Licht-durch-die-Wand-Experiment ALPS startet Suche nach Dunkler Materie
Weltweit empfindlichstes Instrument seiner Art soll Axionen erzeugen
Mit dem „Licht-durch-die-Wand-Experiment“ ALPS II startet heute bei DESY das weltweit empfindlichste modellunabhängige Experiment für die Suche nach besonders leichten Teilchen, aus denen auch die Dunkle Materie aufgebaut sein könnte. Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass diese rätselhafte Form von Materie fünfmal so häufig im Universum vorkommt wie die normale, sichtbare. Bisher hat jedoch noch niemand Teilchen dieses Stoffs beobachtet – mit dem ALPS-Experiment könnte dieser Nachweis jetzt gelingen. Entscheidende Beiträge zum neuartigen Experiment kommen von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) und des Instituts für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover.
Das rund 250 Meter lange Experiment ALPS (Any Light Particle Search) ist dabei auf der Suche nach einer besonders leichten Sorte von neuartigen Elementarteilchen. Mit der Hilfe von 24 recycelten supraleitenden Magneten aus dem HERA-Beschleuniger, intensivem Laserlicht, Präzisionsinterferometrie und hochempfindlichen Detektoren will das internationale Forschungsteam nach diesen sogenannten Axionen oder axionartigen Teilchen fahnden. Diese Teilchen sollen nur extrem schwach mit bekannter Materie reagieren, so dass sie an Beschleunigerexperimenten nicht gefunden werden können.
Gravitationswellen-Technologie für die Suche nach Dunkler Materie
Daher verwendet ALPS ein völlig anderes Messprinzip: In einem starken Magnetfeld könnten sich Lichtteilchen – Photonen – eines Hochleistungslasers in die geheimnisumwitterten Axionen und wieder zurück in Licht umwandeln. Erst jetzt, mehr als 30 Jahre nach der ersten Idee, kann eine internationale Kollaboration das Experiment nun realisieren.
Die Forschenden der Hannoveraner Institute stellen wesentliche Teile des experimentellen Aufbaus zur Verfügung und führten wegbereitende Laborexperimente durch. „Wie der Nachweis von Gravitationswellen muss die ALPS-II-Messung von Anfang bis Ende absolut zuverlässig und genau sein. Am AEI Hannover und an der Leibniz Universität verfügen wir über Jahrzehnte an Erfahrung im Bau und Betrieb der erforderlichen hochpräzisen und leistungsstarken Laserlichtquellen“, sagt Benno Willke, Leiter der Forschungsgruppe „Laser und gequetschtes Licht“ am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. „Bei ALPS II kommt unser Erfahrungsschatz der Suche nach Dunkler Materie zugute. Wir haben das Hochleistungslaser-System und zugehörige Optiken für das Experiment entwickelt, bereitgestellt und am DESY aufgebaut und in Betrieb genommen.“
Mit dem Licht durch die Wand
In einem rund 120 Meter langen Vakuumrohr, das von zwölf in gerader Reihe aufgestellten HERA-Magneten umschlossen wird, spiegelt das ALPS-Team hochintensives Laserlicht in einem sogenannten optischen Resonator hin und her. Die Hannoveraner Physiker:innen haben eine spezielle Steuerelektronik entwickelt. Sie sorgt dafür, dass der Laser immer perfekt auf den Resonator abgestimmt und die Wahrscheinlichkeit, dass aus den Laserphotonen Axionen entstehen, möglichst hoch ist.
Ein so entstandenes Axion könnte eine für die Photonen undurchdringliche Wand durchqueren, die am Ende dieser Magnetreihe steht. Hinter dieser Wand steht eine fast gleich aufgebaute Magnetstrecke. In ihr könnte sich dieses Axion wieder in Licht zurückverwandeln, das durch den Detektor am Ende aufgefangen wird. Ein zweiter optischer Resonator, der hier aufgebaut ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem Axion wieder ein Lichtteilchen wird, um den Faktor 10.000. Sieht man Licht hinter der Wand, so muss es zwischendurch ein Axion gewesen sein. „Die ersten Ideen für diesen zweiten Resonator sind übrigens schon Anfang der 90er Jahre in Hannover diskutiert worden“, erklärt Guido Müller, Direktor der Abteilung „Präzisionsinterferometrie und fundamentale Wechselwirkungen“ am AEI Hannover und Professor für Physik an der University of Florida. „Diese Ideen haben wir vor 15 Jahren wieder aufgegriffen und im Anschluss das optische Design und das Nachweisverfahren für ALPS entwickelt.“
DESY-Forscher Axel Lindner, Projektleiter und Sprecher der ALPS-Kollaboration erklärt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Photon in ein Axion und wieder zurückverwandle, allerdings trotzdem sehr klein sei – vergleichbar damit, dass man gleichzeitig mit 33 Würfeln einen Pasch werfe.
