Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Maßgeschneiderte Leistungsabfuhr für zukünftige Fusionskraftwerke

Autoren
Stroth, Ulrich; Wischmeier, Marco
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching; Bereich "Plasmarand und Wand"
Zusammenfassung
Extreme Leistungen aus dem heißen Plasma eines künftigen Fusionskraftwerks auf schonende Weise auf die umgebenden materiellen Oberflächen abzuführen, ist eine zentrale Herausforderung für die Wissenschaft. In Experimenten an den Fusionsanlagen ASDEX Upgrade in Garching sowie an JET in Culham/Großbritannien wurden dazu geeignete Plasma­szenarien entwickelt. Hierbei spielt die gezielte Verunreinigung des Wasserstoff­plasmas durch Zugabe von Fremdatomen eine wichtige Rolle.

Das MPI für Plasmaphysik (IPP) erforscht die Grundlagen für ein zukünftiges Fusionskraftwerk. Die erzeugte Leistung wird, ähnlich wie bei konventionellen Großkraftwerken, im Gigawattbereich liegen. Fusionskraftwerke werden im Stromnetz vor allem Grundlast bereitstellen.

Bei den Fusionsprozessen in einem magnetisch eingeschlossenen Deuterium-Tritium-Plasma entstehen Heliumkerne und Neutronen. Letztere können als neutrale Teilchen den Magnetfeldkäfig verlassen und geben ihre Energie – etwa 80 Prozent der insgesamt freigesetzten Energie – an die umgebenden Gefäßwände ab. Über einen Kühlkreislauf wird die Wärme dann stromerzeugenden Turbinen zugeführt.

Die Heliumkerne hingegen werden als geladene Teilchen vom Magnetfeld eingefangen und heizen so das Plasma mit einigen hundert Megawatt Leistung auf. Um das Fusionsplasma dauerhaft am „Brennen“ zu halten, muss die Heizung durch die Heliumteilchen die ständigen Energieverluste des Plasmas ausgleichen, die durch turbulente Prozesse hervorgerufen werden. Voraussetzung für dieses Gleichgewicht ist daher ein guter „Energieeinschluss“. Mit der High-Confinement-Mode, kurz H-Mode, wurde am IPP-Tokamak ASDEX in Garching bereits 1982 ein Plasmazustand mit verbessertem Einschluss erzeugt. Er ist auch für den Betrieb eines Kraftwerks vorgesehen.

Diesen Beitrag widmen wir dem damit verbundenen Thema der Leistungsabfuhr aus dem heißen Plasma. Hier steht der Schutz der das Plasma umgebenden Gefäßwände im Mittelpunkt. Durch kleine Wirbel im Plasma, den turbulenten Transport, gelangt energiereiches Plasma aus dem inneren, geschlossenen Teil des Magnetfeldkäfigs auf die offenen Magnetfeldlinien der Abschälschicht (Abbildung 1). Sie lenken die Plasmateilchen in den Divertor auf spezielle Prallplatten. Ohne weitere Maßnahmen würde hier auf einer Fläche von knapp einem Quadratmeter eine Leistung von über 100 Megawatt deponiert – bei weitem mehr, als die dort verbauten Wolframkacheln verkraften können. Daher haben wir in den letzten Jahren in Experimenten am Garchinger Tokamak ASDEX Upgrade Konzepte zum Schutz dieser Komponenten entwickelt. Das Prinzip: Bevor die Leistung die Divertorplatten erreicht, wird dem Plasma Energie entzogen und durch Wechselwirkung mit neutralen Wasserstoffatomen und gezielt eingebrachten Verunreinigungsatomen – Stickstoff oder verschiedene Edelgase – in elektromagnetische Strahlung umgewandelt und so auf ein größeres Volumen verteilt. Ist dieser Zustand erreicht, dann ist das Plasma von den Prallplatten „entkoppelt“ und die Leistung auf den Platten sinkt weit unter die erlaubten Werte.

Das IPP ist weltweit ein Vorreiter bei der Entwicklung kraftwerkstauglicher Divertoren und Plasmaszenarien. So stand die Geometrie des Divertors von ASDEX Upgrade Modell für den Divertor des internationalen Testreaktors ITER, der zurzeit in Cadarache/Frankreich aufgebaut wird. Auch der ITER-Divertor wird aus dem Metall Wolfram bestehen, das an ASDEX Upgrade erstmals in großem Umfang eingesetzt und erprobt wurde. Doch obwohl der von uns entwickelte Divertor für eine hohe Neutralgasdichte im Divertorraum sorgt und Wolfram der Plasmabelastung am besten standhält, müssen weitere Maßnahmen zum Schutz der Prallplatten ergriffen werden. Im Folgenden wollen wir erläutern, wie wir dazu an ASDEX Upgrade geeignete Plasmaszenarien entwickeln.

