Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Physik

Stringtheorie 2.0

Autoren
Gnecchi, Alessandra; Lüst, Dieter
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Physik, München
Stringtheorie, theoretische und mathematische Physik
Zusammenfassung
Die Stringtheorie verbindet zwei unvereinbare Konzepte: Die Quantenphysik beschreibt das Verhalten von subatomaren Elementarteilchen und ihren Austauschkräften – übersichtlich sortiert auf den Regalbrettern des Standardmodells der Teilchenphysik. Die Gravitationstheorie erklärt die Raumzeit im Universum mit seinen unermesslichen Entfernungen. Das Problem: Sie lässt sich nicht quantenphysikalisch beschreiben und in das Standardmodell der Teilchenphysik integrieren.

Die Stringtheorie schafft einen mathematischen Unterbau, um die Gravitation und die Quantenphysik zu vereinen. Punktförmige Teilchen werden dabei zu Fäden (Strings), die an mehrdimensionale, ausgedehnte Membranen (oder Branen) binden können.

Auf dem Weg ins Sumpfland

Heutzutage verwenden wir die Stringtheorie, um die Gravitation in der Quantenwelt zu beschreiben. So leiten wir viele effektive Feldtheorien (EFT) aus der Stringtheorie ab. Da diese auf eine komplette Beschreibung der Quantengravitation verzichten, lassen sich viele Eigenschaften des Universums einfacher darstellen. Damit hat sich die Rolle der Stringtheorie grundlegend geändert: Sie dient als eine Art Werkzeug, um aus all diesen verschiedenen Theorien gemeinsame, grundlegende Prinzipien herauszuschälen. Dieser Bedeutungswandel spiegelt sich im „Swampland“-Programm (Sumpfland) wider. Das MPP ist weltweit einer der größten und aktivsten Player in diesem Programm.

Dessen Ziel ist es, allgemeingültige Prinzipien für alle, auch künftigen, Modelle der Quantengravitation aufzustellen – unabhängig davon, ob sie auf der Stringtheorie beruhen oder nicht. Das Programm lässt sich mit einem Graben vergleichen, den wir überqueren wollen. Dort gibt es einen Laden, der dafür Geräte verkauft: ein Boot, ein Floß und ein Surfbrett. Da alle diese Gegenstände schwimmen, ist zu vermuten, dass der Graben mit Flüssigkeit gefüllt ist.

Im Swampland-Programm ist der Graben (oder Fluss) eine vollständige Quantentheorie der Schwerkraft. Wir versuchen, ihn konsistent zu beschreiben (ihn zu überqueren), und wir haben einen Laden (Stringtheorie), der uns nur Modelle anbietet, die bestimmte Eigenschaften haben (sie schwimmen). So können wir annehmen, dass alle anderen Modelle ohne diese Eigenschaften nicht mit der Quantengravitation vereinbar sind (sie würden sinken). Damit gehören sie zum Sumpfland. Die Forschenden untersuchen, was die gemeinsamen Merkmale aller Modelle im Sumpfgebiet sind, damit sie verstehen können, was die „Flüssigkeit“ ist, die die Quantengravitation ausmacht (1).

Stringtheorie und Schwarze Löcher

Ein weiteres Feld in der Stringtheorie ist die Erforschung von Schwarzen Löchern, Systeme mit einer immensen Dichte. Diese Massemonster krümmen die Raumzeit so extrem, dass selbst Licht ihnen nicht entkommen kann.

Die beobachtbaren, makroskopischen Zustände eines Schwarzen Lochs, zum Beispiel Masse und Ladung, lassen sich gut erforschen. Anders verhält es sich mit den Vorgängen auf der Quantenebene. Stephen Hawking hat 1975 eine Formel für die Entropie eines Schwarzen Lochs aufgestellt. Damit kannte man die Zahl der möglichen mikroskopisch kleinen Zustände, die den großen, makroskopischen Zustand herbeiführen. Allerdings war es lange nicht möglich, die Mikrozustände selbst zu beschreiben. Dies gelang erst in den letzten Jahren mithilfe der Stringtheorie.

