Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut für Astrophysik
Das Wachstum superschwerer Schwarzer Löcher in Galaxienzentren
Kosmologie (Prof. Dr. Simon White)
MPI für Astrophysik, Garching
Eine der bemerkenswertesten Erkenntnisse der Astronomie in den letzten Jahren war die Entdeckung, dass jede große Galaxie in ihrem Zentrum ein mehrere Millionen Sonnenmassen schweres Schwarzes Loch beherbergt. Dieser Nachweis konnte mit optischen sowie Radio-Beobachtungen von Sternen und Gaswolken in den Zentren der Galaxien erbracht werden, welche einen starken Anstieg ihrer Rotationsgeschwindigkeiten zum Zentrum hin aufweisen. Solch hohe Geschwindigkeiten werden durch ein starkes Gravitationsfeld hervorgerufen,
wie es ein sehr massereiches Objekt erzeugt.
Wie könnte ein superschweres Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie entstehen? Eine Möglichkeit wäre, dass sich ein stellares Schwarzes Loch bildet, welches dann eine riesige Menge Materie über einen Zeitraum von Millionen oder Milliarden von Jahren schluckt. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich, z.B. aus einem Sternhaufen, ein Haufen Schwarzer Löcher bildet und dann zu einem einzelnen, superschweren Schwarzen Loch verschmilzt. Nach einer weiteren Theorie könnte eine große Gaswolke zu einem superschweren Schwarzen Loch kollabieren. Der Entstehungsmechanismus wird zurzeit unter Astrophysikern heftig diskutiert.
Noch rätselhafter ist der empirische Befund, dass die Masse des Schwarzen Loches direkt mit der Sternenmasse in der zentralen sphäroidalen Komponente einer Galaxie (dem so genannten Bulge) korreliert. Galaxien mit kleinen Bulges, wie die Milchstraße, haben vergleichbar kleine zentrale Schwarze Löcher von ein paar Millionen Sonnenmassen, während riesige elliptische Galaxien Schwarze Löcher mit Massen von Milliarden von Sonnenmassen beherbergen. Durch Beobachtungen mit dem Hubble Space-Teleskop konnte gezeigt werden, dass die Masse des Schwarzen Loches sehr genau berechnet werden kann, wenn die Masse des Bulges bekannt ist.
Dies impliziert, dass die Bildung von superschweren Schwarzen Löchern unmittelbar mit dem Wachstum der Muttergalaxie verbunden ist, wenngleich der genaue Zusammenhang noch unklar ist (Abb. 1). Kontrolliert das Schwarze Loch das Wachstum der Galaxie, oder wird seine Masse durch die Galaxie limitiert? Vielleicht wachsen Schwarzes Loch und Galaxie gemeinsam in einer Art symbiotischer Beziehung? Diese Fragen können nur durch eine genaue Untersuchung des Wachstumsprozesses beantwortet werden.
Eine Gruppe Astronomen des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching und der Johns Hopkins Universität in den Vereinigten Staaten führen genau diese Untersuchung anhand von mehr als 500.000 Galaxien durch, welche als Teil des Sloan Digital Sky Survey (SDSS) beobachtet wurden. Während ihres Wachstums setzen Schwarze Löcher ungeheure Mengen Energie frei, und überstrahlen in den extremsten Fällen ihre Muttergalaxie – man spricht dann von einem Quasar oder aktiven galaktischen Kern. Die Hauptepoche der Quasaraktivität und damit vermutlich des Wachstums Schwarzer Löcher fand statt als das Universum etwa ein Drittel bis zur Hälfte seines heutigen Alters hatte. Es wird davon ausgegangen, dass sich zur gleichen Zeit die großen Galaxien durch Kollisionen und Verschmelzung kleinerer Galaxien gebildet haben. Dennoch werden auch heute, in den Kernen nahegelegener Galaxien, wachsende Schwarze Löcher beobachtet. Auch Sternentstehung wird in diesen Galaxienkernen beobachtet. Da diese nahegelegenen Galaxien sehr viel einfacher untersucht werden können als ihre weiter entfernten, wenngleich spektakuläreren, Vorgänger, kann die Beziehung zwischen dem Wachstum eines Schwarzen Loches und seiner Muttergalaxie am besten an diesen lokalen Galaxien untersucht werden.
Der Sloan Digital Sky Survey (SDSS) ist die ehrgeizigste Himmelsdurchmusterung, die jemals unternommen wurde. Wenn er abgeschlossen ist, wird er ein Viertel des Himmels kartiert haben, und dabei die Positionen und Helligkeiten von mehr als 100 Millionen Himmelsobjekten vermessen haben. Er wird auch die Entfernung zu etwa einer Millionen Galaxien und Quasaren messen. Der SDSS (Abb. 2)ist ein gemeinsames Projekt mehrerer astronomischer Einrichtungen in den USA, Europa, Japan, China und Korea. Das MPI für Astrophysik trat 2001 dem SDSS-Projekt bei.
