Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Nachhaltige Materialien GmbH
Korrosionsschutz mit leitfähigen Polymeren: Entwicklung intelligent selbstheilender Beschichtungen
Corrosion Protection by Conducting Polmers: Development of intelligent self-healing coatings
Grenzflächenchemie und Oberflächentechnik (Prof. Stratmann) (Prof. Dr. Martin Stratmann)
MPI für Eisenforschung GmbH, Düsseldorf
1. Motivation
Organische Beschichtungen sind eine effiziente Methode, um metallische Produkte vor Korrosion zu schützen. Früher oder später kann es an solchen Defekten zu Korrosion kommen, die eine elektrochemisch getriebene Enthaftung (Delamination) der Schicht verursacht. Insbesondere die so genannte kathodische Delamination kann extrem schnell ablaufen (s. z.B. [1]). Um den korrosiven Angriff zu begrenzen, werden daher den organischen Beschichtungen korrosionsverhindernde Pigmente hinzugefügt.
Die effektivsten Pigmente sind Chromate, deren Gebrauch aufgrund ihrer toxischen und krebserregenden Wirkung schrittweise verringert wird. In der Tat haben alle leistungsfähigen Zusätze schädliche Wirkung auf die Umwelt, wenn sie in zu großer Menge freigegeben werden. Da in so gut wie allen Pigmenten die Inhibitoren durch Auswaschung freigesetzt werden, kommt es zu einer kontinuierlichen Abgabe der Inhibitoren an die Umwelt, auch wenn sie nicht benötigt werden, was somit zu einem permanenten Umweltproblem führt. Es werden daher dringend neuartige Ansätze gesucht.
Die ersten Berichte über den Einsatz von intrinsisch leitfähigen Polymeren (ICP) im Korrosionsschutz publizierten Mengoli [2] und DeBerry [3], die die Eigenschaften von elektropolymerisiertem Anilin (PANI) auf Stahl untersuchten. Seit dieser Zeit wurde eine Vielzahl von Arbeiten auf diesem Gebiet durchgeführt. Typischerweise wurden dabei redox-aktive, leitfähige Polymere wie Polyanilin, Polypyrrol und Polythiophen untersucht; nur diese sollen im Folgenden mit ICP bezeichnet werden. Es wurde eine Reihe von unterschiedlichen Mechanismen zur Erklärung der korrosionsvermindernden Eigenschaften vorgeschlagen, wie z. B. der so genannte „anodische Schutz“. Dieser geht von der Annahme aus, dass redox-aktive leitfähige Polymere wie Polyanilin und Polypyrrol, die in ihrer oxidierten Form aufgebracht werden, durch ihre oxidierende Wirkung die Oxidschicht an der Grenzfläche Polymer/Metall verstärken (siehe z.B. [4]) oder sogar in kleinen Defekten das korrodierende Metall passivieren können [5, 6]. Eine umfangreiche Untersuchung der am häufigsten postulierten Mechanismen wurde am Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH (MPIE) durchgeführt und es konnte gezeigt werden, dass keiner der beschriebenen Mechanismen unter realen Korrosionsbedingungen Schutz vor Korrosion böte [7]. Selbstheilende ICPs, die einen ausreichenden Schutz bieten, wenn das beschichtete Metall komplett in das korrosive Medium eintaucht und die Defekte nicht zu groß sind, versagen bei großen Defekten oder unter atmosphärischen Korrosionsbedingungen, wo sich nur in den Defekten Wasser sammelt, der größte Teil der Beschichtung aber unbedeckt und somit inaktiv bleibt [7, 8]. Nur unter bestimmten Voraussetzungen können mit Beschichtungen, die auf leitfähigen Polymeren basieren, auch für große Defekte und unter atmosphärischen Korrosionsbedingungen gute Korrosionsschutz-Ergebnisse erzielt werden [9-11].
