Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Ökonomik (1993 bis 2014)

Biotechologische Unternehmensgründungen in Deutschland

Bioentrepreneurship in Germany

Autoren
Patzelt, Holger
Abteilungen

Entrepreneurship, Growth and Public Policy (Prof. David Audretsch)
MPI für Ökonomik, Jena

Zusammenfassung
Die Biotechnologie ist einer der vielversprechendsten Technologiezweige des 21. Jahrhunderts. Im Rahmen eines Forschungsprojekts am Max-Planck-Institut für Ökonomik wurden verschiedene Aspekte der Gründungsforschung in der Biotechnologiebranche untersucht. Fünf Studien zeigen unter anderem, wie junge Biotechnologiefirmen in Zeiten knapper Kapitalmärkte überleben, technologische Krisen überstehen und durch Fusionen ihre Wettbewerbsposition stärken können. Die Ergebnisse haben Implikationen für Entrepreneurship-Forschung und Managerpraxis.
Summary
Biotechnology is one of the most promising technologies of the 21st century. This project analyzes different aspects of entrepreneurship research in the context of the biotechnology industry. Five studies show how young biotech firms can survive in times of hostile equity markets, escape technological crises, and gain competitive advantage through mergers. The results have implications for entrepreneurship research and managerial practice.

Ein Projekt mit dem Titel „Bioentrepreneurship in Germany“ am Max-Planck-Institut für Ökonomik beschäftigte sich mit unterschiedlichen Themengebieten, die alle im Bereich Gründungsforschung an jungen Biotechnologieunternehmen angesiedelt sind. Dieser Forschungsbereich ist aus mehreren Gründen von Bedeutung. Zum einen zählt die Biotechnologie zu den vielversprechendsten Technologiezweigen des 21. Jahrhunderts. Moderne biotechnologische Produkte und Verfahren ermöglichen die Erforschung molekularer Prozesse in menschlichen, tierischen, pflanzlichen und bakteriellen Organismen, wodurch zum Beispiel die Entwicklung neuer Therapeutika und Diagnostika ermöglicht wird. Die Charakteristika der biotechnologischen Produktentwicklung wie lange Entwicklungszyklen, hohe technologische und marktseitige Unsicherheiten und ein hoher Kapitalbedarf führen dazu, dass Forschungsergebnisse aus anderen Branchen nur bedingt auf die Biotechnologiebranche übertragbar sind. Dies macht industriespezifische Forschung wie in den fünf hier beschriebenen Studien notwendig.

Die Biotechnologie-Industrie 2002–2004

Die erste der Studien stellt eine detaillierte und theoretisch fundierte Analyse der Entwicklung der deutschen Biotechnologie-Industrie unter den Bedingungen rückläufiger Kapitalmärkte in den Jahren 2002 bis 2004 dar. Dabei wird untersucht, wie organisationsexterne und organisationsinterne Anpassungsmechanismen die Entwicklung der Branche erklären. Externe Anpassung findet durch eine steigende Zahl an Insolvenzen und eine sinkende Anzahl an Gründungen risikokapitalfinanzierter (VC-finanzierter) Unternehmen statt. Allerdings ist die beobachtete Branchenkonsolidierung deutlich schwächer als von Industrieexperten erwartet, da sich viele Biotechnologiefirmen intern an das schwierige Finanzierungsumfeld anpassen. Vergleichende Fallstudien von Firmen zeigen, dass eine Schrumpfung des Unternehmens, ein Wechsel des Geschäftsmodells hin zu mehr Serviceorientierung sowie ein verstärktes Engagement in strategischen Allianzen und M&A-Aktivitäten (Fusionen und Firmenübernahmen) mit anderen Firmen zum Überleben der Firmen unter diesen Bedingungen beitragen können.

Fusions- und Übernahmeaktivitäten von Startups

Gegenstand der zweiten empirischen Studie sind M&A-Aktivitäten junger Biotechnologie-Startups. Unter Verwendung vergleichender Fallstudien werden für den untersuchten Kontext spezifische Motive sowie potenzielle Vorteile und Probleme von M&A-Transaktionen analysiert. Zu den identifizierten Motiven zählen die Integration der Technologien der M&A-Partner, das Streben nach einer „kritischen“ Unternehmensmasse und der Zugang zu dem Kontaktnetzwerk und den Managementressourcen des Partners. Als mögliche Vorteile sind eine erhöhte Sichtbarkeit für Investoren, ein Ausbau der Produkt-Pipeline und der Zugang zu internationalen Kapitalmärkten im Falle eines internationalen M&As zu nennen. Probleme können bereits vor der Transaktion auftreten, wenn ein Unternehmen nicht den richtigen Partner findet oder keine Unterstützung von seinen Investoren erhält. Während der Post-Merger-Integration (Integration nach einer Fusion) können sich zudem Schwierigkeiten bei der Integration der Technologien oder bei der Kontrolle über die Geschäftstätigkeit am neuen Standort ergeben, insbesondere wenn sich dieser im Ausland befindet.

