Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme
Dynamik als Schlüssel zum Verständnis elektrochemischer Prozesse
Effiziente Energieversorgung mittels elektrochemischer Prozesse
Eine sichere und umweltfreundliche Energieversorgung ist eines der essentiellen Bedürfnisse unserer Gesellschaft. Als Energiequellen nutzen wir neben den sich verknappenden fossilen Energieträgern wie Gas, Öl und Kohle mehr und mehr die meist stark fluktuierenden, d. h. zeitlich limitierten regenerativen Energiequellen. Essentieller Teil einer zukunftsfähigen Energieversorgung mit optimaler Nutzung vorhandener Ressourcen sind damit dynamisch betreibbare und hocheffiziente Energiewandler. Sowohl in puncto Dynamik als auch Effizienz stechen insbesondere elektrochemische Energiewandler gegenüber anderen Verfahren der Energiewandlung hervor. Die derzeitigen Kandidaten elektrochemischer Wandlung sind dabei Brennstoffzellen, die die chemische Energie eines Brennstoffs in elektrische Energie wandeln, Elektrolysezellen, die elektrische Energie z. B. aus Wind in einfach lagerbaren Brennstoff wandeln können und Batteriezellen, die zur Zwischenspeicherung elektrischer Energie dienen.
Zusätzlich ist auch der Einsatz elektrochemischer Reaktoren zur Chemikalienherstellung attraktiv, z. B. zur Feinchemieherstellung auf Basis von Biomasse; solche Zellen können potentiell auch mit fluktuierender regenerativer Energie betrieben werden.
Von der Oberflächenreaktion zum Strom
Elektrochemische Prozesse basieren auf einer Oberflächenreaktion, bei der chemische Stoffe oxidiert bzw. reduziert werden, d. h. Elektronen abgegeben oder aufgenommen werden. Während bereits heterogen katalysierte chemische Reaktionen hochkomplex sind, werden Prozesse an elektrochemischen Oberflächen durch einen zusätzlichen Faktor, das Potenzial an einer Elektrode bzw. die Spannung zwischen zwei Elektroden, beeinflusst. Die Neigung zur Oxidation bzw. Reduktion und die Produktionsrate hängen damit wesentlich vom eingestellten Potenzial ab. Eine gewünschte Produktions- d. h. Reaktionsgeschwindigkeit kann bei elektrochemischen Prozessen sehr präzise und elegant mittels Einstellung eines elektrischen Stromes erreicht werden. Mit den einfach mess- bzw. justierbaren Größen Strom und Spannung stehen daher sowohl Größen zur Steuerung der elektrochemischen Energiesysteme als auch zur Analyse der Oberflächenprozesse in elektrochemischen Systemen zur Verfügung.
Dynamisch kann mehr
Gerade bei Mehr-Schritt-Reaktionen wie der elektrochemischen Oxidation von Methanol an einer Elektrode oder auch bei Kombination zweier Elektroden zu einer elektrochemischen Zelle laufen mehrere Prozesse zeitlich parallel ab, sodass die aus stationären Messungen erhaltenen Messergebnisse eine Überlagerung aller dieser Prozesse darstellen. Dies erschwert die Analyse der Einzelprozesse und ihres Zusammenwirkens erheblich: Die einzelnen Reaktionsschritte an einer Elektrode oder in einer Zelle können mit solchen Methoden kaum differenziert werden und auf Zellebene beeinflussen zusätzliche Komponenten wie der elektrisch isolierende Separator zwischen den Elektroden die Messergebnisse. De facto kann damit auch nur schwer untersucht werden, welcher der Teilprozesse nun den Gesamtprozess an der Elektrode oder in der Zelle am meisten hemmt.
Hier bietet nun die dynamische Systemanalyse Abhilfe. Die Idee: Jeder der Prozesse hat eine für die Reaktion charakteristische Geschwindigkeit und reagiert unterschiedlich schnell auf eine Auslenkung aus dem stationären Zustand; lenkt man daher das betrachtete elektrochemische System aus, so sind aus der dynamischen elektrochemischen Antwort schnelle Prozesse zu früheren Zeitpunkten ablesbar als langsame Prozesse – die Prozesse können damit getrennt studiert werden [1].
Da man oft bereits die charakteristischen Zeitkonstanten einzelner Prozesse kennt und Zeitintervallen in der Antwort zuordnen kann, können unbekannte, in der Antwort erhaltene Ausschläge oder Änderungen den übrigen Prozessen zugeordnet werden. Zusätzlich können aber auch die bereits einer Zeitkonstanten zugeordneten Prozesse detaillierter untersucht werden bzgl. der Form, des Zeitpunktes und der Intensität der Antwort sowie ihrer Sensitivität auf kleine Änderungen in den Betriebsbedingungen oder im Elektroden- bzw. Zelldesign. Abbildung 1 zeigt typische Befragungsmethoden für elektrochemische Zellen.
