Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns

Die Suche nach dem Elixier der Jugend

Autoren
Lu, Yu-Xuan; Partridge, Linda
Abteilungen
Biologische Mechanismen des Alterns
Zusammenfassung
Alternsforscher versuchen, ein Medikament zu finden, das uns länger gesund leben lässt. Der derzeit vielversprechendste Kandidat ist Rapamycin. In Labortieren ist bereits gezeigt worden, dass es sich positiv auf die Gesundheit im Alter auswirkt und die Lebenserwartung von Tieren erhöht. Mögliche Nebenwirkungen und der Mangel an klinischen Daten behindern jedoch die Verwendung als Geroprotektor. Unsere neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, die Wirkungsweise dieses Medikaments zu verstehen, um neue Ansätze für eine mögliche Anwendung beim Menschen zu finden.

Die Menschheit altert

Unsere Welt "ergraut" in einem noch nie dagewesenen Tempo. Im Jahr 2030 wird einer von sechs Menschen auf der Welt 60 Jahre oder älter sein. Die Bekämpfung der negativen Auswirkungen des Alterns, einschließlich altersbedingter Krankheiten, rückt daher zunehmend in den Mittelpunkt der Forschung. Ziel ist es, länger bei guter Gesundheit zu bleiben, indem die Krankheitsphase am Lebensende hinausgezögert oder verkürzt wird. Änderungen des Lebensstils können die Gesundheit älterer Menschen zwar verbessern, reichen aber allein nicht aus, um die Krankheiten im Alter zu verhindern.

Eine zusätzliche Waffe gegen das Altern könnte die Umwidmung bereits existierender Medikamente für die "Geroprotektion" sein. Rapamycin, das derzeit vielversprechendste Anti-Aging-Medikament, ist ein Zellwachstumshemmer und Immunmodulator, der üblicherweise in der Krebstherapie und nach Organtransplantationen eingesetzt wird (Abb. 1). In den klinisch verwendeten Dosen ist Rapamycin jedoch mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden. Um das Medikament zur Vorbeugung des altersbedingten Verfalls einzusetzen, müssen wir den maximalen Nutzen des Medikaments erzielen und gleichzeitig mögliche unerwünschte Nebenwirkungen minimieren. Wir haben kürzlich mehrere Faktoren entdeckt, die zu den positiven Wirkungen von Rapamycin in einem Tiermodell, der Fruchtfliege Drosophila, beitragen. Auch in Säugetieren konnten wir diese Faktoren zumindest teilweise finden.

Weniger ist mehr

Eine Möglichkeit, die unerwünschten Nebenwirkungen zu verringern, besteht darin, die Dauer der Medikamentenbehandlung zu verkürzen. Wir haben verschiedene Zeitfenster für die kurzfristige Verabreichung von Arzneimitteln an Fruchtfliegen getestet und festgestellt, dass bereits eine 14 -tägige Rapamycin-Behandlung von jungen, erwachsenen Fliegen vor altersbedingter Pathologie im Darm schützt und ihr Leben verlängerte. Ein entsprechend kurzes Zeitfenster, nämlich eine dreimonatige Behandlung, die im Alter von drei Monaten bei jungen, erwachsenen Mäusen begann, hatte ähnliche positive Auswirkungen auf die Gesundheit des Darms. Diese kurzen medikamentösen Behandlungen im frühen Erwachsenenalter bewirkten einen ebenso starken Schutz wie eine kontinuierliche Behandlung, die zur gleichen Zeit begann. Außerdem konnten wir zeigen, dass ein Prozess namens „sekretorische Autophagie“ eine Schlüsselrolle bei diesem bemerkenswerten „Langzeit-Gedächtnis“ einer Rapamycin Behandlung spielt. Eine kurze Verabreichung eines Medikaments ist also eine Möglichkeit, die Notwendigkeit einer Langzeitbehandlung zu umgehen [1].

Altes Medikament, neues Ziel

Unser genetisches Material liegt in Form von DNA in jedem Zellkern unserer Körperzellen. Um die DNA richtig zu speichern, muss die Menge der Histonproteine, die sich um die DNA wickeln, genau reguliert werden. Wie fest die DNA um die Histone gewickelt ist, bestimmt unter anderem, welche Gene von unserem Genom abgelesen werden können. Bei vielen Spezies verändert sich die Menge der Histone mit dem Alter. Ob diese Veränderungen im zellulären Histonspiegel genutzt werden können, um den Alterungsprozess in lebenden Organismen zu verbessern, war bislang nicht geklärt.

