Wenn Proteine gemeinsam agieren, aber alleine reisen
Für die Diffusion von Eiweißmolekülen, den Auf- und Abbau von Komplexen sowie die Reaktion mit den Zielmolekülen gibt es eine optimale Konzentration.
Proteine, die mikroskopisch kleinen "Arbeitspferde", die alle lebenswichtigen Funktionen erfüllen, sind Teamplayer: Um ihre Aufgabe zu meistern, müssen sie sich oft zu präzisen Strukturen, so genannten Proteinkomplexen, zusammenfügen. Diese Komplexe können jedoch dynamisch und kurzlebig sein, wobei Proteine zusammenkommen, sich aber bald darauf wieder trennen. In einer neuen Arbeit, die jetzt im Journal PNAS veröffentlicht wurde, zeigen Forscher des Göttinger Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation, der Universität Oxford und der Sorbonne Université in Paris, wie die Wirkung des Auf- und Abbaus von Proteinkomplexen an einem "Sweet Spot" die Proteinfunktion begünstigen kann.
Wenn ein Protein seine Funktion nur innerhalb eines Proteinkomplexes erfüllen kann, was ist dann der Vorteil dessen Auseinandergehens? Dies ist die Schlüsselfrage, die Jaime Agudo-Canalejo, Pierre Illien und Ramin Golestanian in ihrer Studie untersucht haben. Die Forscher stellten fest, dass Proteine zuerst durch stochastische Bewegung ihr Ziel finden müssen, um ihre Funktion erfüllen zu können. Beispielsweise im Falle eines Enzyms, welches die chemische Umwandlung eines Substratmoleküls in ein Produktmolekül katalysiert, muss das Enzym zuvor das Substrat finden. „Die grundlegende Beobachtung zeigt, dass die einzelnen Proteine, die einen Komplex bilden, sich allein schneller bewegen können als in einem sperrigen Verbund. Wenn sie unabhängig sind benötigen sie weniger Zeit, bis sie ihr Ziel erreichen. Allerdings können die Proteine ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn sie sich in der Nähe des Ziels schnell genug wieder zum benötigten Komplex zusammenfinden“, sagt Ramin Golestanian, Direktor der Abteilung Physik lebender Materie am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation.
Proteinkomplexe folgen dem Prinzip des gesunden Mittelmaßes
Um die Wechselwirkung zwischen diesen Effekten zu verstehen, haben die Forscher ein mathematisches Modell entwickelt, das die Diffusion der Proteine, den Auf- und Abbau von Proteinkomplexen sowie die Reaktion mit den Zielmolekülen berücksichtigt. Überraschenderweise fanden sie heraus, dass eine optimale Proteinkonzentration existiert, der sogenannte „Sweet Spot“. "Wenn es zu wenige Proteine gibt, sind sie größtenteils ungebunden und somit schnell, aber nicht funktionsfähig. Gibt es zu viele Proteine, bilden die meisten von ihnen Proteinkomplexe und sind daher funktionsfähig, jedoch langsam. Bei mittleren Konzentrationen im „Sweet Spot“ bauen sich Proteinkomplexe hingegen oft genug ab, um eine schnelle Bewegung zu ermöglichen, formen sich aber oft genug wieder, um funktionsfähig zu sein", erklärt Jaime Agudo-Canalejo, der Erstautor der Studie. "Die Proteinmenge muss gerade richtig sein, ein gesundes Mittelmaß bilden", fügt er hinzu.
Dynamisch sein, aber auf der sicheren Seite bleiben
Die Bedingungen im Zellinneren sind alles andere als homogen und bestimmte Moleküle können zu einem gegebenen Zeitpunkt in verschiedenen Bereichen der Zelle mehr oder weniger reichlich vorhanden sein. Insbesondere Inhibitormoleküle, die den Abbau von Proteinkomplexen fördern, können sich in einer bestimmten Region konzentrieren. Wie ist in einer solchen Situation die erwartete Verteilung von Proteinkomplexen innerhalb der Zelle? Mit Hilfe ihres mathematischen Modells haben die Forscher herausgefunden, dass die Proteine dazu neigen, sich spontan in den Regionen anzusammeln, in denen ihre Komplexform am stabilsten ist. Dieses eindeutig aus dem Nichtgleichgewichtszustand resultierende Phänomen haben sie als "Stabilitaxis" bezeichnet. Golestanian argumentiert: „Stabilitaxis könnte ein generischer Mechanismus sein, den die Zellen nutzen, um als Reaktion auf Gradienten in der Konzentration eines anderen Moleküls räumliche Muster in der Verteilung von Proteinen zu erzeugen.“ Agudo-Canalejo ergänzt: „Der gleiche Mechanismus könnte bei der Entwicklung von synthetischen Materialien, die auf externe Einflüsse reagieren, genutzt werden, zum Beispiel durch Verwendung von Kolloiden, die mit lichtaktivierten Vernetzern beschichtet sind." Dieses erachten die Autoren als einen besonders spannenden Aspekt ihrer Forschungsarbeit: Sie ermöglicht es ihnen, sowohl komplizierte Mechanismen bei der Selbstorganisation in biologischen Systemen aufzudecken, als auch Strategien für technische Anwendungen anzubieten.