Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Dünnschnabel-Walvögel: „Mini-Albatrosse” messen Klimawandel im Südpolarmeer

Autoren
Quillfeldt, Petra; Masello, Juan Francisco
Abteilungen

Hormonelle Steuerung des Verhaltens bei Seevögeln (Quillfeldt / Emmy-Noether-Programm) (Dr. Petra Quillfeldt)
MPI für Ornithologie, Seewiesen

Vogelwarte Radolfzell (Dr. Wolfgang Fiedler)
MPI für Ornithologie, Seewiesen

Zusammenfassung
Das Südpolarmeer gehört zu den vom Klimawandel am stärksten beeinflussten Meeresökosystemen. Untersuchungen an Dünnschnabel-Walvögeln, die sich in diesen weiten Meeresgebieten von Zooplankton ernähren, sollen unser Verständnis von den Veränderungen im Ökosystem fördern. Weiterhin werden Anpassungen untersucht, die es den Vögeln ermöglichen, mit den veränderten Bedingungen umzugehen, insbesondere die Flexibilität im Verhalten bei der Kükenversorgung und in der Physiologie, mit der sie Zeitabläufe und Investitionen im Brutzyklus steuern.

Hintergrund

Der globale Klimawandel beeinflusst Meeresökosysteme unter anderem durch die Erhöhung der Meerestemperatur, durch Versäuerung und Veränderungen in den Meeresströmungen. Als Folge dieser Änderungen beobachten wir derzeit im Südlichen Ozean eine Verschiebung der Häufigkeiten von Primärproduzenten und Zooplankton, die als Symptome eines regime shift (Ökosystemwandels) gedeutet werden.

Um diese Prozesse und ihre Auswirkungen auf die Lebensgemeinschaften dieser auch ökonomisch bedeutsamen Meeresgebiete besser zu verstehen, werden nicht nur Daten über die kommerziell genutzten Arten wie Tintenfische und Fische, sondern auch über tiefer im Nahrungsnetz stehendes Zooplankton benötigt. Dieses Zooplankton, zu dem im Südwestatlantik insbesondere kleine freischwimmende Krebstiere (Krill- und Amphipodenarten) gehören, bietet den Fischen und Tintenfischen Nahrung.

Dünnschnabel-Walvögel

Vom Zooplankton lebt aber auch eine kleine Vogelart, der Dünnschnabel-Walvogel Pachyptila belcheri, der auf den Falkland-Inseln am Rand des Südpolarmeeres brütet (Abb. 1). Da das Zooplankton besonders schnell auf Veränderungen in den Umweltbedingungen reagiert, sind Zooplankton-Jäger wie Dünnschnabel-Walvögel ideal für Untersuchungen zum Meeresklimawandel.

Dünnschnabel-Walvögel gehören mit Albatrossen, Sturmvögeln, Sturmschwalben und Sturmtauchern zur Vogelordnung der Procellariiformes (Röhrennasen). Wie die Namen schon andeuten, sind sie vor allem in den stürmischen Polarmeeren zu Hause, es gibt aber auch einige wenige tropische Arten. Ihre charakteristischen Lebensläufe zeichnen sie als sehr langlebige Arten aus, die sich mit nur einem Ei alle ein bis zwei Jahre sehr langsam fortpflanzen. Auch die Kükenentwicklung erfolgt langsamer als beispielsweise bei Singvögeln, da die Küken nur unregelmäßig und mit Unterbrechungen gefüttert werden ([1], Abb. 2). Während der bis zu acht Tage langen Nahrungsflüge ([2], Abb. 2) können die Vögel antarktische Meeresgebiete hunderte Kilometer weiter südlich erreichen [3]. Durch diese hochpelagische Lebensweise, das heißt die Nutzung ausgedehnter Hochseegebiete, können Dünnschnabel-Walvögel lokalen Schwankungen im Nahrungsangebot großräumig ausweichen. Im Gegensatz zu den ebenfalls auf den Falkland-Inseln brütenden Pinguinarten konnten Walvögel dadurch trotz einer Reihe sehr schlechter Brutsaisons [4] bislang stabile Populationsgrößen erhalten.