Motive für strategische Allianzen

In der dritten Studie wird ein in der Literatur beschriebenes konzeptionelles Modell für die Entstehung strategischer Allianzen für den spezifischen Kontext junger Biotechnologieunternehmen operationalisiert und erweitert. Mit einem experimentellen Ansatz werden die Entscheidungen von 51 Top-Managern der deutschen Biotechnologiebranche, neue Partner für strategische Allianzen zu suchen, analysiert. Dabei zeigt sich, dass diese Entscheidung von der Ressourcenposition, der Verfügungsgewalt über intellektuelles Eigentum und von der Umwelt der Firma abhängt. Damit trägt die Studie zu den bislang spärlichen empirischen Erkenntnissen zum Einfluss der Ressourcenbasis eines Unternehmens auf strategische Entscheidungen der Manager bei. Zudem wird gezeigt, dass diese Entscheidungen komplex sind und mögliche Interaktionen zwischen Ressourcen von Managern berücksichtigt werden.

Noch wichtiger jedoch sind die Beiträge der Studie zur Literatur über strategische Allianzen. Insbesondere das Ergebnis, dass eine geringe Liquidität der Firma und ein rückläufiger Kapitalmarkt die Haupttriebkräfte bei Allianzentscheidungen sind, lassen die Ergebnisse vorhergehender Studien anderer Autoren in neuem Licht erscheinen. Diese Autoren betonen vor allem mangelnde Rationalität und das Machtstreben der Manager als Gründe für ein zu starkes Engagement vieler Firmen in Allianzen. Wird jedoch davon ausgegangen, dass viele Manager aufgrund mangelnder Liquidität und drohender Firmeninsolvenz Allianzen mit anderen Unternehmen suchen, erscheint diese Entscheidung als ein rationaler Versuch, das Beste aus einer schlechten Situation zu machen. Zu bezweifeln ist allerdings, dass diese Firmen die nötigen Ressourcen für eine erfolgreiche Abwicklung der Allianz besitzen, womit sich zumindest ein Teil des oftmals beschriebenen hohen Anteils nicht erfolgreicher Allianzen erklären lässt.

Krisenmanagement junger Biotechnologiefirmen

Die vierte empirische Studie dieser Arbeit zeigt anhand einer explorativen Fallstudie, wie eine junge Biotechnologiefirma auch nach dem Zusammenbruch ihrer Technologie überleben und weiter wachsen kann. Grundlage des erfolgreichen Krisenmanagements des Fallstudienunternehmens ist eine aggressive Geschäftsentwicklungs- und Projektakquisitionsstrategie, die aus der Eigenentwicklung und Einlizenzierung neuer Technologien sowie einer Akquisition über M&A-Aktivitäten besteht. Daneben erweist sich auch ein effizientes Management von finanziellen, organisatorischen, humanen und sozialen Ressourcen als essentiell für ein erfolgreiches Krisenmanagement.

Um maximale Liquidität für den Krisenmanagementprozess zu garantieren, sollten im Falle eines Verdachts technologischer Invalidität alle finanziellen Mittel auf die schnelle Bestätigung dieses Verdachts konzentriert werden. Zudem kann ein M&A mit einer anderen Firma die weitere Kapitalakquisition von Investoren in dieser Zeit erleichtern. Eine Herausforderung für Manager ist die effiziente Integration des Wissens, das der neu akquirierten Technologie zugrunde liegt. Dieser Herausforderung kann zum Beispiel dadurch begegnet werden, dass die ursprünglichen Technologieentwickler in der Firma angestellt werden. Alternativ kann eine langfristig ausgerichtete Zusammenarbeit mit den Institutionen, die die Technologie ursprünglich entwickelt haben, vertraglich vereinbart werden.

In Bezug auf das Humanressourcenmanagement zeigt sich, dass ein schnelles Akzeptieren einer unvermeidlichen Personalfluktuation und die Konzentration auf die Beschaffung neuen Personals während des Krisenmanagementprozesses förderlich sind. Die Kommunikation mit dem Personal sollte ebenso wie die mit den Investoren offen und ehrlich sein. Ein Vergleich mit existierender Literatur zum Krisenmanagement eines großen englischen Biotechnologieunternehmens zeigt viele Parallelen auf und deutet an, dass die Ergebnisse der untersuchten Fallstudie auch auf größere Firmen übertragbar sind.