2. Schneller Kationeneinbau kontra Anionen-Freisetzung
Die Ursache dafür liegt in der sehr hohen Geschwindigkeit, mit der das leitfähige Polymer vom Defekt ausgehend reduziert wird. Demzufolge liegt der Schlüssel für die Entwicklung allgemein funktionierender, auf ICP basierender Korrosionsschutzschichten im Verständnis der Steuerungsmechanismen der ICP-Reduktionskinetik in der Beschichtung. Da die ICP-Reduktion an den Transport von Ionen gekoppelt ist und da für den Ladungsausgleich entweder Anionen freigesetzt oder Kationen eingebaut werden müssen, ist die elektrochemische Aktivität besonders an die Ionenleitfähigkeit des Polymers bei der Reduktion gekoppelt. Systeme, die versagen, zeigen schnellen Kationen-Einbau [7, 8].
Dieser schnelle Kationen-Einbau wurde am MPIE grundlegend untersucht. Von einem künstlich polarisierten Defekt aus wurden Beschichtungen unter Sauerstoffausschluss (keine Korrosion) reduziert.
Dadurch ist die einzige mögliche Reaktion auf der Probe die Reduktion des ICPs. Um die Ladungsneutralität während der Reduktion zu erhalten, sind entweder die Freisetzung von Anionen oder der Einbau von Kationen oder auch eine Mischung aus beiden Prozessen notwendig. Folglich wird die Polypyrrol-Reduktion als fortschreitende Front vom Rand mit dem Defekt ausgehend in die intakte und noch unreduzierte Beschichtung eindringen – ein Prozess, der mittels einer am MPIE für Korrosions- und Delaminations-Untersuchungen entwickelten Methode, der Raster-Kelvin-Sonde (SKP), beobachtet werden kann. Das Fortschreiten der Reduktion mit der Zeit wird in Abbildung 1 am Beispiel von Chlorid-dotiertem Polypyrrol illustriert. Die KCl-Lösung im Defekt sorgt dabei für ein recht schnelles Voranschreiten der Reduktionsfront. Verwendet man jedoch stattdessen Tetrabutylammoniumchlorid, d.h. einen Elektrolyten mit großen organischen Kationen, welche nicht in das Polypyrrol eingebaut werden können, dann schreitet die Reduktionsfront wesentlich langsamer voran, selbst wenn später KCl in den Defekt injiziert wird. In Verbindung mit weiteren elektrochemischen und analytischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die schnelle Reduktion in Gegenwart des kleinen Kalium-Kations auf seine schnelle Beweglichkeit im reduzierten Polymer zurückzuführen ist. Dabei wird das Polymer durch die voranschreitende Reduktion Schritt für Schritt quasi in eine „Autobahn“ für schnelle Kationen umgewandelt. Selbst für ICPs, die bei standardmäßiger eingetauchter elektrochemischer Reduktion Anionen freisetzen, führt besagte Umwandlung in dem hier benutzten Aufbau schlussendlich zu einer ausschließlichen Kationen-Einlagerung. Weiterhin wurde gezeigt, dass die Delamination der Beschichtung an Luft im Wesentlichen von der Reduktion des Polymers, und damit ebenfalls durch besagten Kationen-Transport bestimmt wird. Aus grundlegenden Überlegungen heraus wird vorgeschlagen, dass dieser Kationen-Transport für alle Arten von Redox-Polymeren (Polyanilin, Polythiophen, etc…) ausschlaggebend ist, unabhängig von der Art der Dotierung, der Polymerisationsbedingungen, etc.
Durch diskontinuierliche ICP-Beschichtung kann dies verhindert werden. Als Beispiel ist in Abbildung 2 die delaminationshemmende Wirkung einer Probe mit einzelnen PANI-Depots an der Grenzfläche Metall/Beschichtung gezeigt. Durch die Unterbrechung des ICP ist schneller Kationeneinbau nicht möglich. Es wurde beobachtet, dass eine Delaminationsfront, die sich solchen ICP-Depots an der Polymer/Metall-Grenzfläche nähert, vor den ICP-Depots gestoppt wird. Hier polarisieren die ICP-Depots die Grenzfläche in ihrer Umgebung so sehr anodisch, dass keine Sauerstoff-Reduktion, die Hauptreaktion während der kathodischen Delamination, stattfinden kann.
