Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Auf dem Weg zu einer gehirnfreundlichen Städteplanung
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
Wir wissen alle, dass der sogenannte Lifestyle einen starken Einfluss auf unsere Gesundheit hat. Die meisten denken bei diesem Begriff vermutlich sofort daran, dass sie mehr Sport treiben, sich ausgewogener ernähren sollten etc. Welchen Einfluss allerdings die physische Umwelt hat, die uns tagtäglich umgibt, ist bisher wenig erforscht. Die Lise-Meitner-Gruppe für Umweltneurowissenschaften geht der Frage nach, wie alltägliche Lebenskontexte unser Verhalten, unsere mentale Gesundheit und unser Gehirn beeinflussen. Erste Erkenntnisse legen nahe, dass bestimmte psychische Leiden wie Schizophrenie, Depression und Angsterkrankungen häufiger in Städten als auf dem Land auftreten. Leider sind die Auslöser bisher nicht genauer bestimmt. Mögliche Gründe gibt es viele: die größere Anzahl von Reizen in der Stadt, die höhere Luftverschmutzung oder die geringere Menge an Vegetation, um nur einige Beispiele zu nennen. Die psychiatrische Forschung konzentriert sich bisher auf die potenziell negativen Einflüsse des Stadtlebens, allerdings sammeln wir zunehmend Hinweise darauf, dass womöglich die Abwesenheit von Natur das Hauptproblem ist.
Unsere Arbeitsgruppe hat vor Kurzem zwei Studien veröffentlicht, die sich dieser Fragestellung widmen. In der ersten Studie haben wir die Hälfte unserer Studienteilnehmenden gebeten, einen einstündigen Spaziergang im Grunewald in Berlin zu machen, die andere Hälfte sollte in einer geschäftigen Einkaufsstraße in Berlin-Steglitz spazieren gehen. Vor und nach diesem Spaziergang haben wir die an der Studie beteiligten Personen mit einer Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes untersucht. Dabei haben wir uns vor allem für die Aktivität in einer Hirnregion interessiert, die mit der Verarbeitung von Stress in Verbindung gebracht wird, der Amygdala (auch Mandelkern genannt). Bei den Teilnehmenden die im Wald spazieren waren, hatte die Aktivität in dieser Hirnregion abgenommen, bei denen, die in der Stadt spazieren waren, konnten wir keine Veränderung der Hirnaktivität entdecken.
Interessanterweise haben wir dieses Muster sowohl gefunden, wenn wir die Teilnehmenden im Rahmen der Messung bewusst gestresst haben, als auch in Phasen in denen sie keinem Stress ausgesetzt worden sind. Es handelt sich also wahrscheinlich um einen generellen Effekt.
Das Ergebnis spricht gegen die verbreitete Vorstellung, dass die Stadt einen starken negativen Einfluss hat und „krank macht“, sondern legt eher nahe, dass natürliche Umgebungen ein Potenzial zur Entspannung bieten. Sollten sich diese Resultate weiter bestätigen lassen, liefern sie ein starkes Argument für die Stadtplanung, um mehr Wald in urbanen Räumen zu schaffen.
In der zweiten Studie haben wir uns die kurzfristigen Auswirkungen von urbanen und natürlichen Klanglandschaften auf das mentale Wohlbefinden angeschaut. Hier haben wir sechsminütige Klanglandschaften, bestehend aus Verkehrsgeräuschen (zum Beispiel Autos, Motorräder, Züge), verglichen mit dem Gesang verschiedener Vögel. Die Verkehrsgeräusche haben die selbst berichtete Depressivität der gesunden Teilnehmenden erhöht. Wenn der Gesang von vielen verschiedenen Vögeln stammte, wurde die Depressivität verringert, nicht aber, wenn der Vogelgesang von nur zwei Vogelarten kam. Zudem haben wir auch Ängstlichkeit und Paranoia erfasst, also das Gefühl bedroht oder verfolgt zu werden oder einfach, dass Mitmenschen über einen sprechen. Obwohl Paranoia in starker Ausprägung krankheitswertig ist, kommen einzelne Symptome auch bei gesunden Menschen vor. Interessanterweise verhalfen die Vogelstimmen (egal ob nur von einer Art oder unterschiedlichen Vogelarten) zu einer Reduktion von Ängstlichkeit und Paranoia. Dieses Ergebnis könnte ein erster Hinweis sein, dass die Geräusche der Stadt einen Beitrag leisten zur Häufung von psychischen Problemen dort.
Aktuell forschen wir weiter an dieser Fragestellung und wollen herausfinden, ob Vogelgesang auch bei Patienten und Patientinnen mit Angsterkrankungen hilfreich ist und ob er in Wartebereichen (zum Beispiel einer zentralen Notaufnahme im Krankenhaus) einen beruhigenden Effekt auf die Wartenden hat.
Da Menschen in der westlichen Welt aber im Durchschnitt 80 bis 90 Prozent ihrer Zeit in Innenräumen und nicht draußen verbringen, versuchen wir auch Erkenntnisse zu gewinnen, wie unsere Wohnräume gestaltet sein sollten, um die mentale Gesundheit zu fördern. Dazu haben wir virtuelle Räume gestaltet, in denen die Möbel und Einrichtungsgegenstände rund oder eckig waren, alles andere aber vergleichbar war. Erste Ergebnisse legen nahe, dass Fotos dieser virtuellen Räume weniger Stress auslösen und beruhigender wirken, wenn die Möbel und Einrichtungsgegenstände rund sind. Es gibt zwei Theorien, diesen Befund zu erklären: Eckige Formen könnten Angst auslösen, da sie gefährlich sind, etwa weil man sich an ihnen stoßen kann, andererseits besagt eine alternative Theorie, dass runde Formen als schöner und wohltuender empfunden werden.
Um der Frage auf den Grund zu gehen, welche Theorie hier eher greift, führen wir gerade eine Studie durch, in der wir Teilnehmenden unsere Räume im MRT zeigen, um zu schauen, ob die eckige Variante die Amygdala aktiviert oder die runden Formen eher Belohnungszentren des Gehirns stimulieren. Auch diese Ergebnisse könnten zur Verbesserung unseres Alltags beitragen, falls sie die Vermeidung von eckigen oder die Häufung von runden Formen als Empfehlung für die Innenarchitektur nahelegen. Obwohl wir Grundlagenforschung betreiben, lassen sich unsere Ergebnisse konkret in den Alltag übertragen. Etwa wenn wir Empfehlungen an Fachleute im Bereich Stadtplanung, Landschaftsdesign und Architektur richten, wie sie unsere Umwelten lebenswerter gestalten können.