Auf den Knick in der Kurve kommt es an
Das Katrin-Experiment auf der Suche nach leichten sterilen Neutrinos
Um das Elementarteilchen Neutrino ranken sich viele Fragen – zum Beispiel, wie groß seine Masse ist. Außerdem interessieren sich Physikerinnen und Physiker dafür, ob es neben dem klassischen Neutrino noch weitere Varianten gibt, die man als steril bezeichnet. Mit dem Katrin-Experiment gelang es jetzt, den Suchkorridor für diese schwer nachzuweisenden Teilchen stark einzugrenzen. Die Publikation erschien kürzlich im Journal Physical Review Letters.
Genau genommen ist das Neutrino nicht ein einziges Teilchen – das Bild einer Familie trifft es da schon eher: Neben dem bekanntesten Familienmitglied, dem Elektron-Neutrino, gibt es außerdem das Myon- und das Tau-Neutrino. Diese Teilchen wandeln sich ständig ineinander um. Diesen Vorgang nennt man Neutrino-Oszillation. Er setzt voraus, dass Neutrinos Masse haben. Diese soll mit dem Katrin-Experiment bestimmt werden, das 2019 am Karlsuhe Institut für Technologie in Betrieb ging. Die bisherigen Ergebnisse legen die Neutrino-Masse auf unter ein Elektronenvolt fest.
Außerdem könnten sich mit Katrin weitere, bisher nur hypothetische Familienmitglieder aufspüren lassen: die sterilen Neutrinos. Die schwerere Form (Masse im Bereich von Kiloelektronenvolt) gilt als Kandidat für Dunkle Materie. Nach ihr wird nach Einbau eines neuen Detektors in Katrin gefahndet. Daneben könnte es eine leichtere sterile Variante geben.
Neue Ausschlusskriterien für das leichte sterile Neutrino
Nach dem leichten sterilen Neutrino (Masse im Bereich von Elektronenvolt) fahndet eine ganze Reihe von Experimenten. Auch im Katrin-Experiment könnte es sich offenbaren. Bei der Suche spielen die Masse und das Mischungsverhältnis von aktiven („normalen“) und sterilen Neutrinos eine zentrale Rolle.
Susanne Mertens und ihrem Team am Max-Planck-Institut für Physik gelang es mithilfe von Katrin, neue Ausschlussgrenzen für die Suche zu definieren. „Mit unseren Auswertungen konnten wir das Suchgebiet für diese Neutrino-Variante deutlich verkleinern“, sagt Mertens.
Mit der neuen Analyse der Katrin-Daten, die von der Gruppe von Susanne Mertens und Thierry Lasserre entwickelt wurde, kann nun die Existenz steriler Neutrinos mit einer Masse zwischen etwa drei und 30 Elektronenvolt und einem Mischungsverhältnis von größer zehn Prozent ausgeschlossen werden. Dieses Ergebnis ist komplementär zu bisher erreichten Ausschlussgrenzen.
Suche über die Bestimmung der Neutrinomasse
Doch wie kann man mit Katrin sterile Neutrinos finden? Mit der gleichen Methode, mit der das Experiment auch die Masse des aktiven Neutrinos bestimmt. Die Neutrino-Masse lässt sich über radioaktiven Zerfall messen. Katrin verwendet dafür Tritium (schweres Wasser). Bei der Umwandlung von einem Proton in ein Neutron werden je ein Neutrino und ein Elektron erzeugt. Diese teilen sich die Zerfallsenergie von 18,6 Kiloelektronenvolt.
„Da wir wissen, dass das Neutrino eine kleine Masse hat, kann das Elektron niemals die gesamte Zerfallsenergie für sich beanspruchen“, erklärt Mertens. „Die maximale Energie, die das Elektron bekommen kann, ist um die Masse des Neutrinos reduziert.“ Die Masse des Neutrinos ergibt sich damit aus der Differenz zwischen der Zerfallsenergie und der maximalen Energie des Elektrons.
Der Nachweis des leichten sterilen Neutrinos liefe nach dem gleichen Prinzip ab. „Wenn beim radioaktiven Zerfall auch sterile Neutrinos freigesetzt werden, würde diese eine sichtbare Spur im Energiespektrum der Elektronen hinterlassen. „Dann würde sich ein deutlicher Knick im Spektrum abzeichnen“, erläutert Mertens „Damit könnte Katrin nicht nur die Masse von aktiven Neutrinos ermitteln, sondern auch die Existenz einer weiteren Neutrino-Art belegen.“