Stellare Klassengesellschaft
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Astrophysiker bereits eine Menge Daten gesammelt. So hatten sie von vielen Sternen die Massen bestimmt, sie kannten die scheinbaren und die absoluten (tatsächlichen, entfernungsunabhängigen) Helligkeiten, die Farben, Oberflächentemperaturen und Spektraltypen der Sterne. Im Jahr 1913 kam der Amerikaner Henry N. Russell (1877 bis 1957) auf die Idee, einmal nachzuschauen, ob die verschiedenen Merkmale nicht irgendwie zusammenhingen. Schon einige Jahre zuvor hatte sich der Däne Ejnar Hertzsprung (1873 bis 1967) eine ähnliche Frage gestellt. Auf dem Papier hatte er viele Sterne unter die Lupe genommen und jeweils deren Leuchtkräfte und Spektraltypen miteinander verglichen.
Russell zeichnete ein einfaches Koordinatensystem mit x- und y-Achse, wie es Schüler aus dem Geometrie-Unterricht kennen. In dieses Diagramm trug er die Sterne nach Spektraltyp oder Temperatur (Abszisse) und absoluter Helligkeit oder Leuchtkraft (Ordinate) ein. Dabei zeigte sich keineswegs eine zufällige Verteilung, wie man das vielleicht erwarten könnte. Vielmehr versammelten sich die meisten Sterne auf oder in der Nähe einer Linie, die von der oberen linken Ecke schräg nach rechts unten verläuft: der Hauptreihe. Doch es gab auch Sterne, die unten links stehen. Sie sind recht heiß und gehören zu den Spektraltypen O, B, A und F. Andererseits besitzen sie sehr geringe absolute Helligkeiten, leuchten also schwach. Wer heiß strahlt, aber nur als schwaches Licht erscheint, muss eine relativ kleine Oberfläche haben: Diese Minigasbälle sitzen daher auf dem Zwergenast. Schließlich existiert noch eine zweite große Gruppe außerhalb der Hauptreihe. Ihre Vertreter stehen allesamt im oberen Bereich des Hertzsprung-Russell-Diagramms bei sehr großen absoluten Helligkeiten. Ein Teil von ihnen besitzt relativ kühle Oberflächen. Dennoch sind sie heller als die Hauptreihensterne mit den Spektralklassen K oder M. Daher müssen sie sehr große Radien aufweisen: Sie liegen auf dem Riesenast. Dem Hertzsprung-Russell-Diagramm (HRD) praktisch gleichwertig ist das Farben-Helligkeits- Diagramm (FHD). Der Spektraltyp wird durch den sogenannten Farbindex ersetzt, der die Helligkeit eines Sterns in zwei verschiedenen Spektralbereichen angibt und ein Maß für die Farbtemperatur der Sternoberfläche ist. Dabei gilt: Je größer der Farbindex, desto rötlicher erscheint der Stern. Weil die Mitglieder eines Sternhaufens alle dieselbe Entfernung zur Erde besitzen, gibt die scheinbare Helligkeit am Himmel die realen Leuchtkraftunterschiede an; daher wird in Farben-Helligkeits-Diagrammen oftmals die absolute durch die scheinbare Helligkeit ersetzt.
Helmut Hornung