Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen
MicroRNAs - mächtige Winzlinge, die Gene ausschalten
MicroRNAs - mighty dwarfs that switch off genes
Abt. 2: Biochemie (Izaurralde)
MPI für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Einführung
MicroRNAs (miRNAs) erfüllen eine wichtige Aufgabe bei der Steuerung grundlegender biologischer Prozesse wie Entwicklung, Zelldifferenzierung, Proliferation und Apoptose. Neuere Daten weisen darauf hin, dass miRNAs auch an der Entstehung menschlicher Krankheiten wie Krebs oder Stoffwechselstörungen beteiligt sind. Somit bieten sie einen neuen Ansatzpunkt für Therapien. Damit die Rolle der miRNAs bei der Krankheitsentstehung entschlüsselt und neue, zielgerichtete Behandlungsstrategien entwickelt werden können, müssen jedoch die Mechanismen der miRNA vermittelten Genkontrolle, die mit der so genannten RNA-Interferenz nah verwandt ist, detailliert bekannt sein.
Um ihre Funktion zu erfüllen, verbinden sich miRNAs mit Proteinen aus der so genannten Argonaut-Familie und bilden RNA induced silencing complexes (RISCs). Aufgabe der miRNAs dabei ist es, die Argonaut-Proteine nachfolgend zu komplementären Zielsequenzen auf mRNAs zu dirigieren. Diese werden dann blockiert. Obwohl viel über die Entstehung und die Funktion von miRNAs bekannt ist, liegen die Mechanismen, mit denen sie die Genaktivität beeinflussen, noch weitgehend im Dunkeln. In unterschiedlichen Studien sind Hinweise auf drei verschiedene Wege der RNA-Interferenz publiziert worden. MicroRNAs könnten demnach i.) den Abbau von Proteinen beschleunigen; ii.) die Proteinsynthese blockieren oder iii.) den Abbau der mRNA fördern.
MicroRNAs fördern den mRNA-Abbau
Anfänglich deuteten Studien darauf hin, dass miRNAs die Translation in tierischen Zellen unterdrücken, ohne die Menge der dazugehörigen Ziel-mRNAs wesentlich zu verändern. Neuere Arbeiten, auch aus unserem Labor, zeigten jedoch, dass in Tierzellen miRNAs zu einem signifikanten Abbau von mRNAs führten. Im Einklang damit steht die Beobachtung, dass die Menge vieler Ziel-mRNAs in denjenigen Zellen sogar ansteigt, in denen generell weniger miRNAs zur Verfügung stehen. Umgekehrte Ergebnisse erhielten wir wiederum, wenn wir eine bestimmte miRNA in Zellen aktivierten, in denen sie normalerweise gar nicht vorkommt. In diesen Zellen sank dann die Menge derjenigen mRNAs, die eine passende Bindungsstelle für die ausgewählte miRNA haben.
Weiterhin konnte gezeigt werden, dass miRNAs Informationsträger sind, über die die RNA-Degradationsmaschinerie der Zelle mRNAs letzten Endes erkennen kann. Aus unseren Versuchen geht nämlich hervor, dass für den miRNA-vermittelten mRNA-Abbau neben den Argonaut-Proteinen auch ein als GW182 bezeichnetes Protein sowie Deadenylasen und Entkappungsenzyme notwendig sind, die generell am mRNA-Abbau beteiligt sind.
Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass GW182 ein essenzieller Bestandteil des RNA-Interferenz Apparates tierischer Zellen ist. Dieses Protein ist in diskreten zytoplasmatischen Bereichen lokalisiert, den so genannten mRNA-Prozessierungskörperchen oder P-bodies (Abb. 1). Für die Funktion von miRNAs ist GW182 unverzichtbar. Unsere Ergebnisse sprechen für ein Modell, nach dem GW182 direkt mit den Argonaut-Proteinen interagiert, mit ihnen zu den Zielsequenzen der miRNAs gebracht wird und dort die Proteinsynthese unterdrückt. Gleichzeitig markiert GW182 die mRNA für den Abbau durch die „normalen“ mRNA-degradierenden Enzyme der Zelle (Abb. 2).
Auch wenn es inzwischen eine allgemein akzeptierte Meinung ist, dass miRNAs den Abbau von mRNAs auslösen, ist eine kritische Frage nach wie vor offen geblieben: Ist dieser Abbau ein eigenständiger Mechanismus der Genregulation oder ist er nur eine indirekte Folge der Hemmung der Proteinsynthese? Ohne Zweifel werden etliche weitere Studien erforderlich sein, um den genauen Mechanismus der miRNA-vermittelten Genregulation aufzuklären. Solche Untersuchungen werden bedauerlicherweise dadurch erschwert, dass miRNAs sich nicht gegen „nackte” mRNA-Strukturen richten, sondern gegen Ribonuklein-Partikel oder mit Proteinen verbundene mRNAs. Es ist anzunehmen, dass sich diese Proteine von mRNA zu mRNA unterscheiden. Möglicherweise beeinflusst dies auch den Wirkmechanismus der miRNAs.
Zusammenfassung
Die Arbeit mit miRNAs steht an der vordersten Front der biomedizinischen Forschung. Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1993 wurde ein beachtliches Wissen über miRNAs zusammengetragen: Ihre Biogenese wurde aufgeklärt, die an der RNA-Interferenz beteiligten Komponenten wurden identifiziert, und nicht zuletzt hat man Einblick in die therapeutische Bedeutung der miRNAs gewonnen – sowohl als Wirkstoffe als auch als Angriffspunkte neuer Therapien. Weitere, intensive Forschung wird dazu beitragen, die wichtigsten molekularen Mitspieler auf diesem miRNA vermittelten Signalweg zu identifizieren und ihre Funktion zu verstehen. Dazu werden beispielsweise Strategien entwickelt, die Aktivität dieser Proteine zu beeinflussen, um nachfolgend Rückschlüsse aus diesen Experimenten auf ihre jeweilige Funktion zu ziehen. Dies wird mit Sicherheit dazu beitragen, neue Therapieansätze für die Behandlung menschlicher Krankheiten zu entwickeln, welche auf Fehlfunktionen von RNA Interferenz zurückgeführt werden können.