Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie
Süße Oasen im Meer
Sweet spots in the sea
Seegräser sind effiziente Kohlendioxidspeicher
Seegräser sind an Küsten fast allgegenwärtig (Abb. 1). Ähnlich wie Landpflanzen binden diese blühenden Meerespflanzen Kohlendioxid durch Photosynthese. Sie bedecken zwar nur 0,2% der Meeresoberfläche, produzieren aber etwa 10% des in den Ozeanen versinkenden organischen Kohlenstoffs. Bisher wissen wir aber nur wenig über die ökologischen und biochemischen Faktoren, die ihren Beitrag zum Kohlenstoffhaushalt der Meere bestimmen.
Pflanzenzucker macht Sedimente süß
Seegräser geben einen Teil des Kohlenstoffs über ihre Wurzeln in den Meeresboden, das sogenannte Sediment, ab. Bei den meisten Pflanzen sind Zucker das wichtigste Produkt der Photosynthese. Zucker sind ein häufiger Bestandteil von Wurzelexsudaten bei Landpflanzen und werden unmittelbar von Organismen, zumeist Pilze und Mikroben, der Rhizosphäre genutzt. Bisher ist aber kaum etwas bekannt über das Schicksal der pflanzlichen Exsudate im Meer und deren Wechselwirkungen mit marinen Mikrobengemeinschaften [1].
Wir versuchen, diese Lücke zu schließen. Dazu haben wir in verschiedenen Meeresregionen das Porenwasser unterhalb von Seegraswiesen beprobt und mit Hilfe von Methoden der Metabolomik untersucht. Dank einer eigens entwickelten Herangehensweise können wir mittels Massenspektrometrie eine Vielzahl von Stoffwechselprodukten aus dem Porenwasser messen. Diese Messungen zeigen, dass unter Seegraswiesen viel Saccharose (Rohrzucker) vorkommt. Die Konzentrationen erreichen in einigen Sedimenttiefen millimolare, also hochkonzentrierte Werte. Dieser Zucker macht bis zu 40% des abgegeben gelösten organischen Kohlenstoffs der Seegraswiese aus. Die Konzentrationen im Sediment schwanken mit dem Tageslicht und der Jahreszeit. Bei sehr starkem Licht, zum Beispiel zur Mittagszeit oder im Sommer, produzieren Seegräser mehr Zucker als sie verbrauchen oder speichern können. Das ist der Moment, in dem sie die überschüssige Saccharose in ihre Rhizosphäre abgeben. Aber warum produzieren Seegräser überhaupt so viel Saccharose? Möglicherweise handelt es sich um eine Art Überfluss-Stoffwechsel, wenn ihnen andere essenzielle Metabolite zum Aufbau von Biomasse fehlen.
Mikroben werden am Zuckerverdau gehindert
Die meisten Mikroben, ob an Land oder im Meer, können Zucker wie Saccharose leicht verdauen und bekommen dadurch viel Energie. Warum machen dies nicht auch die vielen Mikroorganismen unter den Seegraswiesen? Die beobachtete Anreicherung von Saccharose im Sediment könnte beispielsweise durch einen Mangel an Elektronenakzeptoren hervorgerufen werden. Möglich ist auch, dass die Pflanzen andere Stoffwechselprodukte absondern und so das Wachstum von Mikroorganismen bremsen. Wir vermuteten, dass es sich dabei um phenolische Verbindungen handelt, denn eine weitere massenspektrometrische Methode hatte gezeigt, dass der molekulare Fingerabdruck von Seewasser um Seegraswiesen herum viele aromatische Kohlenwasserstoffverbindungen aufweist (Abb. 2, [2]). Diese stammen häufig von Pflanzenpolymeren wie Lignin ab.
Wir stellten fest, dass Seegräser viele Phenole, etwa Kaffeesäure, enthalten und ins Sediment abgeben. Phenole sind in unserer Umwelt nichts Seltenes: Rotwein, Kaffee und Obst sind voll davon, viele Menschen nehmen sie als Nahrungsergänzungsmittel zu sich. Aber diese Substanzen wirken auch antimikrobiell und können den Stoffwechsel vieler Mikroorganismen hemmen. In Experimenten auf der Mittelmeerinsel Elba brachten wir die Mikroorganismen in der Seegras-Rhizosphäre mit aus dem Seegras isolierten Phenolen in Kontakt. Tatsächlich wurde daraufhin viel weniger Saccharose konsumiert, als wenn keine Phenole vorhanden waren. Dieser Effekt war besonders stark, wenn die Experimente unter anaeroben Bedingungen durchgeführt wurden.
Spezialisten nutzen die Zucker
Verblüffenderweise scheint aber eine kleine Gruppe mikrobieller Spezialisten trotz der schwierigen Bedingungen in der Lage zu sein, Saccharose zu verdauen und Phenole abzubauen. Diese von uns mittels Metagenomik und -transkriptomik entdeckten Mikroorganismen sind nicht nur auf Zuckerabbau spezialisiert und können sich gegen Phenole wehren, sie sind wahrscheinlich für das Seegras auch nützlich, indem sie Nährstoffe produzieren, die die Pflanzen zum Wachsen braucht, etwa Stickstoff. Solche vorteilhaften Beziehungen zwischen Pflanzen und Mikroorganismen in der Rhizosphäre sind von Landpflanzen bekannt. Unser Institut und andere Forschende fangen jetzt an, die Wechselwirkungen von Seegräsern mit Mikroorganismen zu verstehen.
Ausblick
Der Kohlenstoffkreislauf in Seegras-Sedimenten unterscheidet sich von terrestrischen Böden und auch von dem im freien Meerwasser, wo Mikroben Saccharose schnell verstoffwechseln. Die hier dargestellten anaeroben und phenolreichen Bedingungen, die die mikrobielle Aktivität unter Seegraswiesen einschränken, gibt es höchstwahrscheinlich auch in anderen Ökosystemen. Wir untersuchen zurzeit in einem BMBF-geförderten Projekt Sea4soCiety die Zusammensetzung von gelöstem Kohlenstoff aus anderen Habitaten mit vergleichbaren Bedingungen: Salzmarschen und Mangrovenwälder und auch Makroalgen-Habitate. Innerhalb der Deutschen Allianz Meeresforschung beteiligt sich unser Institut an Forschungsvorhaben, die die deutschen Küstenregionen in den Fokus rücken. Wir erforschen, welche kohlenstoffhaltigen Substanzen die Meerespflanzen produzieren und ins Wasser abgeben. Vergleichsstudien und Probenahmen in tropischen Ländern ergänzen das Projekt. Zudem wird untersucht, wie stabil diese Moleküle unter Umweltstress, etwa durch starkes UV-Licht oder erhöhte Temperaturen, sind; die Faktoren sind für das weitere Schicksal des Kohlenstoffs im großen Meereskreislauf entscheidend. Das Ziel ist: Küstenökosysteme zu erhalten, die langfristig möglichst viele stabile Kohlenstoffverbindungen produzieren. Auch eine Wiederaufforstung zerstörter Flächen wäre denkbar, wenn die Beschaffenheit der Küsten es zulässt.