser Mechanismus nicht nur im Reagenzglas, sondern auch in der lebenden Zelle eine Rolle spielt, z. B. bei der Immunantwort von Pflanzen auf bakterielle Infektionen. Die Wissenschaftler sind gegenwärtig dabei, das für die Aktivierung von AvrRpt2 verantwortliche Prolin in dessen Aminosäuresequenz zu identifizieren und durch NMR-Untersuchungen Aussagen über Struktur und Dynamik der relevanten Michaelis-Komplexe  zu erhalten (Mitarbeiter: Cordelia Schiene-Fischer, Christian Lücke, Günther Jahreis).

Alzheimer Krankheit

Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache einer Demenz in Deutschland. Die Krankheit beruht mutmaßlich auf der Bildung faserförmiger Eiweiß-Ablagerungen – sogenannten Amyloidfibrillen. In der Alzheimer-Krankheit bestehen diese Fasern aus dem Peptid Aβ. Es ist aber wahrscheinlich, dass nicht die Fibrillen die entscheidenden Auslöser der Krankheit sind, sondern ihre strukturellen Vorläufer, welche als Zwischenstufen des Bildungsprozesses auftreten. Mittlerweile konnten verschiedene dieser Assemblierungs-Zwischenstufen isoliert und biochemisch untersucht werden. In elektronenmikroskopischen Aufnahmen sieht man sowohl kleine, kugelförmige Strukturen, sogenannte Oligomere, als auch größere, faserförmige Zustände, die man als Protofibrillen bezeichnet (Abb. 3). Außer ihrer morphologischen Gestalt blieb aber der genauere molekulare Aufbau dieser Intermediate lange Zeit verborgen. Marcus Fändrich ist es nun zusammen mit Arbeitsgruppen in Magdeburg, Leipzig und Jena gelungen, detaillierte Einblicke in die Struktur dieser oligomeren und protofibrillären Zwischenstufen zu erhalten.

Arbeiten zur Struktur von protofibrillären und oligomeren Intermediaten wurden dadurch möglich, dass verschiedene Zwischenstufen durch geeignete Verfahren hinreichend lange stabilisiert werden konnten und so biophysikalischen Untersuchungsmethoden zugänglich wurden. Im Falle der protofibrillären Zwischenstufen gelang dies durch einen früheren Zufallsfund. Die Arbeitsgruppe hatte nämlich herausgefunden, dass ein von ihr isoliertes Antikörper-Fragment in der Lage ist, an einem spezifischen Schritt des Assemblierungs-Prozesses einzugreifen und die Umwandlung von protofibrillären Zwischenstufen in Amyloidfibrillen zu verhindern.  Auf diese Weise konnten Aβ-Protofibrillen einer tiefergehenden strukturellen Untersuchung mittels der sogenannten Festkörper-Kernspinresonanz-Spektroskopie unterzogen werden. Diese spektroskopische Methode erlaubt es, einzelne Atome innerhalb eines Moleküls und ihre chemische Umgebung zu beobachten.

Fändrich und sein Team fanden heraus, welche Strukturelemente die Assemblierungs-Zwischenstufen stabilisieren und wie sich diese in verschiedenen Zwischenstufen voneinander sowie von ausgewachsenen Amyloidfibrillen unterscheiden. Es zeigte sich, dass die Intermediate – ähnlich wie Amyloidfibrillen – eine β-Faltblatt-Struktur besitzen, dass diese aber verglichen mit den späteren Assemblierungsstufen anders angeordnet ist. Die Identifikation der stabilisierenden Elemente in amyloiden Zwischenstufen ist eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung von zielgerichteten Inhibitoren, die die Bildung derartiger Strukturen verhindert. In laufenden Arbeiten entwickelt die Gruppe daher Peptid-basierte Verfahren, um in den Mechanismus der Bildung neurotoxischer Eiweiß-Strukturen eingreifen zu können. Erste Resultate sind vielversprechend und deuten auf toxizitätsneutralisierende Wirkung hin. Langfristig erhofft man sich, daraus neue Angriffspunkte oder Zielstrukturen für die Therapieentwicklung ableiten zu können.

