Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen

Klimaschutz per Bilanzrecht

Autoren
Schön, Wolfgang
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München
Zusammenfassung
Die europäische Wirtschaft soll klimaneutral werden. Für dieses Ziel stellt die Europäische Union weite Teile ihrer Rechtsordnung unter das Leitprinzip der Nachhaltigkeit. Jüngstes Beispiel ist die Corporate Sustainability Reporting Directive, die neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Damit räumt die Europäische Kommission der nichtfinanziellen Berichterstattung einen ähnlichen Stellenwert ein wie der finanziellen, weitet den Kreis der betroffenen Unternehmen deutlich aus, verschärft die Berichtspflichten und begründet auch Verhaltenspflichten für Unternehmen.

Historisch gesehen subsumieren die Vorgaben für „nachhaltiges Wirtschaften“ im internationalen wie auch deutschen Unternehmens- und Kapitalmarktrecht viele diverse, sich wandelnde und mitunter sogar widersprechende Aspekte, Objekte und Perspektiven. Mit der neuen Richtlinie spitzt die Kommission diese auf ein Ziel zu: die Bekämpfung des Klimawandels. Andere Umweltziele, aber auch Governance-Aspekte, Sozial-, Arbeits- und Menschenrechte oder die Bekämpfung von Korruption und Bestechung rücken in den Hintergrund. Dies ist nicht nur problematisch, weil Zweifel bestehen, ob diese wie auch andere bereits implementierte oder angedachte Regulierungen für eine nachhaltige Finanzwirtschaft uns dem Ziel der Klimaneutralität spürbar näherbringen. Die Europäische Kommission instrumentalisiert damit auch einen Rechtsbereich, der eigentlich Beziehungen zwischen Privatpersonen regeln soll, um ihre Ziele durchzusetzen, statt in hoheitlicher Form tätig zu werden und das ihr eigene Instrumentarium des öffentlichen Rechts auszuschöpfen.

Von der Shareholder- zur Stakeholder-Perspektive

Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) bekommt ein Rechtsinstrument, dessen ursprüngliches Ansinnen es war, Transparenz für Unternehmensleitung, Anteilseigner und Kapitalgeber zu schaffen, eine weitere Ausrichtung. Die traditionelle Outside-in-Perspektive, die eine Pflicht begründete, über die Risiken und mit dem neuen Vorschlag nun auch über die Chancen zu informieren, denen ein Unternehmen ausgesetzt ist, wird nun zweifelsfrei um eine Inside-out-Perspektive ergänzt. Risiken und Auswirkungen, die für andere durch das Handeln eines Unternehmens und seiner Lieferkette entstehen, müssen nun benannt werden, und das nicht nur, wenn sie gleichzeitig auch finanzielle Risiken für das Unternehmen begründen, wie das bisher nach deutschem Recht der Fall ist. Damit werden nicht nur Anlegende, sondern auch Arbeitnehmende, Konsumierende, Zulieferer und andere Stakeholder zu den Adressaten der Nachhaltigkeitsberichte. Da stellt sich zum einen die Frage, ob zum Beispiel Kunden tatsächlich im Lagebericht eines Unternehmens blättern, wo die Nachhaltigkeitsinformationen künftig veröffentlicht werden sollen, oder ob es vielleicht geeignetere Kanäle gäbe, um für sie relevante Informationen bereitzustellen. Auch die Tatsache, dass die neue Richtlinie das Handeln der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens berichtspflichtig macht, wird Unternehmen in der Umsetzung erhebliche Schwierigkeiten bereiten.

Verhaltenspflichten für Unternehmen

Entscheidend aber ist, dass der neue Richtlinienentwurf von Unternehmen fordert, ihr Geschäftsmodell, ihre Strategie und die Umsetzung auf jeder Stufe nachhaltigkeitsorientiert zu formulieren und durchzuführen. Damit signalisiert die Europäische Kommission nicht nur Misstrauen in die Kraft der Märkte und Innovation. Sie offenbart auch ein erziehendes und vorschreibendes Verständnis von Regulierung sowie Misstrauen in die Kraft der bestehenden, demokratisch legitimierten Instanzen, die gesetzten politischen Ziele zu erreichen. Sie versucht, über die Offenlegungspflichten politischen Druck auf Unternehmen auszuüben, ihre Geschäftspolitik auch dann ökologisch auszurichten, wenn weder Investierende noch Konsumierende und andere Vertragspartner dies einfordern.

Adressatenkreis und Zweck im Widerspruch

Auch das Vorhaben, den Kreis der nachhaltigkeitspflichtigen Unternehmen stufenweise zu vergrößern, bis er in 2028 auch kleine und mittelständische Unternehmen umfasst, lässt keine Systematik erkennen. Soll Zweck der CSRD sein, Investierende börsennotierter Gesellschaften und deren Finanzintermediäre zu informieren, wäre eine Beschränkung auf kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften konsequent. Geht es auch um die Gesellschafter, müsste die Berichtspflicht für sämtliche Unternehmen gelten. Sollen auch Arbeitnehmerschaft, Kundschaft und Zulieferer informiert werden, müssten auch Personengesellschaften miteinbezogen werden – und so weiter.

Wirtschaftspolitik durch die Hintertür

Dass der neue Richtlinienvorschlag systematische Inkohärenzen im europäischen Rechtssystem befördert, ist ein Problem, doch noch nicht das größte. Das größte Problem besteht darin, dass die CSRD eine als Berichtspflicht getarnte materielle Pflicht für Unternehmensleitungen begründet, mit ihrer Geschäftspolitik das Gemeinwohl, konkret den Kampf gegen die Klimakatastrophe zu unterstützen. Letztlich ist das kein Eingriff in die Finanzwirtschaft, sondern eine Maßnahme, die Realwirtschaft zu steuern, also die Investitions- und Produktionsentscheidungen von Unternehmen. Dies aber muss durch öffentlich-rechtliche Verbote und Gebote geschehen, zum Beispiel durch Steuern und Mengenbeschränkungen – und zwar auf Grundlage demokratisch legitimierter staatlicher Entscheidungen.           

Literaturhinweis

Schön, W.
„Nachhaltigkeit“ in der Unternehmensberichterstattung
Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft (ZfPW) 8, 2, 207–256 (2022)
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