Verschränkung von Quantenfeldern

Ein Thema, mit dem wir uns aktuell beschäftigen ist die Strahlung. Unmittelbar nach ihrer Entstehung beginnen Schwarze Löcher zu zerstrahlen. Dabei sind das Schwarze Loch und die Strahlung keine voneinander unabhängigen Systeme. Nach den Regeln der Quantenmechanik bleiben sie miteinander verbunden, oder genauer, verschränkt.

Schwarze Löcher bestehen aus ungeheuer dicht gepackter Materie. Bei ihrer Entstehung kollabieren die Elementarteilchen, beispielsweise Quarks, Elektronen und Myonen. Diese enthalten Informationen auf Quantenebene, beispielsweise zu ihrem Impuls, die in ihren Quantenzahlen kodiert sind. Nach Hawking ist die Strahlung jedoch thermisch und es ist unmöglich, darüber die Quantenzahlen der Teilchen zu identifizieren. Die große Frage lautet: Wie bleiben diese Informationen erhalten? Man spricht hier auch vom „Informationsparadoxon“ (2).

Der Schlüssel für das Informationsparadoxon

Erst vor drei Jahren gab es einen konkreten Vorschlag, wie die Entropie dieser Verschränkung zu berechnen ist. Auf Basis dieses Ansatzes haben wir möglicherweise den Schlüssel für das Informationsparadoxon gefunden. Wenn wir davon ausgehen, dass das Schwarze Loch komplett verschwindet, muss sich auch die Verschränkung mit der Strahlung auflösen. Der Wert der Verschränkungsentropie muss also am Ende bei 0 liegen.

Spielzeugmodelle deuten darauf hin, dass die vorgeschlagene Formel die Entropie der Hawking-Strahlung in 1 und 2 Raumzeitdimensionen, die auf der Stringtheorie basieren, korrekt wiedergibt. In realistischeren Szenarien zeichnet sich jedoch ab, dass ein massives Graviton erforderlich ist (3).

Ein Graviton ist ein bislang hypothetisches Austauschteilchen, welches die Gravitation übermittelt, so wie im Standardmodell das Photon die elektromagnetische Kraft. Unsere Gruppe hat die Beziehung zwischen der Formel und der Existenz eines massiven Gravitons in einem Umfeld untersucht, das seinen Ursprung in der Stringtheorie hat. Die Ergebnisse dieser Arbeit haben zu einem besseren Verständnis von Schwarzen Löchern im Zusammenhang mit Strings und Branen geführt.

Schwarze Löcher im Sumpfland

Das zweite Projekt zum Thema „Schwarze Löcher“ dockt an das Swampland-Programm an. Hier dienen uns die Schwarzen Löcher als Recheninstrument. Wir geben Werte wie die Entropie und die Temperatur eines Schwarzen Loches in unsere Gleichungen ein – und überprüfen, wann eine EFT zusammenbricht. Dieser Endpunkt ist erreicht, wenn es eine unendliche Anzahl leichter Zustände gibt. Kürzlich ist es uns gelungen, diesen Mechanismus zu identifizieren (4).

Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie die Stringtheorie komplexe Berechnungen vereinfachen kann. Die Stringtheorie erweist sich als leistungsfähiger Rahmen für Studien zu den Eigenschaften der Quantengravitation. Ziel ist es, die Eigenschaften buchstäblich aller Theorien für die Quantengravitation zu untersuchen. Damit können wir auch die Eigenschaften von EFTs vorhersagen. Da sich EFTs in Experimenten überprüfen lassen, verknüpfen unsere Aktivitäten die 10-dimensionale, vollständige Beschreibung der Quantengravitation in der Stringtheorie mit unserer bekannten 4-dimensionalen Welt.

Zur Redakteursansicht