Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Forschungsstelle für Enzymologie der Proteinfaltung
Lichtmodulierte Proteinstrukturen durch chemische Modifizierung des Proteinrückgrates
Light-modulated protein structures using chemical modification of the backbone
Max-Planck-Forschungsstelle für Enzymologie der Proteinfaltung, Halle
Proteine stellen selbstorganisierende Moleküle dar, die aus einem unstrukturierten Zustand spontan in eine relativ einheitliche, energiegünstige Anordnung der Atome übergehen, das heißt„sich falten“ können. Bei fehlerhaften Faltungsvorgängen in der Zelle kann es zu einem Verlust der mit der korrekten Struktur verbundenen Proteinfunktion kommen. Zusätzlich kann das fehlerbehaftete Protein selbst toxisch wirken und fatale Auswirkungen auf den betroffenen Organismus haben. Um die Zusammenhänge zwischen Faltungszustand und Funktion eines Proteins aufzuklären, haben sich ortsgerichtete Mutagenese-Experimente bewährt. Hier werden die Seitenketten und damit die chemische Zusammensetzung in einem Proteinmolekül innerhalb des Repertoires genkodierter Aminosäuren gezielt verändert. Allerdings spielt das Proteinrückgrat für die Faltung ebenfalls eine große Rolle. Das Rückgrat der Polypeptidkette besteht aus einer Abfolge von identischen chemischen Gruppierungen, deren räumliche Anordnung unmittelbar mit der Funktion eines Proteins zusammenhängt. Die so gebildete dreidimensionale Struktur wird vorzugsweise durch intramolekulare Wechselwirkungen im Proteinrückgrat formiert. Insbesondere werden die zeitabhängigen Phänomene bei der Proteinfaltung durch die chemische Zusammensetzung des Proteinrückgrates bestimmt, wobei die flexible Elektronenanordnung in der Peptidbindung -NH-C(=O)- eine besondere Rolle spielt. Sie vervollständigt die Möglichkeiten, mit denen ein Organismus die raum-zeitliche Kontrolle der Proteinfunktion gewährleistet.
Neben den seitenkettenspezifischen Protein-Mutagenesen können auch chemische Veränderungen im Proteinrückgrat ein wirksames Mittel darstellen, um Beziehungen zwischen Proteinfunktion und Faltung zu untersuchen. Zu besonders detaillierten Einblicken gelangt man, wenn die Raumstruktur des Proteinrückgrates punktuell durch einen sehr spezifischen, mild wirkenden chemischen oder physikalischen Eingriff definiert verändert werden kann. Die Lichtinduktion von Konformationsänderungen an der Peptidbindung stellt ein solch universell anwendbares Werkzeug dar, da diese den Ansprüchen an Selektivität, Nebenwirkungsfreiheit und Vorhersagbarkeit der räumlichen Auswirkungen genügt. Vorhersagbar ist die Konformationsänderung deswegen, weil durch Licht geeigneter Wellenlänge eine Kontraktion der Cα-Atom-Abstände benachbarter Aminosäuren um etwa 0.8 Å bewirkt wird. Wie Abbildung 1 zeigt, ist allerdings die generische Peptidbindung, bedingt durch ihre hohe, für bestimmte Aminosäureseitenketten zerstörerische Anregungsenergie und durch die Vielzahl der baugleichen Peptidbindungen im Proteinrückgrat, für diese Zwecke ungeeignet.
Die Max-Planck-Forscher in Halle haben das Problem dadurch gelöst, dass an einer einzelnen Peptidbindung durch eine chemische Operation das Sauerstoffatom durch die Chalkogene Schwefel oder Selen ersetzt worden ist.
Während die Eignung der schwefelsubstituierten Thioxopeptidbindung -NH-C(=S)- für UV-getriggerte Photoschalt-Experimente an dem Enzym RNase S bereits früher gezeigt werden konnte [1], waren Selenoxopeptide –NH-C(=Se)- bisher synthetisch nicht zugänglich. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Synthese und für die nachfolgende Photoschaltung lag in einer angepassten Schutzgruppenstrategie und einer unerwartet hohen Stabilität der Selenoxopeptide in wässrigen Lösungen [2]. Die Rotverschiebung der UV/Vis-Absorption nach einer Selensubstitution in einem Tetrapeptid gestattete es nun, Photoschaltungen in einem UV-Bereich >290 nm, außerhalb der intrinsischen Lichtabsorption eines typischen Proteins, vorzunehmen und damit Photozersetzung zu vermeiden. Das Repertoire der bei uns entwickelten photoschaltbaren Substitutionen im Rückgrat einer Peptidkette erlaubt völlig neue Experimente. Diese können erstmals Aufschluss darüber geben, inwieweit sich einzelne, gut definierte Konformationsänderungen in ihrer Dynamik gegenseitig beeinflussen und dadurch eine Kopplung der Atombewegungen während einer biochemischen Funktion herbeiführen.
Abbildung 2 zeigt das generelle Prinzip solcher zeitversetzten Doppelschaltexperimente. Dieser Versuchsaufbau setzt voraus, dass eine Thioxopeptidbindung photogeschaltet werden kann, ohne dass die Selenoxostruktur mit angeregt wird und, umgekehrt, dass die Thioxoeinheit unbeeinflusst bleibt, wenn die Konformationsänderung der Selenoxopeptidbindung induziert wird. Das Team um Gunter Fischer konnte für ein doppeltsubstituiertes Dekapeptid geeignete Wellenlängen auffinden, in denen diese Voraussetzung gilt. Erste Doppelschaltexperimente sind in Arbeit (Yun Huang, Günther Jahreis, Christian Lücke).