Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen
Die Evolution komplexer Proteinabbausysteme
Proteinabbau in der Zelle
Die Funktion von Proteinen ergibt sich aus ihrer Aminosäuresequenz und der daraus folgenden dreidimensionalen Struktur. Die korrekte Faltung in die jeweilige Struktur geht allerdings nicht immer reibungslos vonstatten, was zu missgefalteten Proteinen führen kann. Folglich verfügen Organismen über ein ausgeklügeltes System zur Proteinqualitätskontrolle, an deren Ende der kontrollierte Abbau durch Proteasen steht. Diese Enzyme können Proteine aufspalten, wofür diese in der Regel jedoch zuvor entfaltet sein müssen.
Hier kommen sogenannte AAA ATPasen ins Spiel: Sie bringen Energie in Form eines chemischen Reaktionsprozesses auf, der sich als mechanische Energie auf die missgefalteten Proteine überträgt und ihre Entfaltung ermöglicht. AAA ATPasen kooperieren mit dem Proteasom, der wohl wichtigsten intrazellulären Protease in Eukaryonten und in prokaryontischen Archaeen, aus denen die Eukaryonten entstammen [1].
Das Proteasom besteht aus zwei Komponenten. Zwei äußere Ringe sind für die Interaktion mit AAA ATPasen zuständig, während der Abbau der Proteine, also die eigentliche Proteaseaktivität, von Untereinheiten der inneren Ringe bewerkstelligt wird (Abb. 1). Da das aktive Zentrum ins abgeschirmte Ringinnere weist, können nur diejenigen Proteine zum Abbau gelangen, die zuvor von AAA ATPasen entfaltet und in den inneren Proteasomzylinder weitergeleitet wurden. Am Beispiel der Archaeen konnten wir zeigen, dass dort ein ganzes Netzwerk aus AAA ATPasen existiert, das vermutlich direkt Abbaukandidaten erkennt und zum Proteasom leitet [1]. In Eukaryonten dagegen sind Abbaukandidaten typischerweise mit Markierungen, bestehend aus Ubiquitinketten, versehen. Diese Kennzeichnung gibt sie zum Abbau frei und erlaubt ihre Weiterleitung zu den AAA ATPasen am Proteasom.
Doch wie ist diese komplexe eukaryontische Maschinerie entstanden? Gibt es in Prokaryonten weitere, einfachere Systeme zum Proteinabbau oder sogar direkte evolutionäre Vorläufer der eukaryontischen Proteine?
Die bioinformatische Analyse von Proteinsequenzen: Erkenntnisse zu Vorkommen, Funktion und Evolution von Proteinabbausystemen
Die Entwicklung von Techniken, die es erlauben, das komplette Erbgut von Organismen zu sequenzieren, hat zu einer Fülle von Daten geführt, die mit computergestützten Methoden analysiert werden können. Verwandtschaftsgrade von Proteinsequenzen geben Aufschluss über die Evolution von Proteinen, das Vorkommen von Proteinnetzwerken in einer Zelle und deren Funktion. So zeigte sich überraschenderweise, dass in einigen Archaeen bereits Elemente typisch eukaryontischer Eigenschaften vorhanden sind. Dazu gehören zum Beispiel Zellskelettkomponenten oder eben auch Ubiquitin für die Markierung von Proteinabbaukandidaten. Ausgehend von diesem bioinformatischen Ansatz haben wir damit begonnen, ein solches Markierungssystem biochemisch zu rekonstituieren, um dessen Funktion in Archaeen besser zu verstehen [2].
Den gleichen Ansatz verwenden wir, um die Struktur und Funktion urtümlicher Proteasomen zu untersuchen. Obwohl sich die klassische Proteasomstruktur als erfolgreiches Prinzip in der Evolution von Organismen etabliert hat, deuten unsere bioinformatischen Daten darauf hin, dass dieses Prinzip in einer Reihe von Bakterien und Archaeen doch erheblich abgewandelt wurde und Varianten ringförmiger Proteasen mit noch unbekannten Eigenschaften existieren. Experimentell haben wir zwei dieser bakteriellen Vertreter bereits charakterisiert, Anbu [3] und BPH [4], und kamen dabei zu unerwarteten Ergebnissen.
Ringvariationen – Proteasomähnliche Komplexe in Bakterien
Wir konnten Anbu als eine frühe Proteasomvorstufe einordnen, die als Relikt in einer Reihe von Bakterien überdauert hat. Dort fanden wir jedoch keine AAA ATPasen als Partner, sodass wir uns die Frage stellten, wie Anbu an entfaltete Substrate gelangt. Die kristallographische Strukturbestimmung ergab zu unserer Überraschung, dass Anbu im Gegensatz zum klassischen Proteasom keine geschlossene Ringstruktur aufweist, sondern einen halboffenen Ring in Spiralform (Abb. 1; [3]). Dies könnte erklären, wie Anbu Zugang zu seinen Substraten bekäme. Die in der Folge erworbene Fähigkeit, geschlossene Ringe zu bilden, hätte dieses System besser regulierbar gemacht, während das Hinzufügen äußerer Ringe das Andocken von AAA ATPasen zur Bereitstellung entfalteter Substrate ermöglichte.
Auch BPH ist ein bakterieller Verwandter des Proteasoms. Unsere Rekonstruktion seiner Evolution deutet darauf hin, dass es sich im Gegensatz zu Anbu aus bereits ringförmigen Proteasekomplexen entwickelte. Interessanterweise besitzt BPH, anders als das Proteasom, aber keine zusätzlichen äußeren Ringe [4] und somit auch keine Andockstellen für AAA ATPasen. Ob und wie BPH dennoch Proteaseaktivität zeigt, wie es an seine Substrate gelangen würde oder ob es eine völlig neuartige Funktion übernommen hat, ist Gegenstand künftiger Untersuchungen.
Ein archaeales Ubiquitinlabelsystem
Alle Archaeen besitzen klassische Proteasomen. Für einige wenige Arten sagen computergestützte Erbgutanalysen interessanterweise auch das Vorkommen eines Ubiquitinmarkierungsystems voraus. Um dessen Existenz experimentell zu bestätigen, rekonstituieren wir einzelne Reaktionsschritte am Beispiel des archaealen Modellorganismus Caldiarchaeum subterraneum. Von Eukaryonten wissen wir, dass verschiedene Enzyme Ubiquitinmoleküle zunächst zuschneiden müssen, damit sie aktiv werden. Später spaltet ein am Proteasom verankertes Enzym, Rpn11, die Ubiquitinmarkierung wieder rechtzeitig vom entfalteten Proteinsubstrat ab, um es zu recyceln. In Archaeen wiederum erkennen wir, dass beide Reaktionen ursprünglich nur von einem einzigen Rpn11 Enzym ausgeführt werden, das noch nicht an das Proteasom gebunden ist [2]. Die Analyse solcher Ähnlichkeiten und Gegensätze erlaubt es uns, ein Szenario zu erhärten, gemäß dem die Grundzüge eukaryontischen Proteinabbaus in Form evolutionärer Vorstufen bereits in Archaeen etabliert waren.
Literaturhinweise
Journal of Biological Chemistry 287, 39254-39262 (2012)