Forschungsbericht 2022 - Max Planck Florida Institute for Neuroscience

Auf die Plätze, fertig ... LOS! Wissenschaftler entdecken Gehirnschaltkreis, der die Durchführung geplanter Bewegungen einleitet

Autoren
Inagaki, Hidehiko
Abteilungen
Abteilung für neuronale Dynamik und kognitive Funktionen 
Zusammenfassung
Geplante Bewegungsabläufe bewusst zu verzögern, bis bestimmte Signale wahrgenommen werden, ist eine Alltäglichkeit. Bevor wir auf‘s Gaspedal drücken, muss die Ampel erst grün werden. Wir haben herausgefunden, wie das Gehirn externe Signale aus der Umwelt nutzt, um Pläne in die Tat umzusetzen. Dies erlaubt Aufschlüsse darüber, wie die Gehirnaktivität zur Steuerung komplexer Verhaltensweisen koordiniert wird und welche Schaltkreise für deren Initiierung verantwortlich sind. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Therapie von Bewegungsstörungen wie bei der Parkinson-Krankheit zu verbessern.

Geplante Bewegungen in die Tat umsetzen

Jeden Tag planen wir unzählige Bewegungsabläufe, deren Ausführung oft erst verzögert erfolgt. Als Kinder standen wir in den Startlöchern, warteten aber auf den Startschuss, bevor wir in Richtung Ziellinie lossprinteten. Als Erwachsene warten wir geduldig, bis die Ampel grün wird, bevor wir abbiegen (Abb. 1). In beiden Situationen hat unser Gehirn präzise Bewegungen geplant, unterdrückt aber ihre Ausführung, bis bestimmte Signale erfolgt sind, zum Beispiel der Startschuss oder die grüne Ampel. Wir haben jetzt ein Netzwerk im Gehirn entdeckt, das als Reaktion auf bestimmte Signale solche Pläne in die Tat umsetzt. Diese Entdeckung wurde kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Cell veröffentlicht und ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Forschenden des Janelia Research Campus des HHMI, des Allen Institute for Brain Science, weiterer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und von unserem Team [1].

Die Übergänge zwischen verschiedenen Aktivitätsphasen müssen koordiniert werden

"Das Gehirn ist wie ein Orchester", erklärt Dr. Inagaki. "In einer Sinfonie spielen die Instrumente verschiedene Melodien mit unterschiedlichen Tempi und Klangfarben. Die Gesamtheit dieser Klänge bildet eine musikalische Phrase. In ähnlicher Weise koordinieren Neurone im Gehirn verschiedenartige Aktivitätsmuster und Rhythmen. Das Ensemble dieser neuronalen Aktivitäten koordiniert und beeinflusst spezifische Aspekte unseres Verhaltens". Der Motorcortex zum Beispiel ist ein Hirnbereich, der Bewegungen steuert. Jedoch unterscheiden sich die Aktivitätsmuster im Motorcortex drastisch zwischen der Planungs- und der Ausführungsphase einer Bewegung. Der Übergang zwischen diesen Mustern ist entscheidend für die Einleitung dieser Bewegung. Die Hirnareale aber, die diesen Übergang steuern, waren bisher unbekannt. "Es muss Hirnbereiche geben, die als Dirigenten fungieren", so Dr. Inagaki. "Solche Areale überwachen die Signale aus der Umwelt und orchestrieren die Übergänge der neuronalen Aktivitäten von einem Muster zum anderen. Der Dirigent sorgt dafür, dass die Pläne zum richtigen Zeitpunkt in die Tat umgesetzt werden".

Verhaltensexperimente identifizieren den zentralen Schaltkreis im Gehirn

Um den spezifischen neuronalen Schaltkreis zu identifizieren, der als Dirigent für die Auslösung der geplanten Bewegung dient, beobachteten wir eine Maus, die eine durch ein Signal ausgelöste Bewegungsaufgabe löste, während gleichzeitig mittels Elektroden die Aktivität von Hunderten von Neuronen aufgezeichnet wurden. Bei dieser Aufgabe wurden die Mäuse darauf trainiert, nach rechts zu lecken, wenn ihre Schnurrhaare berührt wurden, oder nach links, wenn ihre Schnurrhaare nicht berührt wurden. Wenn die Tiere in die richtige Richtung leckten, erhielten sie eine Belohnung. Allerdings gab es einen Haken: Die Tiere mussten ihre Bewegung so lange hinauszögern, bis ein Ton, das so genannte Startzeichen, ertönte. Nur korrekte Bewegungen, also im Anschluss an das Startzeichen, wurden belohnt. Die Mäuse mussten also vorab einen konkreten Plan für die Richtung fassen, in die sie lecken wollen, aber den Leckvorgang selbst so lange hinauszögern, bis das Startzeichen ertönt ist (Abb. 2, A).

