Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Quantifizierung optimaler Funktion der Landbiosphäre und deren Auswirkung auf das Erdsystem
Quantification of optimal biospheric functioning and its impact on the Earth system
Biosphärische Theorie und Modellierung (Dr. Axel Kleidon)
MPI für Biogeochemie, Jena
Die Rolle der Landbiosphäre im Erdsystem
Die Biosphäre spielt eine wichtige Rolle für den Austausch von Energie, Impuls und Masse zwischen der Landoberfläche und der Atmosphäre. Atmosphärische Bedingungen beeinflussen die Produktivität der Biosphäre durch die Verfügbarkeit von Licht, Wasser und Temperatur. Die Ausformung dieser Rahmenbedingungen ist jedoch stark von den Eigenschaften der Vegetation abhängig. So moduliert die Vegetation die Menge an Solarstrahlung, die an der Landoberfläche absorbiert wird, und die Aufteilung dieser Energie in den fühlbaren Wärmefluss und die Verdunstung. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die atmosphärische Grenzschicht, auf Konvektion, Wolkenbildung und auf großskalige Zirkulationsstrukturen. Die klimatischen Unterschiede zwischen einer natürlich bewachsenen und einer kahlen Landoberfläche lassen sich leicht vor Augen führen, wenn man an die unterschiedlichen mikroklimatischen Bedingungen eines Waldes im Vergleich zu einem asphaltierten Parkplatz im Sommer denkt.
Thermodynamik und Optimalität der Landbiosphäre
Der grundlegende theoretische Ansatz zur Quantifizierung der optimalen Funktion der Landbiosphäre und deren Auswirkung auf das Erdsystem beruht auf Prinzipien der Thermodynamik fern vom Gleichgewicht. Eine allgemeine Eigenschaft von Erdsystemprozessen ist, dass sie dissipativ sind und Energie in eine weniger verfügbare Energieform umwandeln. Dieser Trend wird durch den physikalischen Begriff der Entropieproduktion beschrieben. Auch die Aktivität der Biosphäre produziert Entropie: Die Photosynthese produziert chemische Energie unter Verwendung von Sonnenlicht, Strahlungsenergie niedriger Entropie, und stellt damit die Energie für die Aktivität der Biosphäre bereit. Bei der Respiration wird diese Energie in Wärme umgewandelt, also in einen Zustand höherer Entropie überführt. Dadurch lässt sich die Gesamtaktivität der Biosphäre als ein dissipativer Prozess unter vielen im Erdsystem verstehen [1, 2].
Ebenfalls eine allgemeine Eigenschaft von Erdsystemprozessen ist, dass die Randbedingungen nicht fest vorgegeben sind. Das Klima über Land wird nicht ausschließlich durch atmosphärische Bedingungen bestimmt, denn diese werden durch die Funktion der Landoberfläche stark geformt. Daher diktiert die Atmosphäre nicht die Funktion der Landbiosphäre, sondern agiert lediglich als Randbedingung, unter welcher es ein weites Spektrum von Möglichkeiten der Klimabeeinflussung durch die Landbiosphäre gibt.
Abbildung 1 demonstriert anhand von drei Aspekten, wie die Vielfalt in Pflanzenform und Funktion das Landklima prägt und zu dieser Bandbreite an möglichen Klimazuständen führt. Mithilfe von Sensitivitätsexperimenten eines gekoppelten Vegetations-Atmosphäremodells, in dem Vegetationsform und -funktion über einen großen Bereich variiert wird, kann diese Bandbreite bestimmt werden [3]. Das resultierende Spektrum ist in Abbildung 1 anhand der global gemittelten Landoberflächentemperatur und des Jahresniederschlags dargestellt. Es wird ersichtlich, dass innerhalb des physikalisch und biologisch möglichen Bereichs die klimatischen Bedingungen für Vegetationsproduktivität stark schwanken können. Innerhalb dieses Bereichs gibt es optimale Bedingungen, für die die Produktivität maximal ist. Diese optimalen Bedingungen liegen nahe dem Klimazustand der Standardversion des Modells, welches zur Simulation heutiger Bedingungen benutzt wird. Daraus kann man schlussfolgern, dass das gegenwärtige Klima nahezu optimal für die Produktivität der Landbiosphäre ist für heutige Randbedingungen.
Das Besondere an dieser Optimalitätsbetrachtung ist, dass die Maximierung der Produktivität auch einer Maximierung der Dissipation chemischer Energie entspricht. Damit ist dieser Ansatz konsistent mit einem allgemeinen Prinzip der Nichtgleichgewichtsthermodynamik, welches besagt, dass hinreichend komplexe, dissipative Systeme einen stationären Zustand annehmen, der maximal Entropie produziert [1]. Dieses Prinzip der Maximalen Entropieproduktion (MEP) hat potenziell weitreichende Anwendungen, z.B. für das Verständnis von empirischen Zusammenhängen, die in Klimamodellen verwendet werden [4, 5]. Für die Landbiosphäre bedeutet dies, dass das beobachtete Verhalten gut mit einem allgemeinen Optimierungsansatz beschrieben werden kann, der sich auf ein fundamentales thermodynamisches Prinzip zurückführen lässt.
