Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Nichts weiter als ein Schwarzes Loch

Autoren
Stefan Gillessen, Frank Eisenhauer, Reinhard Genzel
Abteilungen

Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching

Zusammenfassung
Die Entdeckung des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße wurde 2020 mit dem Nobelpreis geehrt. Doch unsere Forschung geht inzwischen viel weiter: Wir fragen uns nicht mehr, ob das Schwarze Loch existiert, wir verwenden es vielmehr, um physikalische Experimente am Himmel durchzuführen. Es stellt ein perfektes Labor dafür dar, und befindet sich mit einem Abstand von nur 26000 Lichtjahren kosmologisch gesehen in unserer Nachbarschaft. Das erlaubt atemberaubende Präzisionsmessungen, die nicht nur Tests der Einsteinschen Relativitätstheorie erlauben, sondern die uns sogar verraten: Viel mehr außer dem Schwarzen Loch kann sich im Milchstraßenzentrum nicht verstecken.

Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Astronomen um den Planeten Merkur besorgt. Seine Bahnellipse dreht sich in ihrer Ebene pro Umlauf von 88 Tagen um 1,556°. Dies wird größtenteils durch den Einfluss der anderen Planeten verursacht, der aber nur eine Drehung von 1,544° erklären kann. Es fehlten 0,012° oder 43 Bogensekunden. Die Lösung dieser Diskrepanz kam unerwartet: Kein neuer Planet, sondern die 1915 veröffentlichte allgemeine Relativitätstheorie erklärt genau diesen Wert durch ein konzeptionell ganz anderes Gravitationsgesetz. Die Merkurbahn war eine der ersten Bestätigungen für diese merkwürdige Theorie Einsteins. Heute gilt die Relativitätstheorie als etabliert, und selbst ihre dramatischste Vorhersage, die Existenz Schwarzer Löcher, hat sich bestätigt.

Der bei weitem überzeugendste Fall für ein Schwarzes Loch ist Sagittarius A* (Sgr A) – so der Name der Radioquelle im Zentrum der Milchstraße. Unser Institut hat im Jahr 2002 dazu den entscheidenden Beweis geliefert: Der Stern S2, dessen Bahn wir seit 1992 verfolgt hatten, machte eine scharfe Wende. Damit konnten wir seine Bahnellipse zweifelsfrei bestimmen, und so auch die Masse berechnen, die den Stern auf diese Bahn zwingt: Es sind dort 4 Millionen Sonnenmassen in einem Gebiet konzentriert, das kaum größer als unser Sonnensystem sein konnte. Die einfachste Erklärung dafür: Ein schweres Schwarzes Loch. Diese Entdeckung wurde 2020 mit dem Physik-Nobelpreis geehrt.

Mittlerweile konnten wir die Messungen in vielerlei Hinsicht deutlich verbessern: Für mehr als 50 einzelne Sterne können wir Umlaufbahnen angeben; die Masse des Schwarzen Lochs und seine Entfernung messen wir inzwischen mit einem Fehler im Promille-Bereich; und das Gebiet, in dem sich die Masse konzentriert, passt sogar in die eingangs erwähnte Merkurbahn.

Eine besondere Herausforderung erwartete uns 2018: Am Punkt der nächsten Annäherung an das Schwarze Loch bewegt sich S2 mit rund 8000 km/s oder rund 2.5% der Lichtgeschwindigkeit. Das ist schnell genug, dass wir mit präzisen Messungen in der Lage sein sollten, die kleine Abweichung zwischen einer Keplerellipse und der relativistischen Bahn zu sehen. S2 benötigt 16 Jahre für einen Umlauf um Sgr A*, so dass 2018 der nächste nahe Vorbeiflug stattfand, und dann erst wieder in 2034. Damit war für unser Team schon kurz nach 2002 klar: Das Ereignis in 2018 wollten wir so genau wie möglich vermessen.

Um eine Bahn im galaktischen Zentrum noch präziser verfolgen zu können, mussten wir die räumliche Auflösung unserer Teleskope weiter steigern – also letztlich größere Teleskope verwenden. Allerdings führten wir unsere Beobachtungen bereits an den größten verfügbaren Teleskopen durch, die auch schon mit adaptiver Optik ausgerüstet waren, um die Bildunschärfe durch die turbulente Erdatmosphäre zu korrigieren. Wir hätten also Teleskope benötigt, die es noch nicht gab und auch bis heute nicht gibt. Die Lösung lautete: Interferometrie. So bezeichnet man die Technik, bei der man mehrere Teleskope zusammenschaltet, um später im Rechner ein virtuelles Teleskop zu synthetisieren, dessen Auflösung dem Abstand der Teleskope entspricht – und nicht dem Durchmesser der einzelnen Spiegel.