Große Kolonien ermöglichen Koexistenz mit Fressfeinden

Wie bei vielen anderen Röhrennasenarten, sind auch die Kolonien der Dünnschnabel-Walvögel ein Magnet für Prädatoren (Fressfeinde). Die Bejagung durch natürlich auftretende Prädatoren wie Raubmöwen umgehen Dünnschnabel-Walvögel weitgehend, indem sie ihre Nester in selbstgegrabenen, mehrere Meter lange Gänge umfassenden Erdhöhlen anlegen. Auch kommen sie nur nachts, im Schutz der Dunkelheit, in die Kolonie. Diese Maßnahmen sind jedoch nicht effektiv gegen kleine Säugetiere. Die Inseln, auf denen die großen Brutkolonien entstanden sind, waren ursprünglich frei von Landsäugetieren. Jedoch haben Robben- und Walfänger sowie Siedler im 19. Jahrhundert Kaninchen, Katzen, Mäuse und Ratten auf New Island ausgewildert beziehungsweise eingeschleppt. Dass es auf einer Insel mit so vielen „Neubürgern” den Dünnschnabel-Walvögeln gelang, ihre größte weltweit bekannte Kolonie mit ca. zwei Millionen Brutpaaren aufrechtzuerhalten, liegt wohl an zwei Hauptfaktoren [5]. Zum einen sind die Dünnschabel-Walvögel wie auch andere Seevögel nur im Südsommer, von November bis März, auf der Insel. Im Winter müssen sich die Säuger mit der kargen Vegetation begnügen. Zum anderen reduzieren die verschiedenen Säuger ihre Zahl gegenseitig, indem z.B. die Katzen die Kaninchen, Mäuse und Ratten jagen. So bleibt die Zahl der eingeschleppten Säuger gering und hat auf die sehr große Zahl der Walvögel nur einen kleinen Einfluss [5]. Anders würde das bei kleinen Kolonien aussehen, und dieser Umstand hindert wohl die Walvögel an der Besiedelung anderer Inseln im Falkland-Archipel.

Kleine Erwärmung, große Wirkung

Während der ersten Jahre der Studie (2003-2005) kam es zu einem graduellen Anstieg der Meeresoberflächentemperatur, danach (2006-2008) wieder zu einem Abfall ([4], Abb. 3). Zusätzlich traten kurzzeitige Warmwassereinflüsse auch innerhalb der Brutsaisons auf. Zeiten mit warmem Meerwasser schlugen sich zeitgleich in niedrigen Fütterraten und schlechter Körperkondition der Küken nieder ([4], Abb.3 und 4). Dabei waren deutliche Effekte schon zu sehen bei 0.5-1°C Wassertemperatur über dem langjährigen Mittel. Das zeigt, wie sensibel Dünnschnabel-Walvögel auf Veränderungen im Nahrungsangebot reagieren. Die Altvögel führen dann mehr lange Nahrungsflüge durch und kommen weniger häufig in die Kolonie, um die Küken zu füttern.

Wie reagieren die Küken auf schlechte Versorgung?

Auf den ersten Blick überrascht es, dass sich die schlechte Versorgung der Küken in warmen Jahren nicht in einem geringeren Bruterfolg niederschlug [4]. Das lag daran, dass die meisten Küken bis zum Flüggewerden überlebten, auch wenn sie dafür länger benötigten und viel leichter ausflogen als die Küken in den besseren Jahren. Die Küken kommunizierten ihren größeren Hunger an die Altvögel, indem sie mehr und intensiver bettelten ([4], Abb. 4). So stieg die Zahl der Bettelrufe, mit denen sie die heimkehrenden Altvögel begrüßten, von 300 auf über 1000 Rufe, und die Dauer der Bettelsitzungen von 14 auf über 40 Minuten ([4], Abb. 4). Die Küken zeigten also deutliche Anzeichen von schlechter Versorgung, die sich in ihrer weiteren Entwicklung durch reduzierte kognitive Fähigkeiten und ein schlechter ausgebildetes Immunsystem auf Überleben und Fitness auswirken könnten. In diesem Zusammenhang flossen daher mechanistische Aspekte in die Untersuchungen ein, insbesondere zur hormonellen Steuerung des Bettelverhaltens [6,7], zur hormonellen Steuerung von Zeitabläufen wie Ruhe- und Aktivitätsphasen am Tag und des Flüggewerdens [8] sowie zur Entwicklung der hormonellen Stressantwort [9] und des Immunsystems bei den Küken [10].