Im Folgenden werden drei Beispiele aufgezeigt, die die Konsequenzen dieser Perspektive für die Rolle der Biosphäre im Erdsystem illustrieren. Es geht dabei um die Bestimmung der biologisch möglichen Klimazustände und deren Evaluierung im Hinblick auf ihr dissipatives Verhalten und Optimalität.
Beispiel 1: Verständnis von empirischen Zusammenhängen
Das erste Beispiel illustriert, wie man einen im Labor bestimmten ökophysiologischen Zusammenhang zwischen stomatärer Leitfähigkeit der Vegetation und Umweltbedingungen (das so genannte – „Ball-Berry-Gesetz”) durch Optimalität verstehen kann. Eine Reihe von Sensitivitätssimulationen wurde mit einem gekoppelten Vegetations-Atmosphärenmodell durchgeführt, wobei der Wert der maximalen stomatären Leitfähigkeit verändert wurde [6]. Diese Simulationen wurden analysiert in Bezug auf Optimalität und Übereinstimmung mit dem Ball-Berry-Gesetz (quantifiziert durch den linearen Korrelationskoeffizienten). Die Ergebnisse in Abbildung 2 zeigen, dass die beste Übereinstimmung in der Simulation gefunden wird, in der die Vegetationsproduktivität maximal ist. Somit kann das Ball-Berry-Gesetz als Folge optimalen Verhaltens betrachtet werden.
Beispiel 2: Klimasensitivität einer anpassungsfähigen Biosphäre
In gegenwärtigen Modellen der Landbiosphäre wird die Anpassung von Pflanzenfunktionen an die Umweltbedingungen nur ungenügend berücksichtigt. Der Ansatz der Optimalität bietet eine Möglichkeit, die potenziellen Auswirkungen von Anpassung auf Klimasensitivität abzuschätzen: Wenn Umweltbedingungen sich ändern, verändern sich die Randbedingungen unter denen optimiert wird, und folglich das optimale Verhalten. Abbildung 3 zeigt ein Beispiel, wie sich die optimale stomatäre Leitfähigkeit für verschiedene Konzentrationen von atmosphärischen Kohlendioxid (CO2) verschiebt. Die resultierende Sensitivität der Leitfähigkeit ist konsistent mit Rekonstruktionen aus Paläodaten. Die Auswirkungen auf die simulierte Klimasensitivität wird in Abbildung 3 anhand der Landverdunstung gezeigt. Dieses Beispiel demonstriert, dass die Vernachlässigung von Optimalität und Anpassung zur systematischen Unterschätzung der Produktivität und veränderter Klimasensitivität führen kann.
Beispiel 3: Klimasensitivität von Landnutzungsänderungen
Die durch den Menschen verursachten Landnutzungsänderungen, wie z. B. die Umwandlung natürlichen Waldes in landwirtschaftliche Nutzflächen, ändern die physikalische Funktion der Landoberfläche, mit entsprechenden Auswirkungen auf das Klimasystem. Aber die bodennahe Lufttemperatur ist dafür kein gutes Maß, da sie nicht direkt mit dissipativem Verhalten in Beziehung steht. Um dies zu zeigen, wurden Sensitivitätssimulationen zu verschiedenen Intensitäten von Landnutzung durchgeführt [7] und anschließend im Hinblick auf die Auswirkungen auf bodennahe Lufttemperatur und Vegetationsproduktivität analysiert (Abb. 4). Diese Sensitivitäten zeigen eindrucksvoll, dass die Landmitteltemperatur nicht sensitiv ist, während das Klima über Land sich drastisch unterscheidet und nur geringere Produktivität erlaubt.
Ausblick
Während diese ersten Ergebnisse bereits den Wert des thermodynamischen Ansatzes bestätigen, gibt es noch ein weites Feld an offenen Fragen. Gegenwärtige Projekte in der Arbeitsgruppe beschäftigen sich unter anderem damit, (i) biogeochemische Wechselwirkungen besser zu berücksichtigen; (ii) Individuen-basierte Modelle weiter zu entwickeln, um das Entstehen von Optimalität aus der Populationsdynamik besser zu verstehen; (iii) Methoden zu entwickeln, um Optimalität standardmäßig in einem Erdsystemmodell zu implementieren; (iv) diesen Ansatz in Szenarienläufe für die nächsten 100 Jahre einzuarbeiten; und (v) weitere Beispiele von Optimalität in Vegetation zu demonstrieren.
Danksagung. Diese Arbeiten wurden durch die National Science Foundation der USA gefördert.