PDI-Chaperone und Klientproteine

Das endoplasmatische Retikulum (ER) ist der Ort in der Zelle, an dem Synthese, Faltung und Assemblierung der meisten sekretierten Proteine erfolgt. Zugleich ist das ER eingebunden in die metabolischen Prozesse von Triglyceriden und Cholesterol. Stresssignale im ER führen zur Akkumulation missgefalteter Proteine und sind , wie kürzlich herausgefunden wurde, verbundenmit der Entstehung der Fettleber und mit der Resistenz gegen Insulin bei Diabetes. Aus diesen Gründen sind Struktur und Funktion von ER-Chaperonen (Faltungshelfer-Proteine) von besonderem Interesse für die Grundlagenforschung. In ihren Arbeiten haben David Ferrari und Andreas Funknerdie Kristallstruktur einer Domäne eines der Proteindisulfidisomerase verwandten ER-Chaperons, dem ERp46, aufgeklärt und zugleich die Beziehung zwischen ERp29 und Insulinresistenz untersucht.. Eine matrixfixierte Peptidbibliothek, synthetisiert an einem planaren Träger, hat Informationen über die Bindeeigenschaften dieser Chaperone geliefert (Abb. 4a). Um zu physiologisch relevanten Daten zu kommen, wurde die erste Knock-out-Maus mit einem defekten Erp29-Gen erzeugt. David Ferrari und Irina Hirsch untersuchen derzeit Zellen und Gewebe dieser Maus. Molekulare Aspekte der Proteinfunktion in der Maus sollen zudem mit Strukturdaten von ERp29 und vom Wind-Protein korreliert werden.

ERp46 ist insofern unterschiedlich zum ERp29, als es eine katalytische Funktion in Redoxreaktionen ausüben kann. Bei unterschiedlichen  Glukosekonzentrationen wird es in den ß-Zellen der Langerhans´schen Inseln im Pankreasgewebe unterschiedlich exprimiert und es könnte auch dazu dienen, Adiponectin-Signale zu steuern. Der Unterschied in den Bindeeigenschaften für ERp29 und ERp49 kommt in den oben erwähnten Peptidbibliotheken zur Geltung. Es wurde daraus abgeleitet, dass ERp46 an zwei unterschiedlichen Stellen mit ERp29 interagieren kann. Um diese Interaktionen molekular besser zu verstehen, wurde die dritte Domäne von  ERp46 (Domäne a´) kristallisiert. In diesem Kontext ist interessant, dass in ERp29-defizienten Mäusen, ERp46 hochreguliert wird und gleichzeitig auch Proteine betroffen sind, die den Fettsäuremetabolismus steuern. Um diese Beziehungen zu überprüfen, wurden ERp29-Knock-out-Mäuse einer fettsäurereichen Diät unterworfen und dabei auf ihre Fähigkeit hin analysiert, Glukose aus dem Blut aufzunehmen (Abb. 4d). Während Wildtyp-Mäuse ein signifikant reduziertes Aufnahmeprofil zeigten, das charakteristisch für Glukoseintoleranz bei Diabetes ist, findet man für die ERp29-Knock-out-Mäuse eine signifikant verbesserte (P<0.05) Glukoseabsorption. Diese Ergebnisse sind ein Hinweis darauf, dass eine multiple Strategie bei der Analyse der Auswirkungen von PDI-verwandten Proteinen auf Signalprozesse in der Zelle notwendig ist. ERp29-Knock-out-Mäuse sind deswegen ein gutes Modell für die Rolle von PDI-ähnlichen Proteinen im Krankheitsgeschehen, einschließlich Diabetes.

Aumüller, T.; Jahreis, G.; Fischer, G.; Schiene-Fischer, C.
Role of prolyl cis/trans isomers in cyclophilin-assisted Pseudomonas syringae AvrRpt2 protease activation
Biochemistry 49, 1042-1052 (2010)
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