Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Meteorologie
Die Verlangsamung der Oberflächenerwärmung und ihr unerklärter Ursprung
Wie entstand die Verlangsamung?
In der Zeitspanne von 1998 bis 2012 stieg die Oberflächentemperatur der Erde langsamer an, als man unter Berücksichtigung der meisten modellgetriebenen Projektionen des Klimas oder der beobachtbaren langzeitlichen Erwärmungstrends erwarten konnte. Viele wissenschaftliche Studien zu diesem Ereignis haben mehr Fragen aufgeworfen als sie beantworten konnten. Einige führen die Verlangsamung auf Vulkanausbrüche zurück, die in den Modellrechnungen nicht berücksichtigt wurden, andere auf das chaotische und damit nur schwer vorhersagbare Verhalten des Erdsystems. Allein der Name dieses Ereignisses sorgt für Verwirrung: Der in diesem Zusammenhang oft zitierte englische Begriff hiatus deutet irreführend auf eine Pause anstatt auf eine Verlangsamung in der Erwärmung hin.
Trotz dieser Unsicherheiten schienen Klimawissenschaftler über die Ursache für die beobachtete Verlangsamung zunächst zu einem Konsens zu kommen: Sie schrieben sie einer erhöhten Wärmeaufnahme im tieferen Ozean zu, was sich anscheinend auch mit Beobachtungen nachweisen ließ. Die entscheidende Wärmeaufnahme wurde aber nicht einmal sondern mehrmals nachgewiesen, und jedes Mal lag der schlagende Beweis in einer anderen Region der Weltmeere – einmal im Atlantik, ein anderes Mal im Pazifik, im Indischen Ozean, im Südozean oder sogar in mehreren dieser Ozeane gleichzeitig. Wie also entstand die Verlangsamung tatsächlich, und wie können sich so viele gegensätzliche Erklärungen aus den Beobachtungen ergeben haben?
Ein einzigartiges Ensemble bietet hunderte Verlangsamungen an
Ein Team am Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) ging diesen Fragen in einer ungewöhnlichen Vorgehensweise nach, indem die Forscher nicht nur die Verlangsamung, sondern auch hunderte ähnliche Ereignisse mithilfe der Klimasimulierung untersuchten. Eine Schwankung wie diejenige aus der Zeitspanne zwischen 1998 und 2012 könnte jederzeit in Simulationen auftauchen, die bis auf eine unmerkliche Abweichung in den Anfangsbedingungen identisch sind. Solche unmerklichen Unterschiede führen jedoch im chaotischen Klimasystem zu Schwankungen– im Fachjargon interne Variabilität oder im Volksmund „Schmetterlingseffekt“ genannt, die zeitbedingt die Oberflächenerwärmung verlangsamen, aber auch beschleunigen können.
Weil Schwankungen im kürzlich beobachteten Ausmaß selten vorkommen, brauchte das Team ein Ensemble von Klimasimulationen in bisher nie dagewesener Größe, was umfangreiche Rechenzeit benötigte. Eine gute Gelegenheit ergab sich, als das Swiss National Computing Centre (CSCS) an der ETH Zürich einen Teil seines neuen Supercomputers während dessen Startphase zur Verfügung stellte. In dem großen Ensemble von Simulationen, das bei dieser Gelegenheit entstand, fanden die Autoren ungefähr 360 Zeitspannen von 15 Jahren, die ein gleiches Verhalten der Oberflächentemperaturen wie bei der Verlangsamung von 1998 bis 2012 aufweisen. Dabei machten sie zwei unerwartete Entdeckungen.
Frühere Studien vernachlässigten wichtige Aspekte des Energiehaushalts
Erstens ist die für eine Verlangsamung benötigte Energiemenge mit 0,1 Watt pro Quadratmeter kleiner als bisher gedacht. Frühere Studien waren von 0,5 Watt pro Quadratmeter ausgegangen. Die Forscher des MPI-M erklären dies damit, dass die Oberflächenschicht des Ozeans, welche die Variabilität der Oberflächenerwärmung im Zehnjahresrhythmus regelt, viel dünner ist als in den früheren Studien angenommen. Daher ist weniger Variation im Energiehaushalt der Oberflächenschicht nötig, um die Erwärmung zu verlangsamen.
Zweitens finden die Autoren heraus, dass eine Verlangsamung nicht allein durch den Wärmeverlust von der Oberfläche in den darunterliegenden Ozean eintreten muss. Sie kann auch durch eine zeitweilige Zunahme der Energieabstrahlung von der Oberfläche in den Weltraum entstehen. Aber in den meisten der 360 simulierten Fälle wird eine Verlangsamung durch Beteiligung beider Mechanismen erklärt – durch die globale Wärmeaufnahme der Ozeane und die gesamte ausgehende Strahlung. Frühere Studien, die das Gesamtbudget vernachlässigen oder sich auf bestimmte Ozeanbecken konzentrieren, belegen also scheinbar eine Ursache der Verlangsamung, wo gar keine vorliegt.
Die Genauigkeit der Beobachtungen reicht nicht aus, um den Ursprung zu bestimmen
Die Wissenschaftler des MPI-M vergleichen weiterhin die Ergebnisse ihrer Studie mit verschiedenen Beobachtungen des Energiehaushalts der Erde seit dem Jahr 2000. Anstrengungen, die Weltmeere mit automatischen Messbojen zu beobachten und die Energieabstrahlung in den Weltraum mit verbesserten Satelliten zu messen, werden erst seit ungefähr zehn Jahren unternommen. Da aber die für eine Verlangsamung benötigte Energiemenge kleiner als bisher angenommen ist, muss man den Energiehaushalt mit höchster Genauigkeit bestimmen, um den Ursprung solch eines Ereignisses zu konstatieren. Die Autoren stellen fest, dass die momentan verfügbaren Beobachtungen, die der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung stehen, dazu nicht ausreichen. Deshalb wird sich der Ursprung des aktuellen Hiatus vermutlich niemals identifizieren lassen.
Was verraten diese Ergebnisse über den Klimawandel?
Eines ist sicher: Der wissenschaftlich zuverlässig belegte Befund der langfristigen globalen Erwärmung wird von diesen Ergebnissen nicht tangiert. Schwankungen um den langfristigen Trend – ob sie eine Verlangsamung oder eine genauso mögliche Beschleunigung bedeuten – sind aber Teil der Vergangenheit und der Zukunft der globalen Erwärmung. Wir sollten diese Schwankungen in unsere Vorstellung vom Klimawandel integrieren, ungeachtet ihrer genauen Entstehungsursache.