Schneller Wind mit wenig Kraft

Die schnellen Winde der oberen Atmosphäre liefern weniger erneuerbare Energie als bislang angenommen

5. Dezember 2011

Der Energiemix der Zukunft muss wahrscheinlich anders zusammengesetzt sein, als es sich manche Visionäre derzeit vorstellen. Denn aus Strahlströmen oder auch jet streams, die mit hohen Windgeschwindigkeiten durch die obere Atmosphäre fegen, lässt sich etwa 200-mal weniger Energie gewinnen, als bisher geschätzt. Das haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena berechnet. Die schnellen Winde galten bislang als sehr ergiebige Quelle erneuerbarer Energie. Doch ihre hohen Windgeschwindigkeiten entstehen durch die sehr geringe Reibung und nicht durch einen starken Antrieb, der für leistungsstarke Windkraftanlagen nötig ist. Mit Hilfe von Klimasimulationen stellten die Wissenschaftler außerdem fest, dass sich das Klimasystem massiv verändern dürfte, wenn aus Strahlstromwinden große Energiemengen entnommen würden.

In den Strahlstromwinden (oder jet streams) bewegt sich die Luft in Höhen zwischen 7 und 16 Kilometern mit kontinuierlichen Geschwindigkeiten von über 25 Meter pro Sekunde oder 90 Kilometer pro Stunde. Die hohen Geschwindigkeiten legen nahe, diese Winde könnten als nahezu unerschöpfliche Quelle erneuerbarer Energie dienen – tatsächlich fließen bereits umfangreiche Investitionen in Techniken, die diese Quelle mit in der oberen Atmosphäre schwebenden Windkraftanlagen anzapfen sollen. Doch die Energie der Strahlströme ist begrenzt. Sie werden, wie auch die anderen Wind- und Wettersysteme der Erde, dadurch erzeugt, dass die Sonneneinstrahlung die Tropen stärker aufheizt als die Polargebiete. Ein Temperaturunterschied in der Atmosphäre bewirkt wiederum ein Gefälle im Luftdruck, das die Antriebskraft des Windes ist. Die unterschiedliche Erwärmung setzt also die Obergrenze, wie stark Winde wehen. Sie bestimmt somit auch, wie viel davon maximal als erneuerbare Windenergie genutzt werden kann.

Stärke und Richtung der Strahlströme ergeben sich aus der beschleunigenden Kraft des Druckgefälles in der oberen Atmosphäre und der sogenannten Corioliskraft, die durch die Erdrotation erzeugt wird. Die Corioliskraft lenkt Winde auf der Nordhalbkugel nach rechts ab und auf der Südhalbkugel nach links. Aus der meteorologischen Forschung ist bekannt, dass die Strahlströme so schnell sind, weil sie in der oberen Atmosphäre fern von der Erdoberfläche entstehen. Daher sind sie fast keiner Reibung ausgesetzt – Fachleute sprechen von geostrophischem Wind. Folglich braucht es nur wenig Energie, um sie anzutreiben und aufrecht zu erhalten.

Eingriffe in die Strahlströme würden das Klimasystem massiv verändern

„Genau dieser geringe Energiebedarf ist es, der das Potential zur Nutzung als erneuerbare Energiequelle begrenzt“, erklärt Axel Kleidon, Leiter der unabhängigen Max-Planck-Forschungsgruppe Biosphärische Theorie und Modellierung. Basierend auf der atmosphärischen Energetik errechnet Kleidons Gruppe mithilfe von Klimasimulationsmodellen die maximale Rate, mit der aus der globalen Atmosphäre Windenergie entzogen werden kann. Ihrer Abschätzung zufolge erzeugen die Strahlströme nur eine Leistung von 7,5 Terawatt (ein Terawatt entspricht einer Million Megawatt). Sie liefern somit 200-mal weniger nutzbare Windenergie, als vorherige Studien ermittelten, und lediglich etwa die Hälfte des Primärenergiebedarfs der Menschheit, der sich im Jahr 2010 auf rund 17 Terawatt belief.

Die Max-Planck-Forscher untersuchten auch, wie sich das Klima verändern würde, wenn Strahlströme im großen Stil als erneuerbare Energiequelle angezapft würden: Jede Windturbine baut einen Widerstand auf, um Windenergie letztlich in Strom umzuwandeln. Daher ändert sich die Kräftebilanz der Strahlströme, sobald diese Energie entzogen wird. Und sie würde sich massiv ändern, wenn Turbinen die gesamten 7,5 Terawatt abgriffen, die in den Strahlströmen enthalten sind. In der Folge verschwände das Druckgefälle zwischen der Äquatorregion und den Polen und das gesamte Klimasystem würde sich verlangsamen. „Wenn wir in der Atmosphärenschicht, in der die Strahlströme vorkommen, durch Windturbinen 7,5 Terawatt entnähmen, würden in der Atmosphäre insgesamt rund 300 Terawatt weniger Energie erzeugt“, erläutert Lee Miller, Erstautor der Studie. „Dies würde die Temperatur und das Wetter drastisch beeinflussen.“

Zu wenig Windkraft und zu viel Risiko – die schnellen Winde dürften zum künftigen Energiemix weniger beitragen, als manche hofften: „Unsere Erkenntnisse zeigen, dass das Potenzial der Strahlstöme als erneuerbare Energiequelle überschätzt wurde“, sagt Axel Kleidon. „Wir müssen zudem sorgfältig untersuchen, wie sich umweltfreundlich erscheinende Technologien der erneuerbaren Energiegewinnung im gesamten Erdsystem auswirken.“

EF/PH

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