Anschließend korrelierten wir die aufgezeichneten komplexen neuronale Aktivitätsmuster mit relevanten Phasen der Verhaltensaufgabe. Wir fanden eine spezifische Gehirnaktivität, die unmittelbar nach dem Startzeichen sowie während des Wechsels zwischen motorischer Planung und der konkreten Ausführung auftrat. Diese Hirnaktivität stammte aus einem Netzwerk von Neuronen im Mittelhirn, Thalamus und Kortex (Abb. 2, B).

Um zu testen, wie essenziell dieser Schaltkreis tatsächlich ist, verwendeten wir eine Technik namens Optogenetik. Diese Technik ermöglicht es, den Schaltkreis mit Hilfe von Licht gezielt zu aktivieren oder deaktivieren. Wenn dieser Schaltkreis künstlich während der Planungsphase der Verhaltensaufgabe aktiviert wurde, schaltete die Hirnaktivität der Maus von motorischer Planung auf Ausführung um und veranlasste sie zum Lecken, obwohl sie noch nicht das Startzeichen erhalten hatte. Wurde der Schaltkreis hingegen während des Abspielens des Startzeichens gezielt ausgeschaltet, wurde die angewiesene Bewegung ebenfalls unterdrückt. Die Mäuse verharrten in einem motorischen Planungsstadium, als hätten sie das Startsignal niemals erhalten.

Neue Erkenntnisse eröffnen weitere Möglichkeiten für Parkinson-Therapie

Dr. Inagaki erklärt, wie diese Ergebnisse als Merkmale einer allgemeinen Verhaltenskontrolle bewertet werden können: "Wir haben einen Schaltkreis gefunden, der die Aktivität des motorischen Kortex zum richtigen Zeitpunkt von der motorischen Planung zur eigentlichen Ausführung umschalten kann. Dies gibt uns einen Einblick in die Art und Weise, wie das Gehirn die neuronale Aktivität orchestriert, um komplexes Verhalten zu erzeugen. Zukünftige Arbeiten werden sich darauf konzentrieren zu verstehen, wie dieser und andere Schaltkreise die neuronale Aktivität in vielen verschiedenen Hirnregionen reorganisieren."

Neben diesen grundlegenden Fortschritten im Verständnis der Funktionsweise des Gehirns hat diese Arbeit auch wichtige klinische Implikationen. Bei motorischen Störungen wie der Parkinson-Krankheit haben Patienten Schwierigkeiten, sich selbstständig zu fortzubewegen. Wenn sie jedoch durch externe Hinweise aus der Umgebung zur Bewegung angeregt werden, beispielsweise durch Linien auf dem Boden oder akustische Signale, kann sich die Mobilität der Patienten erheblich verbessern. Dieses als Kinesia paradoxa bezeichnete Phänomen deutet darauf hin, dass im Gehirn unterschiedliche Mechanismen für die selbstinitiierte Bewegung und die durch ein externes Signal ausgelöste Bewegung aktiviert werden. Die Entdeckung derjenigen Hirnnetzwerke, die an der durch ein Signal ausgelösten Bewegung beteiligt und bei der Parkinson-Krankheit relativ wenig beeinträchtigt sind, könnte zur Verbesserung einer therapeutischen Behandlung beitragen.

Literaturhinweise

Inagaki, H. K.; Chen, S.; Ridder, M. C.; Sah, P.; Li, N.; Yang, Z.; Hasanbegovic, H.; Gao, Z.; Gerfen, C. R.; Svoboda, K.
A midbrain-thalamus-cortex circuit reorganizes cortical dynamics to initiate movement
Cell 185, 1065-1071.e23 (2022)
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