Vom Beginn der Messungen zu ersten Ergebnissen
Die Suche nach den Axionen beginnt zunächst in einem reduzierten Betriebsmodus, in dem die Suche nach „Hintergrundlicht“, welches die Anwesenheit von Axionen vortäuschen könnte, vereinfacht wird. In der zweiten Jahreshälfte 2023 soll das Experiment die volle Empfindlichkeit erreichen. Für 2024 ist dann eine Verbesserung des Spiegelsystems vorgesehen, außerdem kann später ein alternatives System zum Lichtnachweis hinter der Wand installiert werden. Mit ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Ergebnisse aus ihren Messungen mit ALPS rechnen die Forschenden für das Jahr 2024. „Selbst wenn wir mit ALPS keine leichten Teilchen finden sollten, werden wir mit dem Experiment die Ausschlussgrenzen für superleichte Teilchen um den Faktor 1000 verschieben“, ist Lindner überzeugt.
Auch für die Zeit nach der Axionen-Suche haben die Forschenden schon Pläne. Sie wollen mit ALPS beispielsweise nach hochfrequenten Gravitationswellen suchen. Außerdem wollen die Forschenden den experimentellen Aufbau weiterverwenden um herauszufinden, ob ein Magnetfeld die Ausbreitung von Licht in Vakuum beeinflusst. Diese magnetische Doppelbrechung im Vakuum wurde vor Jahrzehnten theoretisch vorhergesagt. Gemeinsam mit Kolleg:innen der University of Florida entwickeln die Hannoveraner Forschenden derzeit einen Experimentalaufbau, um diesen zukünftig am DESY zu installieren und in Betrieb zu nehmen und bei ALPS die magnetische Doppelbrechung im Vakuum zu untersuchen.
Die ALPS-Kollaboration
Insgesamt etwa 30 Forschende haben sich in der internationalen ALPS-Kollaboration zusammengefunden; sie kommen von sieben Forschungseinrichtungen: Neben DESY sind das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) und das Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität in Hannover, die Cardiff University (Großbritannien), die University of Florida (Gainesville, Florida, USA), die Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, die Universität Hamburg und die University of Southern Denmark (Odense) beteiligt.
Was sind Axionen?
Axionen sind hypothetische Teilchen. Sie gehören zu einem physikalischen Mechanismus, den der Theoretiker Roberto Peccei zusammen mit seiner Kollegin Helen Quinn 1977 vorgeschlagen hat, um ein Problem der starken Wechselwirkung – einer der vier Grundkräfte der Natur – zu lösen. 1978 haben die Theoretiker Frank Wilczek und Steven Weinberg ein neues Teilchen mit diesem Peccei-Quinn-Mechanismus in Verbindung gebracht. Da dieses Teilchen die Theorie „bereinigen“ würde, nannte Wilczek es nach einem Waschmittel „Axion“. Axionen oder Axion-ähnliche Teilchen werden von verschiedenen Erweiterungen des Standardmodells der Teilchenphysik vorhergesagt. Gäbe es sie, würden sie gleich eine ganze Reihe von heutzutage rätselhaften physikalischen Problemen lösen, unter anderem sind sie Kandidaten für die Bausteine der Dunklen Materie. Diese sollte nach aktuellen Berechnungen rund fünfmal so häufig im Universum vorkommen wie normale Materie.
Technische Hintergrundinformationen
Damit die Messung funktioniert, haben die Forschenden alle Komponenten des Experiments zur Höchstleistung getrieben. Der Lichtdetektor ist so empfindlich, dass er ein einzelnes Lichtteilchen pro Tag nachweisen kann. Auch die Präzision des Spiegelsystems für das Licht ist rekordverdächtig: der Spiegelabstand darf relativ zur Wellenlänge des Laserlichts höchstens um den Bruchteil eines Atomdurchmessers variieren. Und die jeweils neun Meter langen supraleitenden Magnete erzeugen in dem Vakuumrohr ein Magnetfeld von 5,3 Tesla, mehr als dem 100.000-fachen des Erdmagnetfelds. Die Magnete stammen aus dem 6,3 Kilometer langen Protonenring des HERA-Beschleunigers und erfuhren für das ALPS-Projekt ein Upcycling. Das Innere der ursprünglich gebogenen Magnete wurde extra für das Experiment geradegebogen, damit mehr Laserlicht in ihnen gespeichert werden kann, die Sicherheitseinrichtungen für den supraleitenden Betrieb bei –269 °C wurden komplett überarbeitet. Vorgeschlagen wurde ALPS von DESY-Theoretiker Andreas Ringwald. Er untermauerte mit seinen Berechnungen zur Erweiterung des Standardmodells auch die theoretische Motivation für das Experiment.