Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Radioastronomie

Das Schwarze Loch im Herzen unserer Milchstraße

Autoren
J. Anton Zensus, Michael Kramer, Karl M. Menten, Gunther Witzel
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn
Zusammenfassung
In diesem Jahr konnten wir das erste Bild des “Schattens” des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, präsentieren. Es ist das Ergebnis jahrelanger Analyse von Daten, die schon 2017 mit dem “Event Horizon Teleskop” erhoben wurden und 2019 das erste Bild eines solchen Schwarzen Lochs in der Galaxie Messier 87 ergaben. Wieder waren dabei mehr als 30 Mitarbeitende aus allen Abteilungen des Instituts beteiligt. Auch dieses Bild ist ein wissenschaftlicher Durchbruch. Aber was ist das Besondere daran? Warum war die Datenanalyse soviel schwieriger als bei M87?
 

In diesem Jahr haben wir das erste Bild der Schattenstruktur von Sagittarius A* (Sgr A*) im Zentrum unserer Milchstraße veröffentlicht. Nach der Abbildung von M87*, dem Schwarzen Loch im Herzen der Galaxie M87, ist es das zweite Bild der direkten Umgebung eines Schwarzen Lochs.  Sgr A* - mit einer Masse von 4.3 Millionen Sonnenmassen und einem Abstand von 27000 Lichtjahren - erscheint sogar etwa 20% grösser am Himmel und ist im Prinzip also etwas einfacher zu beobachten, aber eben nur im Prinzip. Das Bild ist auch diesmal das Ergebnis von Messungen mit dem Event Horizon Teleskop (EHT), einem Radiointerferometer der Superlative.

Das EHT verwendet die Methode der sogenannten Very Long Baseline Interferometry (VLBI). Dabei benutzen wir ein Netzwerk von Radioteleskopen auf der ganzen Welt und synthetisieren ein virtuelles Teleskop, etwa so groß wie die Erde.  Jede Station beobachtet zeitgleich die zu untersuchende astronomische Quelle und zeichnet Amplitude und Phase der einfallenden elektromagnetischen Wellen mit äußerster zeitlicher Genauigkeit auf. Die in den Daten kodierten Signale werden nachträglich in sogenannten „Korrelatoren“, also Super-Computern, rechnerisch zur Interferenz gebracht und daraus werden schließlich Bilder rekonstruiert.

Das EHT arbeitet bei der sehr kurzen Wellenlänge 1.3 mm und verwendet neue Empfangstechnologien für die erforderlichen Bandbreiten (sprich: Empfindlichkeiten). 2017 beobachteten wir das Galaktische Zentrum mit acht Teleskopen, darunter unsere Partner- Observatorien von IRAM in Spanien und das APEX Teleskop in der Atacama Wüste in Chile. Zwei Korrelatoren, darunter einer am MPIfR, verarbeiteten diese komplexen Datensätze.

Schwarze Löcher sind im Grunde Lösungen der Feldgleichungen der Allgemeinen

Relativitätstheorie von Albert Einstein. Mathematisch werden sie durch Singularitäten beschrieben, unendlich kleine Punkte mit unendlicher Dichte, die jedoch der Beobachtung nicht zugänglich sind. Der Grund für dieses „Kosmische Zensurprinzip“ ist der Ereignishorizont, gleichsam eine Schale, die das Schwarze Loch umgibt und innerhalb dessen die Fluchtgeschwindigkeit größer als die Lichtgeschwindigkeit sein müsste: Noch nicht einmal Licht kann von innerhalb des Ereignishorizontes entkommen. Astronomisch traten Schwarze Löcher spätestens 1963 mit der Entdeckung der Quasare in den Blick der Astrophysiker. Diese kompakten und weit entfernten Objekte sind so hell, dass nur die Schwerkraft eines Schwarzen Lochs als Energiequelle in Frage kommt. Heute wissen wir, dass Quasare die Zentralregionen von Galaxien sind, und wir gehen davon aus, dass jede ein supermassives Schwarzes Loch von Millionen bis Milliarden Sonnenmassen beherbergt.