Wir stellten fest, dass sich der Histonspiegel nach einer Behandlung mit Rapamycin stark veränderte, und zwar ausschließlich im Darm der Fliegen, nicht aber in anderen Geweben, und ausschließlich in einem bestimmten Darmzelltyp, den Enterozyten. Wir konnten außerdem zeigen, dass diese zusätzlichen Histone in der Lage waren, das Tumorwachstum zu verringern, die Darmgesundheit zu verbessern und die Lebensspanne der Fliegen zu verlängern. Ähnliche Veränderungen traten in den Darm-Enterozyten von Mäusen nach einer Behandlung mit Rapamycin auf. Unsere Ergebnisse zeigen erstmalig einen Zusammenhang zwischen Rapamycin und dem Histonspiegel, der die Langlebigkeit bestimmt. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für gezielte therapeutische Eingriffe, sodass wir möglicherweise eine neue Version von Rapamycin entwickeln könnten, die nur selektiv auf die für Gesundheit und Lebensdauer verantwortlichen Gewebe einwirkt und so weniger unerwünschte Nebenwirkungen hat [2].

Geschlechtsunterschiede

Medikamente können bei Frauen und Männern sehr unterschiedlich wirken. Wir haben gefunden, dass Rapamycin nur die Lebensspanne von weiblichen Fruchtfliegen verlängert, nicht aber die der Männchen (Abb. 2). Bei den Weibchen treten während des Alterns bedeutend mehr Darmpathologien auf als bei den Männchen, und diese werden durch die Rapamycin-Behandlung verhindert.

Wie rettet Rapamycin die Darmpathologie bei weiblichen Fliegen? Wir haben erkannt, dass es in den weiblichen Darmzellen einen Prozess namens Autophagie steigert. Autophagie ist ein Prozess der Zellsäuberung, bei dem beschädigte Zellbestandteile im Rahmen einer Qualitätskontrolle recycelt werden. Männliche Darmzellen hingegen haben bereits eine hohe Grundaktivität der Autophagie, die durch Rapamycin nicht weiter gesteigert werden kann. Dieser Unterschied in der Autophagie wird durch die Geschlechtsidentität der Enterozyten und die Proteinmengen an Histonen in diesen Zellen vermittelt. Wenn man nämlich die Geschlechtsidentität dieser Zellen ändert, ändern sich der Level der basalen Autophagie, die Darmpathologien, die Lebensspanne und die Reaktion auf Rapamycin. Ähnliche geschlechtsspezifische Reaktionen auf Rapamycin konnten wir auch in Mäusegeweben beobachten.  

Unsere Arbeit hat gezeigt, dass das biologische Geschlecht also ein entscheidender Faktor für die Wirksamkeit von Anti-Aging-Medikamenten ist. Ein noch besseres Verständnis dieser geschlechtsspezifischen Prozesse könnte den Weg für die Entwicklung von personalisierten Behandlungen ebnen [3].

Literaturhinweise

Juricic, P.; Lu, Y.-X.; Leech, T.; Drews, L. F.; Paulitz, J.; Lu, J.; Nespital, T.; Azami, S.; Regan, J. C.; Funk, E.; Fröhlich, J.; Grönke, S.; Partridge, L.
Long-lasting geroprotection from brief Rapamycin treatment in early adulthood by persistently increased intestinal autophagy
Nature Aging 2, 824-836 (2022)
Lu, Y.-X.; Regan, J. C.; Eßer, J.; Drews, L. F.; Weinseis, T.; Stinn, J.; Hahn, O.; Miller, R. A.; Grönke, S.; Partridge, L.
A TORC1-histone axis regulates chromatin organisation and non-canonical induction of autophagy to ameliorate ageing
eLife 10: e62233 (2021)
Regan, J. C.; Lu, Y.-X.; Ureña, E.; Meilenbrock, R. L.; Catterson, J. H.; Kißler, D.; Fröhlich, J.; Funk, E.; Partridge, L.
Sexual identity of enterocytes regulates autophagy to determine intestinal health, lifespan and responses to rapamycin
Nature Aging 2, 1145–1158 (2022)
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