Hochschulen - elitär und doch sozial verträglich
Die Exzellenz-Initiative der Bundesregierung hat die Ausdifferenzierung der deutschen Hochschullandschaft katalysiert und beschleunigt. Kritiker befürchten eine zunehmende Trennung in Elite- und Massenuniversität. Doch Marius R. Busemeyer sieht in dieser Entwicklung durchaus Chancen – und führt aus, warum und unter welchen Voraussetzungen der Prozess der Differenzierung langfristig die Leistungs- und soziale Gerechtigkeit des deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystems verbessern kann.
Differenzierung schafft Gerechtigkeit
Hinter diesen Aussagen steht der Vorwurf, eine Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft verstärke den Prozess der „Elitisierung“ des Zugangs zu Bildung und Beschäftigung. Zu dieser These möchte ich im Folgenden eine Gegenthese formulieren – und postulieren, dass die Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft langfristig die Leistungsgerechtigkeit des deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystems verbessern wird. Dies kann weiter zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen, denn der Zugang zu Beschäftigung erfolgt dann primär nach Leistung und nicht mehr über sekundäre Kriterien wie private Netzwerke oder den passenden Habitus.
Ehe ich diese Kernthese ausführlicher darstelle, seien einige Blindstellen in der gegenwärtigen Debatte um die Exzellenzinitiative aufgezeigt. So fällt vor allem auf, dass die Schnittstellen zwischen dem Hochschulsystem und angrenzenden Bereichen, also dem Primar- und Sekundarschulwesen einerseits sowie den Qualifizierungs- und Rekrutierungsstrategien von Unternehmen andererseits, bislang wenig berücksichtigt wurden. Doch eine umfassende Beurteilung der Folgen einer Ausdifferenzierung des Hochschulsystems muss auch diese institutionellen Querverbindungen in den Blick nehmen.
In Sachen Primar- und Sekundarschulwesen hat die PISA-Debatte das Thema Bildungsreformen zumindest wieder auf die Tagesordnung gebracht. Dem deutschen Bildungssystem ist zum wiederholten Mal bescheinigt worden, dass es im Vergleich zu anderen OECD-Ländern ein besonders starkes Maß an sozialer Stratifizierung aufweist. So verstärkt es Klassenunterschiede in der Ausstattung mit Bildungsressourcen anstatt sie abzubauen – und so verwundert es nicht, dass die durchschnittliche Qualität der Bildungsleistungen ebenfalls nur Mittelmaß aufweist.
Nun ließe sich argumentieren, in Form der beruflichen Ausbildung würde den Jugendlichen mit schwächeren Bildungsqualifikationen in Deutschland eine attraktive Alternative zum Hochschulstudium geboten, die auch im Ausland aufgrund ihres hohen Potenzials zur sozialen Integration von Bildungsschwachen in qualifizierte Ausbildung und Beschäftigung viel Beachtung gefunden hat. Aber auch auf diesem Feld zeigen sich deutliche Erosionserscheinungen: Die steigende Zahl der Jugendlichen in Warteschleifen und der Altbewerber sowie die sinkende Beschäftigungssicherheit für Facharbeiter und Geringqualifizierte beweisen, dass die berufliche Ausbildung nicht länger die Schwächen des allgemeinen Bildungssystems kompensieren kann.
Eine Reform des Hochschulwesens muss daher immer im Kontext des Gesamtbildungssystems gesehen werden. Das darf aber nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass in allen Bildungssektoren die gleichen Reformprinzipien anzuwenden wären. Die Überwindung und Abschaffung des gegliederten Schulwesens ist längst überfällig. Hier gilt es, das Leitbild der Ungleichheit der Sekundarabschlüsse durch das neue Paradigma der Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit zu ersetzen. Die Verbindung zwischen der Diskussion um die Exzellenzinitiative und der Reform der anderen Bildungssektoren wurde bislang allerdings kaum berücksichtigt.
Dies bringt mich zur der Kernthese, die sich dem Thema der Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft aus der Perspektive der Qualifikationsnachfrager – also der Unternehmen – nähert. Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung haben gezeigt, dass sich Unternehmen bei der Einstellung von Fachkräften auf Signale aus dem Bildungssystem verlassen. Bildungs- und Qualifikationssysteme in verschiedenen Ländern unterscheiden sich in Art und Intensität dieser Signale.
Ein Beispiel bietet das US-amerikanische Hochschulwesen. Im Rahmen dieses stark ausdifferenzierten Systems besteht ein effektiver und hoch transparenter Signalmechanismus, der eine eindeutige Hierarchie (oder neudeutsch: ein Ranking) der Universitäten begründet. Das führt so weit, dass für Unternehmen – zumindest bei Einstellungen nach dem Bachelor-Abschluss – das eigentliche Studienfach weniger zählt als das Prestige der besuchten Hochschule: Sie gehen sowieso davon aus, dass die neuen Mitarbeiter zunächst eine Phase der betriebsinternen Weiterqualifikation durchlaufen.
Gewiss kann das US-amerikanische Hochschulsystem nicht als Reform-Blaupause für Deutschland dienen. Denn Elemente wie die oft erdrückend hohen Studiengebühren sowie die Fortdauer genuin elitistischer Rekrutierungsmechanismen bei den wirklichen Elite-Universitäten sollte man nicht übernehmen (Karl-Ulrich Mayer). Auf der anderen Seite belegen Studien, dass das Bildungs- und vor allem das Hochschulbildungssystem in den USA ungemein wichtige Faktoren des sozialen Aufstiegs darstellen.