Diese Untersuchungen zeigten, dass die Küken der Dünnschnabel-Walvögel die Auswirkungen der unterschiedlichen Umweltbedingungen auf ihre Entwicklung weitgehend abpuffern konnten. Zum Beispiel war die Entwicklung ihres Immunsystems nur vom Alter, aber nicht von ihrer Körperkondition abhängig [10]. Das könnte die Küken vor Spätfolgen der schlechten Versorgung schützen und erklärt, warum Altvögel selbst in schlechten Jahren in die Kükenversorgung investieren sollten. Küken hatten außerdem eine eingeschränkte Hormonantwort auf akute Stressoren [9] und sparten dadurch Energie. Dies macht sie zu einer besonders guten Studienart, denn tägliche Nestkontrollen haben keinen Einfluss auf das Kükenwachstum oder den Hormonstatus der Küken [9].

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Dünnschnabel-Walvögel eine sehr gute Indikatorart für Veränderungen im Meeresökosystem des Südwest-Atlantiks darstellen. Man muss dabei beachten, dass der Bruterfolg allein wenig aussagekräftig ist und dass sich auch Populationstrends nur relativ langsam verändern werden. Dagegen ermöglichen Verhaltensmessungen wie die Fütterraten der Altvögel und die Bettelraten der Küken ein sehr zeitnahes Monitoring der verfügbaren Zooplankton-Menge. Solche Parameter können als frühzeitiges Warnsystem für Veränderungen im Ökosystem genutzt werden.

Originalveröffentlichungen

P. Quillfeldt, J. F. Masello , I. J. Strange:
Breeding biology of the Thin-billed prion Pachyptila belcheri at New Island, Falkland Islands, in the poor season 2002/2003: Egg desertion, breeding success and chick provisioning.
Polar Biology 26, 746 – 752 (2003).
P. Quillfeldt, I. J. Strange , G. Segelbacher, J. F. Masello:
Male and female contributions to provisioning rates of Thin-billed prions Pachyptila belcheri in the South Atlantic.
Journal of Ornithology 148, 367– 372 (2007).
P. Quillfeldt, R. A. R. McGill, I. J. Strange, J. F. Masello, F. Weiss, P. Brickle, R. W. Furness:
Stable isotope analysis reveals sexual and environmental variability and individual consistency in foraging of Thin-billed prions.
Marine Ecology Progress Series 373, 137– 148 (2008).
P. Quillfeldt, I. J. Strange, J. F. Masello:
Sea surface temperatures and behavioral buffering capacity in Thin-billed prions, breeding success, provisioning and chick begging.
Journal of Avian Biology 38, 298 – 308 (2007).
P. Quillfeldt , I. Schenk, R. A. R. McGill, I. J. Strange , J. F. Masello, A. Gladbach, V. Roesch, R. W. Furness:
Introduced mammals coexist with seabirds at New Island, Falkland Islands, Abundance, habitat preferences and stable isotope analysis of diet.
Polar Biology 31, 333 – 349 (2008).
P. Quillfeldt, J. F. Masello, I. J. Strange, K. L. Buchanan:
Begging and provisioning of Thin-billed prions Pachyptila belcheri is related to testosterone and corticosterone.
Animal Behaviour 71, 1359 – 1369 (2006).
P. Quillfeldt, N. Everaert, J. Buyse, J. F. Masello, S. Dridi:
Relationship between plasma leptin-like protein levels, begging and provisioning in nestling Thin-billed prions Pachyptila belcheri.
General and Comparative Endocrinology 161, 171 – 178 (2009).
P. Quillfeldt, M. Poisbleau, O. Chastel, J. F. Masello:
Corticosterone in thin-billed prion Pachyptila belcheri chicks, Diel rhythm, timing of fledging and nutritional stress.
Naturwissenschaften 94, 919 – 925 (2007).
P. Quillfeldt, M. Poisbleau, O. Chastel, J. F. Masello:
Acute stress hyporesponsive period in nestling Thin-billed prions Pachyptila belcheri.
Journal of Comparative Physiology A 195, 91 – 98 (2009).
P. Quillfeldt, G. Ruiz, M. Aguilar Rivera, J. F. Masello:
Variability in leucocyte profiles in Thin-billed prions Pachyptila belcheri.
Comparative Biochemistry and Physiology A 150, 26 – 31 (2008).
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