Hochschulen - elitär und doch sozial verträglich

Die Exzellenz-Initiative der Bundesregierung hat die Ausdifferenzierung der deutschen Hochschullandschaft katalysiert und beschleunigt. Kritiker befürchten eine zunehmende Trennung in Elite- und Massenuniversität. Doch Marius R. Busemeyer sieht in dieser Entwicklung durchaus Chancen – und führt aus, warum und unter welchen Voraussetzungen der Prozess der Differenzierung langfristig die Leistungs- und soziale Gerechtigkeit des deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystems verbessern kann.

 

Drittens sind Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik weiter gefordert, grobe soziale Ungleichheiten zu vermeiden. Dabei gilt es zunächst zu beachten, dass der Kurzschluss, eine Ausdifferenzierung der Bildungsmöglichkeiten führe zu einer Ausdifferenzierung der Beschäftigungsformen, schlicht falsch ist. Natürlich gibt es in Deutschland heute schon ausgeprägte Ungleichheiten im Zugang zur Beschäftigung. Eine Ausdifferenzierung der Hochschulbildung an sich verschärft diese Ungleichheiten nicht, sondern führt im Idealfall dazu, dass die Zugänge zu Beschäftigung sich am Bildungssystem orientieren und nicht an den oben genannten sekundären Kriterien. Grobe soziale Ungleichheit zu vermeiden, ist nicht primäre Aufgabe des Bildungssystems, sondern der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Das Bildungssystem hat dafür zu sorgen, dass Zugänge zu Beschäftigung, die notwendigerweise ungleich sind, sich an Leistungskriterien und tatsächlichen Qualifikationen orientieren. Dazu eignet sich ein ausdifferenziertes Hochschulsystem besser als ein undifferenziertes.

Damit sind die Voraussetzungen aufgezählt, unter denen eine Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft kein Problem, sondern einen Fortschritt bedeuten könnte. Doch bleibt noch die Frage, welche Vorteile im eigentlichen Sinne damit verbunden wären.

Studium im Ausland wird attraktiver

Hierbei muss berücksichtigt werden, dass das deutsche Hochschulsystem in Konkurrenz mit anderen steht. Im Bereich der Forschung läuft schon seit Längerem die Diskussion um den brain drain. Die anekdotische und vielfach journalistisch dokumentierte Evidenz sowie einzelne systematische Untersuchungen (etwa des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft aus dem Jahr 2002) zeigen, dass dieses Phänomen höchst real ist und dass für eine Rückkehr nach Deutschland meist nicht berufliche, sondern private und lebensweltliche Gründe den Ausschlag geben.

Der Wettbewerb der Hochschulsysteme dreht sich jedoch nicht nur um Forscher, sondern auch um Studierende. Die verbesserte Anerkennung von Schulabschlüssen innerhalb der EU sowie die höhere Mobilitätsbereitschaft der jüngeren Generationen machen ein komplettes Studium anstelle nur einzelner Semester im Ausland immer attraktiver – allerdings nur in bestimmten Ländern (Großbritannien, USA, Schweiz) und nur für jene, die sich das leisten können.

Und genau hier liegt die Gefahr: Wer gut situiert ist und die hohen Kosten für Studiengebühren und Lebenshaltung in Oxford, Cambridge, St. Gallen, Zürich oder Boston tragen kann, wird seine Kinder lieber dorthin als an deutsche Massenuniversitäten schicken. Der Besuch dieser tatsächlichen Elite-Universitäten sendet damit wiederum ein starkes Signal an zukünftige Arbeitgeber aus. Ein undifferenziertes Hochschulsystem mag zwar dem Leitbild der Gleichheit der Universitäten gerecht werden; das nützt jedoch nicht viel, wenn sie alle gleich wertlos erscheinen und die attraktiven Arbeitsplätze den Absolventen ausländischer Spitzenuniversitäten vorbehalten bleiben.

Die Schaffung hochwertiger und international wettbewerbsfähiger Universitäten in Deutschland – die in einem öffentlichen Bildungssystem immer auch ein Eingreifen der Politik erfordert – könnte den Abwanderungsdruck mindern. Gleichzeitig bestünde die Chance, die Schattenseiten genuin elitärer Hochschulsysteme zu vermeiden. Entscheidungen über den Zugang zu Beschäftigung würden transparenter und damit legitimierungsbedürftiger. Nicht mehr Herkunft oder private Netzwerke, sondern Leistung entscheidet. Dies beträfe auch die Verteilung von Forschungsmitteln – selbst wenn, wie Kritiker der Exzellenzinitiativen nicht ganz unberechtigt bemerken, im jetzigen Verfahren vor allem die Universitäten zum Zug gekommen sind, die schon vorher über eine gute Drittmittelausstattung verfügten.

Letztlich bringt eine Ausdifferenzierung des Hochschulsystems auch Vorteile für die Bildungsentscheidungen junger Leute. Als wesentlicher Mechanismus, über den sich gegenwärtig die soziale Stratifizierung im Hochschulbereich reproduziert, wirkt der Informationsvorsprung, den Kinder aus oberen Schichten vor den anderen haben. Ein ausdifferenziertes Hochschulsystem, das mit einer höheren Transparenz einhergeht, ermöglicht auch den Kindern aus bildungsfernen Schichten eine informierte und ausgewogene Auswahl.

Alles in allem komme ich zu dem Fazit, dass trotz der teilweise berechtigten Kritik an der Exzellenzinitiative und der damit eingeläuteten Ausdifferenzierung der deutschen Hochschullandschaft die Vorteile überwiegen. Den Zugang zu Beschäftigung und Elitenpositionen an Leistungskriterien statt an Habitus oder Netzwerke zu binden, würde die Hochschulen als zentrale Institutionen des sozialen Aufstiegs stärken. Und das brächte für den Bildungs-, Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland einen deutlichen Fortschritt.

Der Autor:
Marius R. Busemeyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.

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