In gut zehnjähriger Arbeit entwickelten wir das Instrument „GRAVITY“ für den Einsatz am Very Large Telescope Interferometer (VLTI), wo vier 8-Meter-Teleskope mit einem Maximalabstand von 130 Metern zusammengeschaltet werden können. Damit betraten wir in vielerlei Hinsicht technologisches Neuland. Insbesondere sind Interferometer notorisch schlecht in der Lichtausbeute, und S2 ist rund 1000x dunkler als andere Objekte, die astronomische Interferometer zuvor beobachten konnten. Ein entscheidender Kniff ist das sogenannte „Fringe-Tracking“, womit die Wellenfronten entlang ihrer Ausbreitungsrichtung so korrigiert werden, dass sie über viele Sekunden hinweg kohärent aufaddiert werden können. Ohne Fringe-Tracking ist die sinnvolle Belichtungszeit auf die atmosphärische Kohärenzzeit beschränkt – wenige Millisekunden. Seit 2017 haben wir GRAVITY nun im Einsatz – und somit de facto ein 130-Meter-Teleskop, das empfindlich genug ist, um Sterne in der Umgebung des Schwarzen Lochs beobachten zu können.

Und bereits 2018, wenige Wochen nach dem Vorbeiflug von S2, konnten wir einen Erfolg vermelden: Wir hatten gesehen, dass das Licht von S2 etwas röter war als gewöhnlich – ein Effekt der Relativitätstheorie auf das Licht, das aus dem Gravitationspotential von Sgr A* hinaus zu uns fliegt. Wesentlich schwerer zu messen sind dagegen die relativistischen Effekte, die auf den Stern selbst (und nicht sein Licht) einwirken. Allen voran die Drehung der Bahnellipse, wie sie auch bei Merkur auftritt. Für S2 beträgt diese Drehung rund 0.2° oder 420-mal mehr als bei Merkur. Allerdings dauert ein Umlauf von S2 auch 67-mal länger. Ein anderer Unterschied ist die hohe Elliptizität des S2-Orbits (e=0.88), verglichen mit der viel runderen Merkurbahn (e=0.21). Dadurch konzentriert sich die Drehung des S2-Orbits auf wenige Wochen während des Vorbeiflugs. Vorher und nachher ist die Bahn jeweils eine beinahe perfekte Keplerellipse, und die beide sind um 0.2° gegeneinander verdreht. Der zu messende Winkelunterschied am Himmel beträgt gerade einmal 0.5 Millibogensekunden. Hier kann GRAVITY seine unschlagbare Auflösung gegenüber Einzelteleskopen voll ausspielen.

Ende 2019 war es dann so weit: Die Signifikanz der Abweichung von einer reinen Keplerbahn hatte den Wert 5 erreicht – damit war die Wahrscheinlichkeit, dass der Effekt nur aufgrund von Messfehlern vorgetäuscht war, auf 1 zu 3.5 Millionen gefallen. Wir waren uns daher sicher: Die S2-Bahn dreht sich, wie Einsteins Theorie es vorhersagt.  Es war auch das erste Mal überhaupt, dass man diese Drehung an einem Schwarzen Loch nachweisen konnte. Die Himmelsmechanik der Relativitätstheorie gilt also auch in der unmittelbaren Umgebung der extremsten Gravitationsfelder, die diese Theorie vorhersagt.

Nachdem der vergleichsweise helle S2 den innersten Bereich um Sgr A* wieder verlassen hat, können wir nun sogar noch deutlich dunklere Sterne mit GRAVITY verfolgen. Rund zehn Sterne verfolgen wir mit interferometrischer Auflösung auf ihren Bahnen. Die vier interessantesten Sterne heißen S2, S29, S38 und S55. Und zusammengenommen bestätigen diese Daten die S2-Orbitdrehung noch viel besser. Doch nicht nur das: Jegliche ausgedehnte Masseverteilung um Sgr A* herum würde auch zu einer Orbitdrehung führen, allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Dadurch können wir aus der verbleibenden Unsicherheit auf die relativistische Drehung berechnen, wieviel ungesehene Masse sich noch maximal innerhalb des S2-Orbits befinden kann, ganz unabhängig davon, woraus diese Masse besteht: Weiße Zwergsterne, Neutronensterne, stellare Schwarze Löcher oder kosmologische Dunkle Materie. In jedem Fall können es nicht mehr 4000 Sonnenmassen sein. Oder anders ausgedrückt: 99.9% der Masse steckt in Sgr A*. Wir sind uns also nicht nur sicher, dass im Zentrum der Milchstraße ein Schwarzes Loch sitzt. Wir sind uns auch sicher, dass es den innersten Bereich komplett dominiert.

Literaturhinweise

Schödel, R., Ott, T., Genzel, R. et al.
A star in a 15.2-year orbit around the supermassive black hole at the centre of the Milky Way.
Nature 419, 694–696 (2002). https://doi.org/10.1038/nature01121
GRAVITY Collaboration, R. Genzel et. al
Detection of the Schwarzschild precession in the orbit of the star S2 near the Galactic centre massive black hole.
A&A 636, L5 (2020), https://doi.org/10.1051/0004-6361/202037813
GRAVITY Collaboration, F. Eisenhauer et. al
Detection of the gravitational redshift in the orbit of the star S2 near the Galactic centre massive black hole.
A&A 615, L15 (2018), https://doi.org/10.1051/0004-6361/201833718
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