Kraftwerkstaugliche Plasmaszenarien

Abbildung 1 zeigt einen schematischen Querschnitt durch ASDEX Upgrade: das eingeschlossene Plasma und die Abschälschicht, in der die Leistung aus dem Hauptplasma in den Divertor geleitet wird. Bei der am Divertoreingang herrschenden Plasmatemperatur von etwa 100 eV liegt Wasserstoff in ionisierter Form vor und kann daher nicht zu Strahlungsverlusten beitragen. Dagegen besitzen gezielt eingebrachte Fremdatome noch genügend gebundene Elektronen, die durch Stöße mit Plasmaelektronen zum Strahlen angeregt werden können (Linienstrahlung). Durch diese Strahlungsverluste fällt die Temperatur auf etwa 10 eV ab. Jetzt kann sich ein Hintergrund aus neutralem Wasserstoff bilden, der durch Ionisation zu einer weiteren Abkühlung der Elektronen beiträgt. Erst dann öffnen sich Energieverlustmöglichkeiten auch für die Ionen des Plasmas: Sobald die Temperatur auf 3 eV gesunken ist, kann ihnen durch Ladungsaustausch mit kalten Wasserstoffatomen und Rekombination Energie entzogen werden. 

Mit diesen Prozessen können wir inzwischen routinemäßig das Plasma vom Divertor entkoppeln. Bei neueren Untersuchungen mit verbesserter Diagnostik konnten wir eine intensiv strahlende Zone in der Nähe des magnetischen X-Punktes lokalisieren. Inzwischen ist es uns gelungen, stabile Plasmen zu betreiben, bei denen diese Strahlungszone rückkopplungsgesteuert oberhalb des X-Punktes, also im Bereich des eingeschlossenen Plasmas, positioniert werden kann. Diese Entwicklung ist von großer Bedeutung für ein Fusionskraftwerk, weil so ein beträchtlicher Teil der Heizleistung in das Volumen abgestrahlt werden kann, bevor er die Abschälschicht und damit den Divertor erreicht. Damit verringert sich die Anforderung an die im Divertor ablaufenden Prozesse. Die Kunst dabei ist es, die Strahlungsverluste so einzustellen, dass der Plasmaeinschluss darunter möglichst nicht leidet und die angestrebte H-Mode nicht beeinträchtigt wird.

Die Skalierbarkeit der an ASDEX Upgrade entwickelten Szenarien auf das 50-mal größere Volumen des ITER-Plasmas oder ein 100-mal größeres Kraftwerksplasma untersuchten wir in Experimenten am weltweit größten Tokamak JET, dem Joint European Torus in Culham/Großbritannien. In einer aktuellen Doktorarbeit, aus der auch Abbildung 2 stammt, konnten wir zeigen, dass die am IPP entwickelte Strategie zur Entkopplung des Plasmas von den Prallplatten zusammen mit einer stabilen Strahlungszone oberhalb des X-Punktes und gutem Plasmaeinschluss auch auf JET übertragbar ist. Damit zeigen wir einen gangbaren Weg auf, wie künftige Fusionsanlagen durch die geeignete Wahl der Verunreinigungsgase bei hoher Leistung betrieben werden können, ohne dabei die materiellen Wände zu gefährden.

Literaturhinweise

Glöggler, S. et al.
Characterisation of highly radiating neon seeded plasmas in JET-ILW
Nuclear Fusion 59, 126031 (2019) 
Reimold, F.; Wischmeier, M.; Bernert, M.; Potzel, S.; Kallenbach, A.; Müller, H.W.; Sieglin, B.; Stroth, U. und das ASDEX Upgrade-Team
Divertor studies in nitrogen induced completely detached H-modes in full tungsten ASDEX Upgrade
Nuclear Fusion 55, 033004 (2015)
Wischmeier, M. et al.
High density operation for reactor-relevant power exhaust

Journal of Nuclear Materials 463, 22 (2015)

Bernert, M. et al.
Power exhaust by SOL and pedestal radiation at ASDEX Upgrade and JET

Nuclear Materials and Energy 12, 111 (2017)

Reimold, F.; Wischmeier, M.; Potzel, S.; Guimarais, L.; Reiter, D.; Bernert, M.; Dunne, M.; Lunt, T.; das ASDEX Upgrade-Team; das EUROfusion-MST1-Team
The high field side high density region in SOLPS-modeling of nitrogen-seeded H-modes in ASDEX Upgrade

Nuclear Materials and Energy 12, 193 (2017)

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