Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik

Musik und Psyche

Autoren
Mosing, Miriam; Wesseldijk, Laura; Ullén, Fredrik
 
Abteilungen
Abteilung Kognitive Neuropsychologie
Zusammenfassung
Ist Musizieren gut für uns? Obwohl viele glauben, ein Instrument zu spielen, helfe ihrer psychischen Gesundheit, leiden Musikerinnen und Musiker – verglichen mit musikalisch inaktiven Menschen – häufiger unter Depressionen und Angststörungen. Wir haben den Zusammenhang zwischen musikalischer Aktivität und psychischer Gesundheit genauer untersucht, und dabei besonders eine mögliche Kausalität sowie genetische und familiäre Faktoren in den Blick genommen.
 

Intuitiv glauben viele, musizieren könne helfen, Emotionen auszudrücken, mit Problemen besser zurechtzukommen und die psychische Stabilität zu stärken. Andererseits hört man immer wieder über Depressionen und Selbstmorde unter bekannten Musikerinnen und Musikern. Große Populationsstudien zeigen, dass tatsächlich sowohl Hobby- als auch professionell Musizierende häufiger unter Depressionen und Angststörungen leiden als Menschen, die nicht aktiv Musik betreiben. Ist Musik zu machen nun gut oder schlecht für uns?

Zwillingsdaten können helfen, die Rolle von genetischen Faktoren besser zu verstehen und kausale Zusammenhänge zu testen

Genetische Risikofaktoren könnten eine wichtige Rolle in der Beziehung zwischen Musik und Psyche spielen. Es ist bekannt, dass psychische Probleme zu einem beträchtlichen Anteil erblich sind. Gleichzeitig konnten immer mehr Studien in den letzten Jahren zeigen, dass auch die individuellen Unterschiede in Musikalität und im Umgang mit Musik teilweise genetisch beeinflusst sind. Es könnte also sein, dass Menschen mit einer angeborenen Neigung zu depressiven Verstimmungen oder Angststörungen eher zum Instrument greifen als andere. Das würde sowohl den Zusammenhang zwischen Musik und psychischen Problemen erklären, gleichzeitig einen positiven Effekt des Spielens an sich aber nicht ausschließen.

Hier kann die Zwillingsforschung Antworten geben. Da Zwillinge den gleichen familiären Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, das heißt, zeitgleich im selben Haushalt aufwachsen und darüber hinaus teilweise (zweieiige Zwillinge) oder sogar komplett (eineiige Zwillinge) die gleichen Gene haben, sind sie füreinander perfekte Kontrollpersonen. Wenn nun eineiige Zwillinge einander in Bezug auf ein bestimmtes Merkmal im Durchschnitt stärker ähneln als zweieiige Zwillinge, kann dies als Hinweis gedeutet werden, dass individuelle Unterschiede im untersuchten Merkmal zumindest teilweise genetisch beeinflusst sind. Durch mathematische Analysen kann man dann den genetischen Anteil (die sogenannte Heritabilität oder Erblichkeit) sowie den Einfluss gemeinsam erlebter Umweltfaktoren (etwa in der Familie) auf verschiedene Eigenschaften und deren Assoziationen bestimmen.

Vor Kurzem konnten wir dies zum ersten Mal an ungefähr 10.500 schwedischen Zwillingen untersuchen, die sowohl Auskunft über ihre musikalischen Aktivitäten als auch über ihr psychisches Wohlbefinden gegeben haben. Zusätzlich haben wir die Daten der Zwillinge mit dem schwedischen Patientenregister verlinkt, sodass wir auch psychiatrische Diagnosen auswerten konnten. Die Daten zeigten, dass musikalisch aktive Teilnehmende häufiger depressive, Burn-out- und psychotische Symptome aufwiesen als nicht musikalisch aktive. Dieser Zusammenhang ist wahrscheinlich aber nicht kausal zu sehen, sondern sowohl gemeinsamen genetischen Faktoren als auch Einflüssen des familiären Umfelds zuzuschreiben. Dies ist die erste Studie, die zeigen konnte, dass familiäre Einflüsse eine wichtige Rolle spielen und dass teilweise die gleichen genetischen Einflüsse unsere Psyche und unsere Musikalität beeinflussen. Letzteres wird genetische Pleiotropie genannt: Das heißt, die gleichen Gene haben einen Einfluss auf verschiedene Verhalten oder Konditionen.

DNA – der Schlüssel zur Beziehung zwischen Musik und Psyche?

In Verbindung mit Methoden der Molekulargenetik konnten wir diese Studie nun erweitern. Insgesamt 5.648 der teilnehmenden Zwillinge stellten eine Probe ihrer DNA zur Verfügung. Darauf basierend konnten wir individuelle Indikatoren für das genetische Risiko aller Teilnehmenden sowohl für psychiatrische Krankheiten als auch für Musikalität berechnen, die sogenannten „Polygenic Scores“. Wie erwartet waren Teilnehmende mit einem höheren genetischen Risiko für Depressionen und bipolare Störungen mit größerer Wahrscheinlichkeit auch musikalisch aktiv. Interessanterweise traten diese Zusammenhänge unabhängig davon auf, ob die Menschen tatsächlich psychische Probleme hatten. Gleichzeitig hatten Teilnehmende mit höherer genetischer Veranlagung zur Musikalität auch ein höheres Risiko, eine Depression diagnostiziert zu bekommen – unabhängig davon, ob sie tatsächlich ein Musikinstrument spielten oder nicht.

Dies bestätigt, dass wahrscheinlich dieselben Gene sowohl Musikalität als auch psychische Probleme beeinflussen und dass dies nicht über einen kausalen Pfad erklärbar ist. Menschen spielen Musik also nicht als Reaktion auf ihre psychischen Probleme oder anders herum. Diese Ergebnisse sind nicht völlig überraschend, wurde doch auch schon früher gezeigt, dass Menschen, die sich aktiv in einer kreativen Domäne betätigen, ein höheres genetisches Risiko für bipolare Störungen und Schizophrenie haben als diejenigen, die weniger kreativ sind. Die Hypothese eines Zusammenhangs von Kreativität und Wahnsinn ist also auch im Bereich der Musik nicht auszuschließen.

Zu einem umfassenderen Verständnis

Diese zwei Studien sind die ersten, die den Zusammenhang zwischen Musizieren und psychischen Problemen unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Kausalität und unter Berücksichtigung von familiären Faktoren genauer untersucht haben. Zusammenfassend wurde gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen Musik und psychischer Gesundheit komplexer ist als angenommen. Familiäre (besonders genetische) Faktoren können sowohl die Musikalität als auch die psychische Gesundheit beeinflussen, und wer Musik macht, hat im Durchschnitt ein höheres genetisches Risiko für bestimmte psychische Probleme. Wichtig ist aber, dass diese Ergebnisse positive Einflüsse von Musik und Kultur auf die psychische Gesundheit nicht ausschließen. In diesem Sinne forschen wir weiter, und erste Ergebnisse zeigen, dass sogenannte Flow-Erfahrungen, die oft durch kulturelle Aktivitäten hervorgerufen werden, einen positiven Einfluss auf die Psyche haben können.

Literaturhinweise

Wesseldijk, L. W.; Ullén, F.; Mosing, M. A.
The effects of playing music on mental health outcomes
Scientific Reports 9, e12606 (2019).
Wesseldijk, L. W.; Lu, Y.; Ullén, F.; Mosing M. A.
A comprehensive investigation into the genetic relationship between music engagement and mental health.
Translational Psychiatry. (accepted)
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