Sign2MINT - Zeichen setzen!

Für Gehörlose sind Begriffe wie Singularität oder Entropie im Wissenschaftsalltag und im kommunikativen Austausch über Forschungsinhalte sehr wichtig, jedoch fehlen dazu oft die passenden Fachgebärden. Die Max-Planck-Förderstiftung unterstützte das Projekt »Sign2MINT« und so konnte für die naturwissenschaftlichen Fächer erstmals ein deutsches Fachgebärdenlexikon entwickelt werden. Das macht unsere Forschungslandschaft chancengerechter und vielfältiger.

Fachgebärde "Singularität" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Entropie" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Median" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Konformität" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Axolotl" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Fossil" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Lösung" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Triglyceride" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Spektrum" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "Apoptose" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka
Fachgebärde "DNA" in deutscher Gebärdensprache, graphisch illustriert von Deborah Skorupka

Die Anzahl gehörloser Wissenschaftler(innen) und Studierenden in den sog. MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) steigt in Deutschland stetig. Ihnen stehen jedoch selten qualifizierte Gebärdensprachdolmetscher(innen) zur Seite, da es für die Übersetzer(innen) keine ausreichenden Weiterbildungen, kein Fachgebärdenlexikon und keine Medienmaterialien zu diesen Themen gibt.

Das von der Max-Planck-Förderstiftung unterstützte Projekt »Sign2MINT« entwickelte für die naturwissenschaftlichen Fächer erstmals ein deutsches Fachgebärdenlexikon. Rund 5.200 Gebärden konnten so in den Bereichen Physik, Geologie, Biologie, Chemie, Informatik, Mathematik, Medizin und Astronomie neu entwickelt werden. Die neuen Fachbegriffe lassen sich dabei in drei Bereiche unterscheiden, in denen ein Fachbegriff typischerweise verwendet wird: Schulischer Bereich (29,6 Prozent), akademischer Bereich (43,9 Prozent) und alltäglicher Bereich (26,6 Prozent). Das Sign2MINT-Lexikon ist barrierefrei, benutzerfreundlich und wird mittels Videos in deutscher Gebärdensprache online auf der Sign2MINT-Website kostenlos bereitgestellt.

Die Idee zu dem Projekt hatte Ingo Barth: Er war Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik und ist selbst gehörlos. Neben seiner Forschungsarbeit ist er aktiv in der Gehörlosen-Community sowohl deutschlandweit als auch auf internationaler Ebene unterwegs, tauscht sich aus und sammelt und kategorisiert Fachgebärden mittels visueller Medien.

Um für einen Begriff wie „Singularität“ eine neue Gebärde zu entwickeln, müssen gebärdensprachliche Expert(inn)en zunächst erörtern, welche neue Gebärde für einen Fachbegriff passend ist. Dabei spielen linguistische Faktoren wie die Bedeutung, die Ikonizität (also das Abbildungsverhältnis des sprachlichen Ausdrucks zum Referenzobjekt), die Parameter (Handform, Handstellung, Ausführungsstelle) eine ebenso wichtige Rolle wie die Ausführbarkeit einer Fachgebärde.

Die hierfür nötigen Arbeitstreffen inkl. der Videoproduktion mit den gehörlosen Fachkundigen aus den MINT-Bereichen folgten dabei einem Muster: Zu Beginn wurde ein Fachvortrag gehalten, um vorhandenes Wissen aufzufrischen und bestimmte Unterbereiche der jeweiligen fachlichen Disziplin in Gebärdensprache zu erschließen. Die verwendeten Gebärden wurden für einzelne Fachbegriffe gesammelt, diskutiert und in einem Prozess der Konsensfindung (in Abwägung zwischen linguistischer Qualität und angestrebter Quantität) als Fachgebärde festgehalten.

Die festgehaltenen Fachgebärden wurden von anwesenden Gebärdensprachdolmetscher(innen) dann mit Hilfe eines Notationssystems schriftlich fixiert. Nachdem die Entscheidung für eine favorisierte Gebärde gefallen war, wurde die neue Gebärde im Videostudio des Max-Planck-Instituts in Halle gemäß den Kriterien für Gebärdenvideos aufgenommen, geschnitten und bearbeitet. An einem Drehtag konnten rund 600 bis 800 Gebärden aufgenommen werden. Die final bearbeiteten Aufnahmen wurden in einer Sign2MINT-Fachgebärdensitzung aus verschiedenen Perspektiven (korrekte Gebärdenausführung und Mimik) überprüft. Die Clips wurden sodann um die für eine Datenbank notwendigen Metadaten ergänzt (Fachbegriff, Herkunft der Gebärde, Links und Informationen zu Wikipedia). 

Auf der technischen Seite wurde Sign2MINT von der Firma Workplace Solutions (WPS) unterstützt. Das Unternehmen engagierte sich bereits in einem anderen vom Bund geförderten Projekt für Gehörlose. Die von WPS entwickelte Open-Source Software sorgte auch bei Sign2MINT für die nötige Datenbank-Infrastruktur, damit die neuen Gebärden dann auf der Website verwendet werden konnten. Eine maßgebliche und besonders hilfreiche Funktion der WPS-Datenbank ist dabei die sog. „Rückwärtssuche“ – hierbei kann bei bekannter Gebärde nach dem passenden Fachbegriff gesucht werden.

Dieses frei verfügbare Hilfsmittel baut kommunikative Hürden ab und erleichtert gehörlosen Menschen den Zugang zu naturwissenschaftlichen Fächern. Sie erhalten mit dem Fachgebärdenlexikon bessere Chancen, als Forschende ihre wissenschaftlichen Ideen umzusetzen. Es erleichtert die Laborarbeit und Betroffene können somit besser eine eigene wissenschaftliche Karriere verfolgen, da Forschungsergebnisse einfacher kommuniziert werden können.

tk

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