Die SDSS-Gruppe um Guinevere Kauffmann am MPI für Astrophysik hat aus hunderttausenden Galaxienspektren mehr als 80.000 Galaxien mit aktiven galaktischen Kernen identifiziert anhand derer charakteristischen Merkmale in ihren Spektren. Dieser Katalog aktiver Galaxien ist mehr als 100-mal größer als jeder vorherige und ist öffentlich zugänglich: http://www.mpa-garching.mpg.de/SDSS/. Mit ihm konnte die SDSS- Gruppe das Wachstum nahegelegener Schwarzer Löcher genau untersuchen.
Eines ihrer bemerkenswertesten Resultate ist es, dass Galaxien, in denen gegenwärtig das Schwarze Loch weiterwächst, vor kurzem viele Sterne gebildet haben. Je größer die Wachstumsrate, desto höher war die vorhergehende Sternentstehungsrate. In den Extremfällen wächst das Schwarze Loch so schnell wie in hellen Quasaren und die Galaxie besteht zu einem Großteil aus jungen Sternen. Dies zeigt klar, dass die stellare Masse dieser Galaxien und die Masse ihres zentralen Schwarzen Loches gemeinsam
wachsen. Der Hauptanteil des heutigen Wachstums Schwarzer Löcher findet allerdings in Schwarzen Löchern mit relativ geringer Masse - weniger als 3 x 107 Sonnenmassen - statt. Diese Schwarzen Löcher befinden sich in Bulges ähnlich dem unserer Milchstraße. Die abgeleiteten Wachstumsraten dieser Systeme implizieren, dass diese massearmen Schwarzen Löcher sich auf einer Zeitskala bilden, die vergleichbar ist mit dem Alter des Universums. Demgegenüber wachsen die Schwarzen Löcher mit Milliarden von Sonnenmassen in riesigen elliptischen Galaxien heute nur wenig.
Die Resultate der MPA/JHU-Gruppe stärken auch das Konzept des kosmischen „downsizing” (Verkleinerung). Hiermit wird ein Szenario beschrieben, in dem aktive Sternentstehung und Wachstum Schwarzer Löcher sich im Laufe der Zeit zu kleineren und weniger massereichen Galaxien verschiebt. Für Theoretiker erscheint dieses Konzept paradox, da sie erklären wollen, wie sich Galaxien aus winzigen Dichtefluktuationen im frühen Universum nach dem Urknall bilden können. In der heutigen Standardtheorie besteht der Hauptteil der Materie nicht aus den uns bekannten Elementarteilchen, aus denen Menschen und Sterne bestehen, sondern aus einer unbekannten, dunklen Form von Materie, welche nur per Gravitation wechselwirkt. Diese dunkle Materie durchläuft kein „downsizing” (Verkleinerung) - ihr Kollaps beginnt auf kleinen Skalen und setzt sich zu größeren, massereicheren Strukturen fort. Zu erklären, warum sich Galaxien und dunkle Materie so unterschiedlich verhalten sollten, bleibt eine der großen Herausforderungen für Kosmologen.
Eine Möglichkeit, welche von vielen Wissenschaftlern erforscht wird, ist, dass der Energieausstoß des Schwarzen Loches die Sternentstehung im Bulge unterbindet und damit das weitere Wachstum des Schwarzen Loches verhindert wird. Diese energetische Rückkopplung könnte als selbst-limitierender Prozess agieren: Wachstum des Schwarzen Loches führt zu Energieausstoß, welcher das Wachstum mindert, wodurch weniger Energie ausgestoßen wird, welches zu einem erneuten Wachstum des schwarzen Loches führt. Der plausibelste Mechanismus, um Energie vom Schwarzen Loch an das umgebende Gas zu übertragen, sind so genannte „Jets”, Gasausströme, welche fast Lichtgeschwindigkeit erreichen können. Diese Jets werden bei vielen Galaxien mit aktiven Kernen beobachtet. Sie emittieren Synchrotronstrahlung und sind damit am einfachsten bei Radiowellenlängen zu beobachten.
In Zusammenarbeit mit Philip Best von der Universität Edinburgh hat das MPA-Team radio-laute Quellen (Abb. 3) in ihrem Galaxienkatalog identifiziert. Ihre Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass Radio-jets das Wachstum Schwarzer Löcher unterbinden - radio-laute aktive Galaxien werden hauptsächlich in den massereichsten Galaxien im Universum gefunden und faszinierenderweise hängt der Anteil radio-lauter aktiver Kerne genau so von der Masse des Schwarzen Loches ab, wie man erwarten würde, dass Gas aus den Atmosphären dieser Systeme kühlen und Sterne bilden kann. Für die massereichsten Galaxien im nahen Universum (1012 Sonnenmassen) erreicht der radio-laute Anteil fast 100 Prozent. Man kann nun spekulieren, dass dies kein Zufall ist. Könnte die schiere Anwesenheit einer kontinuierlichen Radioquelle der Grund sein, warum Galaxien und Schwarze Löcher nicht größer werden können?