Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Kernphysik
Hochpräzisions-Messung der Masse des Protons
High-precision measurement of the proton mass
Köhler-Langes, Florian; Heiße, Fabian; Rau, Sascha; Sturm, Sven und Blaum, Klaus
Gespeicherte und gekühlte Ionen, Max-Planck-Institut für Kernphysik
Das Proton: Baustein aller Atomkerne
Vor knapp 100 Jahren beobachtete Ernest Rutherford erstmals, dass der Kern des Wasserstoffatoms ein zentraler Grundbaustein für andere Atomkerne ist. Wegen dieser fundamentalen Rolle gab er dem Wasserstoffkern den zusätzlichen Namen Proton, der auf Altgriechisch „das Erste“ bedeutet. Heute wissen wir, dass in der Tat sämtliche Atomkerne aus Protonen und Neutronen aufgebaut sind. Diese Kernbausteine setzen sich wiederum aus noch kleineren Bausteinen, den Quarks und Gluonen, zusammen. Sie wechselwirken miteinander über die in der Quantenchromodynamik beschriebene starke Kraft. Trotz einiger experimenteller Bestätigungen dieser fundamentalen Theorie ist es bislang nicht möglich, die Grundeigenschaften des Protons wie Ladung, Masse und magnetisches Moment mit hoher Genauigkeit zu berechnen. Eine möglichst genaue Kenntnis der Protonenmasse ist jedoch für zahlreiche physikalische Anwendungen zwingend erforderlich. Ein Beispiel ist die Hochpräzisionspektroskopie von Wasserstoff, die genaue Tests der Quantenelektrodynamik, also der Theorie des Lichts beziehungsweise der elektromagnetischen Wechselwirkung, ermöglicht. Eine sehr präzise Kenntnis der Protonenmasse wird zudem beim Vergleich der Eigenschaften von Materie und Antimaterie wie im Falle des Protons und Antiprotons benötigt.
Die Zyklotronfrequenz: Zentrale Größe bei hochpräzisen Massenmessungen
Ausgangspunkt für Massenmessungen von Atomen und Molekülen ist in der Regel ein geladener Zustand des zu untersuchenden Teilchens (Ion). Ein homogenes Magnetfeld zwingt dieses Ion zu einer periodischen, kreisförmigen Bewegung, der sogenannten Zyklotronbewegung. Ist die Stärke des Magnetfeldes bekannt, ergibt sich durch Messung der Umlauffrequenz, auch Zyklotronfrequenz genannt, das Ladung- zu Masseverhältnis des Teilchens. Damit das Teilchen nicht entlang der Magnetfeldlinien entweicht, verwendet man zusätzlich ein elektrostatisches Speicherfeld, welches das Teilchen zu einer harmonischen Oszillation, der sogenannten Axialbewegung, entlang der Magnetfeldlinien zwingt. Diese Überlagerung aus statischem Magnetfeld und statischem elektrischen Feld bezeichnet man als Penningfalle.
Die Magnetfeldstärke lässt sich über ein Referenzion ermitteln, dessen Masse sehr genau bekannt ist und dessen Zyklotronfrequenz experimentell bestimmt wird. Die gesuchte Masse folgt dann aus dem exakt bekannten Ladungs- und dem zu messenden Zyklotronfrequenz-Verhältnis der beiden Ionen. Der Massenstandard für Atome ist das Kohlenstoffisotop 12C, das per Definition 12 atomare Masseneinheiten (u) schwer ist. Deshalb kam zur Bestimmung der Protonenmasse ein Kohlenstoffkern (12C6+) als 6-fach geladenes Referenzion zum Einsatz. Die Bestimmung des Zyklotronfrequenz-Verhältnisses ist in diesem Fall besonders anspruchsvoll, da das Proton und der Kohlenstoffkern weder ähnliche Massen noch ähnliche Ladung- zu Masseverhältnisse haben. Hierdurch haben beide Teilchen sehr unterschiedliche Frequenzen und Bewegungsenergien.
Ideale Bedingungen für Hochpräzisionsmessungen: Nahezu vollkommene Leere, perfekt kontrollierte Felder und einzelne, kalte Teilchen

Um mit einzeln gespeicherten Ionen die mehrwöchige Messung ungestört durchzuführen, befindet sich der Penningfallen-Aufbau inklusive Ionenquelle (siehe Abb. 1) in einer hermetisch verschlossenen und mit flüssigem Helium auf -269 °C (4 Kelvin) gekühlten Vakuumkammer. Diese wiederum befindet sich in einem supraleitenden 3,8-Tesla-Magneten – demselben, in dem bereits die Elektronenmasse mit höchster Präzision bestimmt wurde [2]. Die Bewegung des Teilchens induziert auf den Fallenelektroden Spiegelströme, die ein eigens dafür entwickeltes kryogenes und extrem rauscharmes Nachweissystem verstärkt. Zur Bestimmung der Zyklotronfrequenz dient eine spezielle Methode, welche die Ionenbewegung zeitlich aufgelöst, und die zudem bei sehr niedrigen Bewegungsenergien funktioniert [3]. Ein komplett neu konstruierter Penningfallenturm, der aus sieben zylindrischen Elektroden besteht, ermöglicht durch ihr nahezu perfekt harmonisches Speicherfeld auch beim vergleichsweise schwach geladenen Proton ein deutliches Signal und somit eine sehr stabile zeitliche Auflösung der Ionenbewegung.
Neuartiger Messprozess: Frequenzbestimmung erstmalig am selben Ort durch zwei abgestimmte Nachweissysteme
Um die Zyklotronfrequenzen des Protons und des Kohlenstoffkerns möglichst im identischen Magnetfeld zu bestimmen, kommen die beiden Ionen bei gleichem Fallenpotential abwechselnd in die Messfalle (siehe Abb. 1) und somit an den gleichen Ort. Das jeweils andere Ion befindet sich währenddessen in einer der benachbarten Fallen. Aufgrund der sehr verschiedenen Ladung- zu Masseverhältnisse der beiden Ionen, die bei gleichem Fallenpotential zu stark unterschiedlichen Axialfrequenzen führen, ist die Falle erstmals mit zwei axialen Nachweissystemen ausgestattet, die sehr präzise aufeinander abgestimmt sind.
Das Proton ist leichter als bisher angenommen

Die Daten einer zweieinhalb Monate langen Messkampagne ergaben die Protonenmasse zu 1,000 726 466 583 (15)(29) u [1] (Abb. 2). Die Zahlen in den beiden Klammern geben die statistische und systematische Unsicherheit in den beiden letzten Stellen an. Mit der erreichten relativen Genauigkeit von 3 Milliardstel Prozent, die drei Mal präziser als der derzeitige Literaturwert ist [4], könnte man die Masse eines Airbus A380 auf die einer Ameise genau bestimmen. Erstaunlicherweise scheint das Proton, bzw. der Airbus, um bei unserem anschaulichen Beispiel zu bleiben, drei Ameisen leichter zu sein als früher angenommen. Mit dieser deutlichen Abweichung kann die neue Protonenmasse die kürzlich beobachtete Diskrepanz [5] zwischen Massenmessungen am Proton, Deuterium, Helium-3 und am Wasserstoffdeuterium-Molekül teilweise erklären. Weitere Massenmessungen mit dem neu aufgebauten Instrument sollen dieses Rätsel in naher Zukunft lösen.