Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Tiere im Kriegsvölkerrecht 

Autoren
Peters, Anne; de Hemptinne, Jérôme; Kolb, Robert
 
Abteilungen
Forschungsbereich Prof. Dr. Anne Peters; Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights
Zusammenfassung
Wild-, Nutz- und andere Tiere sind vernachlässigte Opfer bewaffneter Konflikte. Das Projekt untersucht erstmals den mangelnden rechtlichen Schutz von Tieren im Krieg. Es analysiert, welche Rechtskonzepte, Prinzipien und Argumente des humanitären Völkerrechts angewendet und angepasst werden können, um den Schutz von Tieren zu verbessern. Es macht Vorschläge zur Umsetzung und Durchsetzung dieser Rechtsnormen durch nationale und internationale Institutionen.
 

Ob Haus- oder Wildtiere oder Kulturfolger – im Krieg sind alle Tiere besonders gefährdet. Sie werden geschlachtet, ausgebombt und ausgehungert oder fallen Plünderungen zum Opfer. Wenn sie kriegsbezogene Aufgaben erfüllen, wie Hunde, Pferde, Maultiere, Esel oder Kamele, werden sie regelmäßig getötet, verletzt oder unbehandelt auf dem Schlachtfeld zurückgelassen. In den Kriegswirren werden viele geschützte Tiere um ihrer Ressourcen willen – Elfenbein, Pelz, Organe, Haut oder Knochen – gewildert. Infolgedessen schwinden einige Tierpopulationen in Kriegsgebieten, wodurch empfindliche Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten.

Der Anthropozentrismus des humanitären Völkerrechts

Trotz der besonderen Verletzlichkeit von Tieren in Kriegszeiten ist ihr Schutz im humanitären Völkerrecht (HVR) nicht vorgesehen. Dies ist nachvollziehbar, da selbst in Friedenszeiten massenhaft Tiere getötet werden und die Menschen im Krieg besonderer Fürsorge bedürfen.

Die „Animalisierung“ des Rechts

Tiere könnten auf dreierlei Weise in das humanitäre Völkerrecht einbezogen werden: durch die exaktere Anwendung bestehender Normen, durch deren progressive Auslegung oder durch die Verabschiedung eines neuen Vertrags. Diese Ansätze könnten die Situation von Tieren im Krieg deutlich verbessern: Sie könnten sich von „geschützten Objekten“ zu „fühlenden Wesen“ und schließlich zu „Rechtssubjekten“ entwickeln.

Tiere als besonders schützenswerte Objekte

Der erste Schritt ist die Einsicht, dass Tiere besonders geschützte Objekte im Sinne des HVR sind. In das Regime der „Personen“ (Kombattanten, Kriegsgefangene oder Zivilisten) passen Tiere nicht. Würden „Tiersoldaten“ als Kombattanten eingestuft, könnten sie ihrerseits angegriffen werden. Tiere sind sich jedoch ihrer Rolle bei Kampfhandlungen nicht bewusst und können in der Regel nicht auf Angriffe reagieren. Auch das Kombattantenprivileg (der Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung für Kriegshandlungen) ist für sie nicht relevant.

Das HVR versucht Schutzlücken zu vermeiden. Deshalb ist es angemessen, den Begriff der „Objekte“ so auszulegen, dass er auch Tiere umfasst. Als Objekte dürfen Tiere nur dann angegriffen werden, wenn sie ein militärisches Ziel darstellen (was in der Praxis selten vorkommt) oder ihre Schädigung einen verhältnismäßigen Kollateralschaden bildet. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung wäre im Hinblick auf den unterschiedlichen Stellenwert von Tieren in verschiedenen Gesellschaften differenziert durchzuführen. Dabei ist jedoch die weltweit gestiegene Achtung des Eigenwerts von Tieren als fühlende Wesen zu berücksichtigen.

Tiere, wie Hunde, die für Such- und Rettungsaktionen eingesetzt werden, oder Pferde, Maultiere und Esel, die medizinische Transporte durchführen, könnten in die Kategorien der „Ausrüstung von Sanitätseinheiten“ und „Sanitätstransporte“ eingeordnet werden. Ferner könnten Tiere auch als „Kulturgut“ oder „kulturelles Erbe“ eingestuft werden. Ein kultureller Wert könnte etwa solchen Tieren beigemessen werden, die in traditionellen Speisen, Sportarten oder religiösen Riten Verwendung finden oder die einen totemistischen oder heiligen Status genießen. Zudem haben Tiere, die vom Aussterben bedroht sind, eine wesentliche kulturelle Bedeutung für die Menschheit als Ganzes. Schließlich sind alle Tiere Bestandteil der „natürlichen Umwelt“ und unterliegen so den entsprechenden Schutzmaßnahmen. Die sehr engen Voraussetzungen in den einschlägigen Schutznormen könnten im Lichte neuer Erkenntnisse weiter ausgelegt werden. Was vor vierzig Jahren noch nicht als „ausgedehnter, lang anhaltender und schwerer Schaden“ an der Umwelt galt, könnte heute als solcher betrachtet werden.

Tiere als fühlende Wesen

Die Behandlung von Tieren als bloße Objekte steht nicht im Einklang mit der aktuellen Fortentwicklung des Status und des Schutzes von Tieren in vielen Ländern der Welt. Die gestiegene Beachtung der Empfindungsfähigkeit und des Wohls von Tieren könnte und sollte sich auch auf ihre Behandlung im Krieg auswirken. Dies legt eine progressive Auslegung der Normen des HVR nahe, welche die einschlägigen Bestimmungen der zahlreichen neueren Artenschutzverträge berücksichtigt.Darüber hinaus ist die Achtung des Tierwohls ein gesellschaftlicher Wert, der bereits Teil der „Grundsätze der Menschlichkeit“ und der „Gebote des öffentlichen Gewissens“ im Sinne der sogenannten Martens’schen Klausel des HVR ist. Eine solche dynamische Auslegung der Normen des humanitären Völkerrechts hat konkrete Auswirkungen: Kriegführende Parteien sollten keine Tiere für Feindseligkeiten einsetzen, es sei denn, dies ist für bestimmte Aufgaben – etwa die Suche, Rettung oder den Transport verwundeter Soldaten – unbedingt erforderlich. Zudem sollten Tiere während der Kriegführung als fühlende Wesen behandelt werden, die Schmerzen, Leiden und Ängste empfinden. Die Parteien sollten folglich Tieren im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsbeurteilung einen Eigenwert zugestehen und ihre Interessen nicht jedem noch so geringfügigen menschlichen Interesse unterordnen. Außerdem sollten ökozentrische Schutzzonen für besonders gefährdete Gebiete oder Umwelt-Hotspots geschaffen werden.

Tiere als Rechtssubjekte

Die dritte Ebene einer Animalisierung des humanitären Völkerrechts betrachtet Tiere als Träger von Rechten. Dabei könnten zwei Rechte leicht von der internationalen Gemeinschaft akzeptiert werden: das Recht, nicht in Kampfhandlungen verwickelt zu werden, und das Recht, nicht in Waffenexperimenten eingesetzt zu werden. Die jüngste Praxis im Ukrainekrieg, in dem viele Menschen mit ihren Haustieren flohen und unter erleichterten Bedingungen die Grenzen überqueren durften, ist eine Ausprägung der Animalisierung des Rechts im Kontext bewaffneter Konflikte. Die damit einhergehenden neuen juristischen Begriffe und Auslegungsansätze spiegeln den „animal turn“ in den Sozial- und Geisteswissenschaften wider.

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