Winzig aber oho: Elektro-nuklearer Übergang in YbRh2Si2
 

Bei 1,5 Millikelvin tritt ein neuer stark antiferromagnetischer elektronischer Zustand auf, der durch den Kernmagnetismus angetrieben wird

27. März 2023

Experimente zeigen, dass die Verbindung YbRh2Si2 einen spektakulären elektro-nuklearen Phasenübergang in einen modulierten magnetischen Zustand bei einer Temperatur von nur 1,5 Millikelvin durchläuft.   In einer soeben veröffentlichten Arbeit hat ein internationales Team von Wissenschaftlern aus dem Vereinigten Königreich (Royal Holloway University of London) und Deutschland (Goethe-Universität Frankfurt, Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden) gezeigt, dass die winzigen Kernmomente in YbRh2Si2 bei TA = 1,5 Millikelvin einen elektronisch-magnetischen Zustand, der bei einer viel höheren Temperatur TN = 70,5 Millikelvin gebildet wird, tiefgreifend verändern.

Im Allgemeinen werden die magnetischen Eigenschaften von Festkörpern vollständig von den Elektronen bestimmt. In magnetischen Materialien tragen diese Elektronen große magnetische Momente μe, die sich unterhalb einer kritischen Temperatur ausrichten können, um einen magnetisch geordneten Zustand zu bilden. Je nachdem, ob die Momente parallel zueinander oder in unterschiedlichen Richtungen ausgerichtet sind, wird dieser Zustand als ferromagnetisch (FM), wie zum Beispiel in Dauermagneten, oder antiferromagnetisch (AFM) bezeichnet.

Im Gegensatz dazu ist das magnetische Moment μI eines Atomkerns etwa tausendmal kleiner als das elektronische Moment. Dementsprechend haben diese winzigen kernmagnetischen Momente normalerweise keinen Einfluss auf die makroskopischen Eigenschaften eines Festkörpers. Ytterbium zeichnet sich jedoch durch eine große Hyperfeinwechselwirkung aus, die den Kernmagnetismus mit dem elektronischen Magnetismus koppelt. YbRh2Si2 ist eine Schwerfermionenverbindung, in der lokale elektronische Momente durch den Kondo-Effekt mit Leitungselektronen verschränkt sind. Wie könnte also der Kernmagnetismus ins Spiel kommen?

In einer soeben veröffentlichten Arbeit hat ein internationales Team von Wissenschaftlern aus dem Vereinigten Königreich (Royal Holloway University of London) und Deutschland (Goethe-Universität Frankfurt, Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden) gezeigt, dass die winzigen Kernmomente in YbRh2Si2 bei TA = 1,5 Millikelvin einen elektronisch-magnetischen Zustand, der bei einer viel höheren Temperatur TN = 70,5 Millikelvin gebildet wird, tiefgreifend verändern. Dies wurde durch Wärmekapazitätsmessungen mit bemerkenswert hoher Auflösung und innerhalb eines anspruchsvollen Temperaturbereichs von 180 Mikrokelvin bis 80 Millikelvin gezeigt (siehe Abbildung). Diese Art von Messungen erfordert eine präzise Bestimmung der Temperatur, die unterhalb von 10 Millikelvin nur sehr schwer zu erreichen ist. Diese Experimente waren nur möglich, weil das wissenschaftliche Team in den letzten Jahren eine spezielle Messtechnik entwickelt und stark verbessert hat, die als Current Sensing Noise Thermometry bekannt ist. Sie hat neue Maßstäbe für diese Art von Messungen gesetzt.

Wie können die winzigen magnetischen Kernmomente den Zustand der mehr als tausendmal größeren elektronischen Momente so tiefgreifend verändern? Frühere Messungen haben gezeigt, dass die bei TN etablierte elektronische Ordnung in YbRh2Si2 ein schwacher AFM ist, mit einem winzigen geordneten Moment von einigen Tausendstel μe.  Außerdem ist dieser Zustand äußerst fragil und wird durch ein ungewöhnlich schwaches Magnetfeld stark beeinflusst. So entwickelt sich mit zunehmendem Feld ein paralleles elektronisches Moment bis zu etwa einem Zehntel μe. Schließlich wird bei einem bescheidenen Feld, das der winzigen magnetischen Energie von nur etwa 2 mK entspricht, die AFM-Ordnung vollständig unterdrückt.

Im Gegensatz dazu tritt bei TA = 1,5 Millikelvin ein neuer stark antiferromagnetischer elektronischer Zustand auf, der durch den Kernmagnetismus angetrieben wird.

Die in der Abbildung dargestellte Wärmekapazität bei niedrigen Temperaturen ergibt sich aus den Kernmomenten der beiden Yb-Isotope 171Yb und 173Yb. Die Hyperfeinwechselwirkung zwischen den Kernmomenten und den Elektronen begünstigt Zustände mit großer magnetischer Polarisation sowohl der Elektronen als auch der Kernmomente. Bei TA führt diese Wechselwirkung zu einem kernunterstützten Übergang in einen Zustand, in dem der elektronische Magnetismus sowohl stärker, etwa ein Zehntel μe, als auch räumlich moduliert zu sein scheint. Die Polarisierung der Kernmomente führt zu einer spektakulären Signatur in ihrer Wärmekapazität, wie in der Abbildung dargestellt.

Der Kernmagnetismus wird nur von den Isotopen 171Yb und 173Yb mit einer Gesamthäufigkeit von nur 30 percent getragen, während die übrigen Isotope kein Kernmoment besitzen. Dennoch ist der Gewinn an magnetischer Polarisationsenergie dieser winzigen Yb-Kernmomente stark genug, um die Bildung eines neuen elektronischen Zustands zu bewirken.

Zusätzlich zum ungewöhnlichen magnetischen Verhalten, über das in dieser Arbeit berichtet wird, weist YbRh2Si2 unterhalb von 10 Millikelvin unkonventionelle Supraleitung auf. Die unterschiedlichen magnetischen Zustände oberhalb und unterhalb von TA können verschiedene supraleitende Ordnungsparameter beherbergen, was der grundlegenden Frage nach dem Zusammenspiel von Magnetismus und Supraleitung eine neue Wendung gibt. Die vielleicht interessanteste offene Frage ist, ob es sich bei YbRh2Si2 um einen kristallinen topologischen Supraleiter mit Spin-Triplettzustand handelt, ein neuartiger Zustand, nach dem seit Langem gesucht wird.

 

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