3. Intelligente Inhibitorfreisetzung
Dieses ist auch von Wichtigkeit für die Optimierung des Mechanismus der ICPs, der die stärkste Korrosionsschutzwirkung zu haben scheint: Die intelligente Freisetzung korrosionsinhibierender Anionen. Als Erste zeigten Barisci et al. [12] die Möglichkeit auf, Dotier-Anionen mit korrosionshemmenden Eigenschaften zu nutzen. Kinlen et al. [13] und Kendig et al. [14] zeigten dies erfolgreich an auf Polyanilin basierenden Beschichtungen.
Im Gegensatz zu gewöhnlichen Korrosionspigmenten wird hier kein kontinuierliches Auslaugen beobachtet, da die Freisetzung der Anionen allein durch die Korrosionsaktivität am Defekt ausgelöst wird. Insbesondere die mit der Delamination einhergehende Potenzialabsenkung ist ein effektiver und präziser Auslöser für die intelligente Freisetzung der als Dotier-Anionen im leitfähigen Polymer gespeicherten Inhibitoren [11]; dies ist z.B. bei Polypyrrol der Fall, während für Polyanilin höchstwahrscheinlich der korrelierte Anstieg des pH-Wertes die Freisetzung der Anionen auslösen wird [13, 14].
Das Problem ist aber, dass der schnelle Kationen-Transport auch in Kompositbeschichtungen erfolgt, in denen das leitfähige Polymer als Pigment in einer nichtleitfähigen Matrix vorliegt, wenn ausgedehnte Perkolationsnetzwerke des leitfähigen Polymers vorliegen. Dann würde der Kationen-Transport genau entlang der Perkolationsnetzwerke erfolgen. Für den Aufbau von Beschichtungen für den Korrosionsschutz müssen deshalb ausgedehnte Permeations-Netzwerke von ICP verhindert werden. In Abbildung 3 ist ein Beispiel einer Beschichtung aufgeführt, das auf einer solchen Kompositbeschichtung basiert, die mit Molybdat dotierte Polypyrrol-Nanopartikel (70 nm Durchmesser) enthält.
Hier funktioniert die Freisetzung des Inhibitors. Sobald der Inhibitor freigesetzt wird, nimmt das Potenzial im bereits delaminierten Bereich nach einiger Zeit zu und der Defekt wird passiviert, wodurch die weitere Delamination gestoppt wird.
4. Resumee
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nicht gute Leitfähigkeit, die ausgebaute Perkolations-Netzwerke benötigen würde, wichtig für guten Korrosionsschutz ist, sondern eine ausreichende elektrochemische Aktivität für einen möglichst großen Anteil des leitfähigen Polymers, ohne dass dabei zu ausgedehnte Perkolations-Netzwerke vorliegen. Das Problem ist nun, dass das ICP für elektrochemische Aktivität entweder direkten Kontakt mit der Metalloberfläche haben muss oder über den Kontakt mit anderen Teilchen, die wiederum in Kontakt mit der Metalloberfläche sind, das heißt durch Perkolations-Kanäle. Für eine Kompositbeschichtung ohne jede Perkolation wäre somit das Ergebnis, dass die meisten Partikel im Bulk der Beschichtung inaktiv, d. h. nutzlos, wären. Daher ist eine Optimierung zwischen der Vermeidung von makroskopisch ausgedehnten Perkolations-Netzwerken und der Gewährleistung einer ausreichenden Menge an aktiven Partikeln in der Beschichtung notwendig. Darauf basierend sollten sich mittels leitfähigen Polymeren sehr leistungsfähige neue Beschichtungen für den Korrosionsschutz entwickeln lassen.