Biologie für die Seele

Depressionen gelten noch immer als ein Leiden von charakterschwachen, überforderten und unfähigen Menschen. Die Stigmatisierung der Krankheit einerseits und die Scham der Betroffenen andererseits machen die Depression zur häufigsten Todesursache bei unter 45-jährigen Menschen. Der Mediziner und Chemiker Florian Holsboer erforscht am Max-Planck-Institut für Psychiatrie die Ursachen psychischer Erkrankungen - mit den Methoden der Biochemie, der Genetik, bildgebenden Verfahren sowie an Modellsystemen.

Holsboer plädiert immer wieder für Offenheit im Umgang mit Depressionserkrankungen, die aus einem Wechselspiel zwischen Veränderungen auf der Erbsubstanz und äußeren Einflüssen entsteht, denen der Einzelne ausgesetzt ist. Ihm liegt daran klarzumachen, dass jeder an einer Depression erkranken kann und unbedingt professionelle Hilfe suchen muss. Aus seiner Sicht sind die guten Erfolgsaussichten einer Depressionsbehandlung mit Medikamenten und Psychotherapie wissenschaftlich unstrittig.

Das wissenschaftliche Interesse gilt der Frage, wie Depressionen, Angsterkrankungen und Schlafstörungen entstehen und am besten behandelt werden. Sein Ziel ist es, für jeden erkrankten Menschen eine auf seine individuellen Eigenschaften abgestellte Therapie maßzuschneidern - ein Vorreiter der personalisierten Medizin. Seine Forschung wird auch durch private Spenden unterstützt, unter ihnen die Max-Planck-Förderstiftung.  Das Gunter-Sachs-Labor an dem Münchner Max-Planck-Institut ist ein Beispiel für die namentliche Würdigung eines weiteren großzügigen Mäzens.

Die Forschungsarbeiten von Florian Holsboer führen zu neuen Therapieansätzen und damit zu neuer Hoffnung für unter Depressionen leidenden Menschen. Er und sein Team am Max-Planck-Institut für Psychiatrie identifizieren genetische Faktoren von Depression und Angsterkrankungen. Sie untersuchen, welche molekularen Mechanismen die Entstehung der Depression hervorrufen und auf welche Art und Weise durch Medikamente dieser klinische Zustand wieder geheilt werden kann.

Es stellte sich heraus, dass bei depressiv erkrankten Menschen die Art und Weise, wie sie auf Stresssituationen reagieren, gestört ist. So entdeckten die Forscherinnen und Forscher, dass ein von Gehirnnervenzellen produziertes Eiweiß, das Corticotropin freisetzende Hormon CRH, unter Stressbedingungen erhöht ist. Es setzt nicht nur Stresshormone frei, sondern führt auch eine Vielzahl von Verhaltensänderungen herbei, die für die Bewältigung der Stresssituation nützlich sind – z.B. erhöhte Aufmerksamkeit, Ängstlichkeit und Appetitlosigkeit. Wenn aber die Stressbelastung anhält oder Menschen nicht in der Lage ist, ihre Stressreaktionen wieder auf ein normales Gleichgewicht zurück zu bringen, dann führt dies zur Depression.

Florian Holsboer nutzte die verschiedenen Kernkompetenzen am Institut, um den Mechanismus aufklären, durch den der Effekt des Neuropeptids CRH im Gehirn ausgelöst wird und wie dies therapeutisch genutzt werden kann. Es handelt sich hier um die sogenannten CRH-Rezeptor-Blocker, Medikamente, die die Wirkung des CRH-Moleküls daran hindern, das Signal im Gehirn weiterzuleiten. Diese Weiterleitung erfolgt durch Rezeptoren, den sogenannten CRH-Rezeptoren, die sich in der Zellmembran befinden. Wird durch ein gentechnologisches Experiment dieser Rezeptor in einer Maus nicht mehr synthetisiert, dann verliert das CRH-Molekül seine Fähigkeit, Verhaltenseffekte auszulösen. Dieser Gedanke wurde bis zur Herstellung eines Medikaments weiterverfolgt und eine erste klinische Studie fand, dass CRH Rezeptor-Blocker bei einer Vielzahl von Kranken tatsächlich antidepressiv wirksam sind. Mithilfe von Biomarkern wird am Max-Planck-Institut derzeit erforscht, bei welchen unter Depressionen leidenden Menschen die Anwendung eines CRH Rezeptor-Blockers besonders erfolgversprechend ist.

Derzeit wird am Institut erforscht, ob sich mit Hilfe von Tiermodellen herausfinden lässt, welche genetischen Besonderheiten und welche neurobiologischen Veränderungen dem Kliniker helfen werden, die für das erkrankte Individuum geeignete Therapieform auszuwählen. Ziel der Forschung ist es, Genvarianten und Biomarker zur identifizieren, mit Hilfe derer die sogenannte „personalisierte Medizin“ weiter entwickelt werden kann.

Die Forschungsarbeiten am Max-Planck-Institut für Psychiatrie haben bereits viele Hinweise geliefert, dass die personalisierte Medizin bei der Behandlung der Depression keine Utopie mehr ist. So fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Vielzahl von Genvarianten, die gute Vorhersagekraft besitzen, ob Erkrankte auf das angewandte Medikament gut ansprechen wird oder ob besser auf ein anderes Medikament ausgewichen werden sollte.

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