Diese Giganten können wegen des Ereignishorizontes nicht direkt beobachtet werden, sondern nur durch ihre Wechselwirkung mit anderen Objekten. Das Besondere hier ist, dass die Allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt, dass nicht nur massereiche Objekte das Gravitationspotential des Schwarzen Loches verspüren, sondern auch masselose Photonen - der Raum um ein Schwarzes Loch, in dem sie sich fortbewegen, ist gekrümmt. In einem Feld von Umgebungsphotonen, reichlich vorhanden im Zentrum der Galaxien aufgrund dichter Ansammlungen von Sternen, Staub und Gas, wird ein Teil des Lichtes vom Schwarzen Loch verschluckt, andere Teile werden jedoch abgelenkt, sodass sich eine Ringstruktur mit zentraler Abdunkelung ausbildet – der Schatten des Schwarzen Loches.  Die erste Vorhersage dieser Struktur wurde 1979 durch Jean Pierre Luminet berechnet. Mit der systematischen Verbesserung der VLBI-Messungen wurden bereits um 1999 Berechnungen der zu erwartenden Radiobilder möglich – doch erst 2017 wurde diese Struktur in M87 zum ersten Mal beobachtet.

Der Fall von Sgr A* ist in mehrfacher Hinsicht besonders. Zunächst ist es sehr schwierig, ein Bild des Schattens von Sgr A* zu rekonstruieren. M87* und Sgr A* erscheinen beide ähnlich groß am Himmel, M87* ist aber etwa 2000 mal weiter weg als das Schwarze Loch in unserer Milchstraße. Der Grund für das ähnliche Erscheinungsbild ist der Masseunterschied dieser Schwarzen Löcher, die die Größen der Schattenstrukturen bestimmen und die ebenfalls etwa um einen Faktor 2000 auseinanderliegen. Mit den sehr viel kleineren Abmessungen von Sgr A* geht aber auch noch eine andere Eigenschaft einher: schnelle Variabilität der Helligkeit der umgebenden Materie, die im Begriff steht, in das Schwarze Loch hineinzufallen.  Dies liegt im Falle von Sgr A* bei Zeitskalen von 10 Minuten bis zu mehreren Stunden vor und bedeutet, dass die Struktur sich während der mehrere Stunden andauernden Beobachtung durch das EHT verändert. Da das Schwarze Loch sozusagen nicht stillhält, mussten neue Bildrekonstruktionsmethoden entwickelt werden, um die Grundstruktur von Sgr A* ableiten zu können. Deshalb ließ das Bild von Sgr A* drei Jahre länger auf sich warten, als das Bild von M87*.

Sgr A* und seine Umgebung sind auch das am besten studierte supermassive Schwarze Loch des Universums. Insbesondere geben präzise Beobachtungen von Sternbahnen im zentralen Sternhaufen, die seit mehr als 20 Jahren im Infraroten durchgeführt werden, Aufschluss über die genaue Entfernung und Masse von Sgr A*. Dafür erhielten 2020 Reinhard Genzel und Andrea Ghez den Nobelpreis. Das neue Infrarotinterferometer GRAVITY der Europäischen Südsternwarte hat nun diese Präzision noch einmal gesteigert und konnte beim Periapsis-Durchgang (d.h. beim kleinsten Abstand) des Sterns S2 sogar relativistische Effekte anhand von Abweichungen von einer Keplerbewegung nachweisen. Mit diesen präzisen Werten (<0.1% Fehler) für Entfernung und Masse von Sgr A* kann man nun genaue Vorhersagen machen, welche Größe die Schattenstruktur haben sollte, ein Vorwissen, welches für M87* nicht vorhanden war. Und tatsächlich stimmen die Abmessungen des Bildes von Sgr A* genau mit den Erwartungen überein.

Damit ist das Bild von Sgr A* der Beweis dafür, dass die Ring-Schattenstrukturen in Sgr A* und M87* von ultra-kompakten Objekten und mit aller Wahrscheinlichkeit von Schwarzen Löchern erzeugt werden. Von nun an gilt es, andere Vorhersagen der Eigenschaften Schwarzer Löcher nachzuprüfen und dafür insbesondere auch zeitaufgelöste ‘Filme’ der variablen Struktur beider Quellen zu ermöglichen.

Literaturhinweise

Event Horizon Telescope Collaboration et al
First Sagittarius A* Event Horizon Telescope Results. I. The Shadow of the Supermassive Black Hole in the Center of the Milky Way
The Astrophysical Journal Letters, Volume 930, Number 2
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