Dynamische Befragung zur Kinetikanalyse
In der Otto-Hahn-Gruppe „Portable Energiesysteme“ von Ulrike Krewer wurden solche sprung- und sinusförmigen Befragungsmethoden gezielt zur Analyse der Reaktionsprozesse an Anoden und Kathoden von Polymerelektrolyt-basierten Brennstoffzellen oder von Batterien eingesetzt.
Als Beispiel für Mehrschritt-Reaktionsprozesse wurden die Methanoloxidation mit Wasser an Platin-Ruthenium-Katalysatoren untersucht, so wie sie in technisch eingesetzten Direkt-Methanol-Brennstoffzellen abläuft, aber auch die Sauerstoff-Reduktion an Platin [2].
Während der Methanoloxidation geben die Reaktionspartner Wasser und Methanol sechs Protonen und Elektronen ab; der Prozess kann vereinfacht in drei Reaktionsschritten (Abb. 2 links) dargestellt werden. Eine Befragung der Elektrode mit kleinen sinusoidalen Stromänderungen (elektrochemische Impedanzspektroskopie) ergab charakteristische Antwortspektren, die nur mittels eines der postulierten Modelle (Modell mit Temkin-Adsorption und potenzialunabhängiger CO-Oxidation) wiedergegeben werden konnten [3]. Die so identifizierte Reaktionskinetik zeigte, dass insbesondere die Methanol-Partialoxidation und die CO-Oxidation langsam ablaufen, während die Wasser-Chemisorption sehr viel schneller ist. Befragt man nun eine Direkt-Methanol-Brennstoffzelle mit einem Stromsprung, so sieht man dieses Zusammenspiel von langsamen und schnellen Schritten sehr deutlich (Abb. 2 rechts); ersichtlich ist aber auch, dass die Dynamik sehr stark bzw. nichtlinear ist. Lineares Verhalten erhält man dann nur noch, wenn man kleine Auslenkungen wie bei der Impedanzspektroskopie durchführt. Will man nun das charakteristische nichtlineare Verhalten zusätzlich zur Kinetikuntersuchung nutzen, z. B. weil zwei Modelle gleich gut die Impedanzspektren wiedergeben und daher nicht zwischen ihnen diskriminiert werden kann, so kann man entweder Sprünge auf das System geben (Abb. 2) oder auch die Amplitude der Sinusbefragung signifikant erhöhen. Die sogenannte Klirrfaktoranalyse summiert für die Sinusbefragung die relativen nichtlinearen Anteile der Spannungsantwort auf und zeigt diese als Funktion der Anregungsfrequenz.
Die einzelnen Prozesse und Modelle lassen sich so zu charakteristischen Zeiten bzw. Frequenzen im Detail analysieren. Neben der Methanoloxidation an Pt-Ru-Katalysatoren (Abb. 3) [5,6] konnten so auch verschiedene Modelle für die Sauerstoff-Reduktion an Pt-Katalysatoren [2] verglichen und diskriminiert werden.
Die in diesem Umfeld erstmals zur Kinetikuntersuchung eingesetzte Methode der Klirrfaktoranalyse ist problemlos auch auf weitere Kinetikuntersuchungen im Bereich Brennstoffzelle, Elektrolyse und Batterie einsetzbar. Auch das Verständnis über komplexe bioelektrochemische Prozesse, wie sie z. B. in mikrobiellen Brennstoffzellen auftreten, kann mittels dynamischer elektrochemischer Untersuchungen erweitert werden.
Dynamische Befragung zur Diagnose oder Konzentrationsbestimmung
Die dynamischen Untersuchungsmethoden sind über die Grundlagenforschung hinaus auch bedeutsam für die Anwendung. Dies hängt damit zusammen, dass die Kinetiken und ihre charakteristische Dynamik eng mit den vorliegenden Reaktionsbedingungen, z. B. Konzentrationen der Reaktanden, und auch dem Zustand der Katalysatoren zusammenhängen. Ändern sich also die Reaktandenkonzentration oder der Katalysator- bzw. Elektrodenzustand, so sind charakteristische Änderungen in der dynamischen Antwort zu erwarten. Dies wurde sowohl für die Methanoloxidation [1,4,5] als auch für die Sauerstoffreduktion beobachtet [2]. Im Fall der Methanoloxidation ergibt sich sogar eine monotone Korrelation zwischen Dynamik und Methanolkonzentration, sodass die dynamische Befragung zur Sensorik der Methanolkonzentration eingesetzt werden kann (Abb. 4).
Danksagung
Ulrike Krewer dankt der Max-Planck-Gesellschaft sowie dem Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme, Magdeburg für die finanzielle Unterstützung ihrer Forschung im Rahmen der Otto-Hahn-Gruppe „Portable Energiesysteme“ (2008-2013) und die ausgezeichneten Rahmenbedingungen. Mit seiner herausragenden Expertise auf dem Gebiet der Analyse komplexer technischer Systeme bot das Max-Planck-Institut ein sehr anregendes und fruchtbares Forschungsumfeld. Die dynamischen Studien werden zukünftig an der TU Braunschweig weitergeführt.