Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Astrophysik
Neutronensterne als kosmische Kanonenkugeln
Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching und der Universität Chicago ist es gelungen, die hohen Raumgeschwindigkeiten beobachteter Neutronensterne zu erklären. Ihre Computermodelle bestätigen den Zusammenhang mit Asymmetrien bei Sternexplosionen.
Sterne mit mehr als der zehnfachen Masse der Sonne beenden ihr Leben in einer spektakulären Supernova-Explosion. Während der größte Teil des Sterngases dabei mit gewaltiger Wucht ausgeschleudert wird, stürzt der Kern im Zentrum des Sterns unter seiner eigenen Schwerkraft in sich zusammen und bildet einen Neutronenstern. Dieser hat etwa eineinhalb Mal die Masse der Sonne, sein Durchmesser beträgt aber lediglich 20 Kilometer. In seinem Innern übersteigt die Dichte daher die von Atomkernen.
Einige der bekannten Neutronensterne befinden sich innerhalb des gasförmigen Überrests, der von der vergangenen Sternexplosion zeugt. Das berühmteste Beispiel ist der "Pulsar" im Krebsnebel (Abb.1).
Da er sich rund 33-mal pro Sekunde um seine eigene Achse dreht, empfangen wir auf der Erde regelmäßige, pulsartige Signale. Solche rotierenden Neutronensterne heißen deshalb Pulsare. Andere Neutronensterne fliegen jedoch mit sehr hoher Geschwindigkeit vom Ort ihrer Entstehung weg (Abb.2).
Sie bewegen sich dabei typischerweise mit mehreren hundert Kilometern pro Sekunde. Einige Pulsare rasen gar mit über 1000 Kilometern pro Sekunde durch den interstellaren Raum (Abb.3). Dies ist deutlich schneller als die normale Bewegung der Sterne in der Milchstraße, sodass solche Neutronensterne der Gravitationsanziehung unserer Galaxie entkommen.
Über die Ursache der Pulsargeschwindigkeiten wurde lange Zeit gerätselt. Dabei mangelt es nicht an Erklärungsversuchen, teilweise unter Zuhilfenahme spekulativer oder sehr exotischer physikalischer Phänomene. Der vermutete Zusammenhang mit beobachteten Asymmetrien der Sternexplosionen konnte bislang jedoch nicht schlüssig begründet werden.
Ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching und vom ASCI Flash Center in Chicago hat nun eine einfache und geradezu natürliche Möglichkeit für einen solchen Zusammenhang aufgezeigt. In Computersimulationen fand das Team, dass bei der Explosion kleine, zufällige Störungen im Stern durch Strömungsinstabilitäten rasch anwachsen und sich zu extrem großen Abweichungen von der Kugelgestalt aufschaukeln können (Abb.4).
Die Explosionswelle und die von der Supernova ausgeschleuderte Sternmaterie breiten sich infolgedessen in verschiedene Richtungen unterschiedlich schnell aus. Der zurück bleibende Neutronenstern erhält dadurch einen starken Rückstoß und wird so in Sekunden auf riesige Geschwindigkeiten von vielen hundert Kilometern pro Sekunde beschleunigt (Abb.5).
Die Computermodelle erlauben es erstmals, die gemessenen Pulsargeschwindigkeiten als Folge anisotroper Supernova-Explosionen zu verstehen, ohne dass zusätzliche Annahmen notwendig sind. Interessanterweise scheinen die Ergebnisse eine Theorie zu stützen, die seit langem zur Erklärung der Sternexplosion favorisiert wird: Die Explosion des Sterns wird durch die Wechselwirkungen mit Neutrinos ausgelöst. Diese elektrisch ungeladenen, schwach wechselwirkenden Elementarteilchen werden vom heißen Neutronenstern in riesiger Zahl abgestrahlt. Bevor sie den Stern verlassen, gibt ein Teil der Neutrinos Energie an das den Neutronenstern umgebende stellare Gas ab. Dies heizt das Plasma im Sterninnern und erzeugt den Druck, der die Explosion antreibt. Eine Bestätigung dieses sog. "neutrinogetriebenen Mechanismus" durch detaillierte Computermodelle steht jedoch noch aus.
Die Kern- und Teilchenphysik und Plasmadynamik im dichten Kern des Sterns sind hochgradig komplex und nicht vollständig verstanden. In den hier beschriebenen Simulationen wurde daher der extrem dichte Zentralbereich des Neutronensterns durch eine Randbedingung ersetzt, bei der der Fluss und die Energieverteilung der Neutrinos vorgegeben werden. Die Neutrinoabstrahlung des sich bildenden Neutronensterns wurde hinreichend stark gewählt, sodass der neutrinogetriebende Mechanismus die Explosion der Supernova verursacht. Dabei gerät das von den Neutrinos geheizte Gas in extrem heftige Wallung (ähnlich wie in einem auf der Herdplatte erhitzten Kochtopf Konvektion auftritt), bis schließlich die äußeren Sternschichten mit gewaltiger Wucht auseinandergesprengt werden. Durch die brodelnden Gasbewegungen geschieht dies nicht in gleichförmiger Weise, sondern es kann zu stark unterschiedlichen Ausbreitungsgeschwindigkeiten in verschiedene Raumrichtungen kommen.
Der Mechanismus der Explosion, die beobachteten Asymmetrien von Supernovae, die sich beispielsweise in einer starken Polarisation des empfangenen Lichts äußern, und die hohen Eigengeschwindigkeiten vieler Pulsare haben in diesem Modell eine gemeinsame Ursache. Dies stützt die Vorstellung, dass Energieübertrag durch Neutrinos an das Gas im Sterninnern eine zentrale Rolle beim Beginn der Explosion spielt.