Molekülspektroskopie im Datenzeitalter
Eine neue Datenbank macht erstmals spektroskopische Informationen über Moleküle zugänglich
Auch wenn wir in einer scheinbar vollständig digitalisierten Welt leben, in der jede Art von Wissen auf Knopfdruck verfügbar ist, trifft dies in der Wissenschaft nicht unbedingt immer zu. Während in einigen Wissenschaftsfeldern benötigte Ressourcen digital zugänglich sind, ist dies bei anderen nicht der Fall. Lange Zeit gehörte die Molekularphysik zur letzteren Gruppe – bis jetzt.
Es gibt eine enorme Menge an Daten über Moleküle. Schließlich hat jedes einzelne von ihnen im Universum einen bestimmten Fingerabdruck, der es einzigartig charakterisiert und der durch Molekülspektroskopie identifiziert werden kann. Seit den frühen Zeiten der Quantentheorie in den 1920er Jahren wurden Spektren von zweiatomigen Molekülen aufgenommen und analysiert. Leider kann die Mehrzahl der in den letzten hundert Jahren gesammelten Informationen jedoch nicht digital abgerufen werden, da sie entweder auf analogen Medien gespeichert oder hinter den Paywalls (d.h. kostenpflichten Abonnements) wissenschaftlicher Zeitschriften versteckt sind. "Das ist ein trauriger Zustand im Zeitalter von Big Data", sagt Dr. Jesús Pérez Ríos, Gruppenleiter in der Abteilung Molekularphysik am Fritz-Haber-Institut. Big Data – also Technologien zur Verarbeitung und Auswertung riesiger Datenmengen – stößt zuweilen zu Recht auf beträchtliche Kritik in Bezug auf den Datenschutz und die Ethik der Nutzung personenbezogener Daten zum Zwecke wirtschaftlicher Gewinnoptimierung. Doch in der Forschung hat Big Data eine andere Bedeutung. "Sowohl Wissenschaft als auch Technologie wachsen und gedeihen auf der Grundlage gemeinsam genutzter Daten", erklärt Pérez Ríos, "sie sind heute der Eckpfeiler der wissenschaftlichen Entwicklung. Das hat nichts mit wirtschaftlicher Ausbeutung zu tun, sondern alles mit wissenschaftlicher Demokratisierung. Jeder Forscher sollte ungehinderten Zugang zu vorhandenen Daten haben, das ist wissenschaftliche Fairness."
Aus diesem Grund hat Pérez Ríos zusammen mit seinen Kolleg*innen Stefan Truppe and Xiangyue Liu in der Abteilung für Molekularphysik die erste frei zugängliche und benutzerfreundliche Website für spektroskopische Konstanten von zweiatomigen Molekülen entwickelt. Die "Diatomic Molecular Spectroscopy Database" ist eine Datenbank mit experimentellen Daten, die aus Huber und Herzbergs Molecular Spectra and Molecular Structure (1979), dem bedeutendsten Nachschlagewerk für die Molekülspektroskopie, stammen. Die Verfügbarkeit dieser Daten ist vor allem für andere Wissenschaftler wichtig, etwa auf den Gebieten der Astrochemie, der chemischen Physik und der ultrakalten Physik. "Stellen Sie sich vor, eine chemische Physikerin müsse herausfinden, ob ein Molekül ein guter Kandidat für die Laserkühlung ist (d.h. die Verlangsamung der Bewegung von Atomen zur Kühlung einer Substanz)", erläutert Pérez Ríos. "Dazu muss sie die spektroskopischen Konstanten des Bodens und den ersten angeregten elektronischen Zustand kennen. Während in der Vergangenheit die potenzielle Nichtverfügbarkeit der analogen Daten den Fortschritt dieses Experiments verlangsamt hätte, enthält unsere Website jetzt alles, was man zu der Berechnung braucht.“
Auf der Webseite kann sich die Benutzerin alle verfügbaren Daten zu Molekülen ansehen und auch mit ihnen rechnen. Man kann zum Beispiel die spektroskopischen Konstanten eines beliebigen Moleküls in einem bequemen und standardisierten Format abrufen. Oder man kann die Franck-Condon-Faktoren zwischen dem elektronischen Grundzustand und dem angeregten Zustand (die einzige Eigenschaft eines Moleküls, die sich berechnen lässt) im Flug berechnen. Außerdem ist die Website dynamisch: Benutzer können neue Daten hochladen. Die Daten in einem nützlichen Format zu haben, hilft übrigens auch bei der Entwicklung eines datengesteuerten Ansatzes für die Molekülspektroskopie, an der Forscher der Abteilung für Molekularphysik derzeit arbeiten.