Risikoreduzierung durch Diversifikation

Die fünfte und letzte empirische Studie im Forschungsprojekt „Bioentrepreneurship in Germany“ nimmt schließlich die Perspektive von Risikokapital-Investoren in der Biotechnologie- und Life-Science-Branche ein und untersucht, inwiefern eine Diversifikation eines industriespezialisierten Investitionsportfolios zur Risikoreduzierung beitragen kann. Ziel der Studie ist ein Beitrag zur wissenschaftlichen Literatur. Dieser besteht zum einen aus der Einführung eines theoretischen Analyserahmens für die Risikoverteilung in Life-Science-Portfolios. Ausgehend von praxisorientierter Literatur und Interviews mit Risikokapital-Managern unterscheidet dieser Rahmen zwischen dem Life-Science-Geschäftsfeld Therapeutikaentwicklung (hohes Risiko) einerseits und den Feldern Diagnostika, Auftragsforschung und Medizintechnik (niedriges Risiko) andererseits. Darüber hinaus können Risikokapital-Manager das Risiko ihres Sub-Portfolios der Therapeutikafirmen durch eine Diversifizierung zwischen unterschiedlichen therapeutischen Märkten und Technologien (Substanzklassen) erzielen.

Eine Anwendung dieses Analyserahmens im Rahmen einer vergleichenden Fallstudienanalyse auf die Portfolios von sieben Risikokapital-Firmen zeigt, dass kleine Firmen (gemessen an dem von ihnen insgesamt verwalteten Kapital) ihr Risiko nicht mehr durch eine verstärkte Investition in risikoarme Geschäftsfelder oder eine höhere Diversifizierung ihres Sub-Portfolios der Therapeutikafirmen reduzieren als große Risikokapital-Firmen. Dies ist insofern überraschend, als dass die kleinen Risikokapital-Firmen der untersuchten Stichprobe ein höheres Investitionsrisiko durch eine regionale Fokussierung und eine Spezialisierung auf Frühphaseninvestitionen ausweisen. Stattdessen können zwei archetypische Portfoliostrategien unabhängig von der Risikokapital-Firmengröße identifiziert werden. Risikokapital-Firmen investieren entweder mit einem Fokus auf die riskanten Therapeutika-Entwickler und diversifizieren dieses Sub-Portfolio dann mehr im Bezug auf Märkte und Technologien, oder sie fokussieren dieses Sub-Portfolio und investieren dafür verstärkt in weniger risikoreiche Geschäftszweige.

In Kombination mit Daten aus Interviews mit Risikokapital-Managern ergibt sich somit die Schlussfolgerung, dass – im Gegensatz zu nicht-industriespezialisierten Portfolios – eine Spezialisierung auf bestimmte Märkte und Technologien nicht zu einer Risikoreduzierung des Risikokapital-Portfolios beiträgt. Spezialisierung auf Industrieebene scheint für Risikokapital-Firmen das Optimum zur Akkumulation spezifischen Wissens und zum Aufbau von Netzwerken und Reputation. Neben diesem interessanten Ergebnis zeigt die Studie, dass die Diversifikation von Risikokapital-Portfolios durch unterschiedliche, in der Literatur bislang nicht beschriebene Einflussfaktoren, wie zum Beispiel mangelnden Beteiligungsanfragen oder einer Notwendigkeit zur Verfolgung technologischer Trends, beeinflusst wird.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Arbeit zur Gründungsforschung im Bereich der Biotechnologie in unterschiedlichen Themengebieten beiträgt. Ein Teil der Ergebnisse ist unmittelbar von praktischer Relevanz, und ihre Berücksichtigung in der Managementpraxis kann zu Innovation und wirtschaftlichem Nutzen durch verbesserte Unternehmensführung und stärkeres Firmenwachstum führen. Stärkeres Wachstum auf Unternehmensebene fördert die Entwicklung der gesamten Biotechnologiebranche, woraus sich positive gesellschaftliche Auswirkungen wie die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Generierung neuer Medikamente ergeben.

Originalveröffentlichungen

H. Patzelt, D. A. Shepherd, D. Deeds, S. W. Bradley:
Financial slack and venture managers’ decisions to seek a new alliance.
Journal of Business Venturing 23, 4, 465–481 (2008).
H. Patzelt, D. B. Audretsch:
Biotechnology in hostile financing environments – An organizational evolution perspective.
Journal of Organizational Change Management (2008).
H. Patzelt, L. Schweizer, D. zu Knyphausen-Aufseß:
Mergers and acquisition of German biotechnology startups.
International Journal of Biotechnology 9, 1, 1–19 (2007).
H. Patzelt, D. zu Knyphausen-Aufseß, I. Arnoldt:
How do venture capitalists spread risk by diversification within specialized life science portfolios?
International Journal of Technology Management 34, 1/2, 105–125 (2006).
H. Patzelt, A. Zaby, D.zu Knyphausen-Aufseß:
Crisis management in entrepreneurial life science companies – an explorative case study.
International Journal of Biotechnology 8, 3/4, 244–267 (2006).
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