Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme

Quantenoptik mit Molekülen: Delokalisierte Materiewellen und die Entstehung molekularer Händigkeit

Quantum optics with molecules: delocalized matter waves and the appearance of molecular chirality

Autoren
Hornberger, Klaus
Abteilungen
Forschungsgruppe molekulare Quantenoptik
Max-Planck Institut für Physik komplexer Systeme, Dresden
Zusammenfassung
Mit Methoden der molekularen Quantenoptik kann man ausloten, inwieweit sich elementare quantenmechanische Phänomene mit komplexen Objekten und auf großen Skalen realisieren lassen. Die betrachteten Phänomene reichen von der räumlichen Delokalisierung von Molekülkomplexen aus über einhundert Atomen bis zum Nachweis quantenmechanischer Verschränkung bezüglich makroskopisch unterscheidbarer Eigenschaften.
Summary
Methods of molecular quantum optics allow one to probe to what extent elementary quantum mechanical phenomena can be observed with complex objects and on large scales. The considered quantum effects range from spatially delocalized molecules consisting of more than one hundred atoms to the demonstration of quantum entanglement with respect to macroscopically distinguishable properties.

Einführung

Wendet man die Prinzipien der Quantenphysik auf große Objekte an, also nicht wie üblich auf Atome oder Lichtteilchen, so führt sie zu Vorhersagen, die unsere „klassische“ Alltagserfahrung auf den Kopf stellen. Ein und derselbe Gegenstand sollte sich dann gleichzeitig an mehreren Orten befinden können und in seinem Verhalten auch dadurch bestimmt werden, ob man ihn beobachtet oder nicht. In der Gruppe „Molekulare Quantenoptik“ erforschen wir Systeme, die im Übergangsbereich zwischen diesem Quantenregime und der klassischen Physik liegen. Speziell untersuchen wir im Rahmen der Theorie offener Quantensysteme, inwieweit sich die Entstehung klassischer physikalischer Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten verstehen lässt, wenn man die Quantentheorie als universell gültig annimmt.

Solche Fragen lassen sich konkret studieren, indem man die Dynamik immer größerer Moleküle in der Wechselwirkung mit ihrer natürlichen Umgebung betrachtet. Die zunehmende Komplexität der Objekte macht eine vollständig mikroskopische Beschreibung praktisch unmöglich und erzwingt es, die allgemeinen Prinzipien und Mechanismen zu identifizieren, die den quanten-klassischen Übergang bestimmen. Parallel dazu arbeiten wir experimentell realisierbare Vorschläge aus, die den Grenzbereich zwischen quantenmechanischem Verhalten und der klassischen Physik ausloten und den Nachweis von Quantenphänomenen auf bisher unerforschten Skalen ermöglichen.

Die folgenden Beispiele sollen einen Einblick in unsere Forschungsaktivitäten geben. Sie umfassen die Entwicklung von Konzepten zum Nachweis der Wellennatur von Teilchen äußerst hoher Masse, die Frage nach dem Ursprung molekularer Händigkeit und einen Vorschlag zum Nachweis von Verschränkung, einer Art „spukhaften Fernwechselwirkung“, durch die geschickte Spaltung eines Moleküls.

Materiewellen-Interferometrie mit komplexen Molekülen

Es gehört zu den Grundtatsachen der Quantenmechanik, dass sich Elektronen, Neutronen, aber auch ganze Atome wie Wellen ausbreiten können, wobei sich Wellenberge und Wellentäler gegenseitig auslöschen. Nachweisen lässt sich dies in Interferometern, in denen die Teilchen räumlich delokalisiert werden und dabei gewissermaßen gleichzeitig durch unterschiedliche Gitterspalte fliegen. Während die Interferenz derart elementarer Teilchen in zahlreichen Laboratorien für hochpräzise Messungen verwendet wird, gehört der Nachweis der Wellennatur immer größerer Teilchenkomplexe nach wie vor zur Grundlagenforschung.

In Zusammenarbeit mit Experimentalphysikern um M. Arndt an der Universität Wien entwickeln wir neuartige Nahfeld-Interferenz-Methoden, die auch noch mit Teilchen extrem hoher Masse, also sehr kleiner de Broglie-Wellenlänge, funktionieren sollten [1]. Die jüngste Entwicklung ist hier das sogenannte Kapitza-Dirac-Talbot-Lau-Interferometer [2]. In dieser Nahfeld-Interferenz-Anordnung wird neben zwei materiellen Gittern aus Siliziumnitrid auch noch ein „Lichtgitter“ als zentrales optisches Element eingesetzt, das von der Stehwelle eines Laserstrahls gebildet wird.

Durch Variation der Laserintensität lässt sich die Wechselwirkung zwischen der molekularen Materiewelle und dem Interferenz-Gitter besonders gut kontrollieren. Auch gibt es hier keine sogenannten van der Waals-Wechselwirkungen, die bei materiellen Gittern zwischen den delokalisierten Molekülen und den Wänden der Gitterspalte auftreten, und deren Einfluss die Masse der Teilchen praktisch limitiert, mit denen noch Interferenz nachgewiesen werden kann [3]. Diese starke Abhängigkeit des Interferenz-Signals von den Details der Gitterwechselwirkung ist charakteristisch für die Nahfeld-Interferenz, wobei dieser Materiewellen-Effekt wegen der Winzigkeit der de Broglie-Wellenlänge großer Moleküle den üblichen Fernfeld-Anordnungen vorgezogen werden muss.

In Abbildung 1 ist ein Vergleich des von uns vorhergesagten Interferenz-Kontrastes mit der experimentellen Beobachtung an der Universität Wien zu sehen. In der theoretischen Beschreibung ist dabei wichtig, auch den Einfluss von inkohärenten Photonen-Absorptionsprozessen im Lichtgitter einzubeziehen. Für den oberen Graphen wurden die Buckminster-Fullerene C60 und C70 verwendet, also sphärische Moleküle aus Kohlenstoffatomen, die die Form eines Fußballs bzw. Rugbyballs haben. Die fluorierten Moleküle C60F36 und C60F48 für den unteren Graphen sind zusätzlich mit einer Schicht aus schweren Fluor-Atomen umgeben, letztere entsprechen einer Masse von über 1600 Wasserstoff-Atomen. Man sieht, dass die experimentellen Ergebnisse (Punkte) sehr schön der theoretischen Erwartung folgen (dicke Linien) und mit einer klassischen Beschreibung durch Teilchen-Bahnen nicht zu vereinbaren sind (dünne Linien). Damit wird eine räumliche Delokalisierung der Moleküle auf Längenskalen nachgewiesen, die deren geometrische Ausdehnung um ein Vielhundertfaches übersteigt. Die de Broglie-Wellenlänge ist dagegen etwa fünfhundert Mal kleiner als die Größe der Teilchen.

Das Hund'sche Paradox chiraler Moleküle

Als „Hund'sches Paradox“ bezeichnet man die Fragestellung, warum große Moleküle oft in einer händigen („chiralen“) Konfiguration angetroffen werden, also in einer Form die sich nicht mit ihrem Spiegelbild in Übereinstimmung bringen lässt [4]. Aufgrund einer Symmetrie-Eigenschaft des zugrunde liegenden Energie-Operators, der sogenannten Paritäts-Invarianz, würde man eigentlich erwarten, dass solche Moleküle natürlicherweise in einer quantenmechanischen Superposition aus rechts- und linkshändiger Form auftreten, die einer festen Parität entspricht. Ein einmal hergestelltes chirales Molekül sollte sich dagegen periodisch in seine Spiegelform umwandeln.

Wir konnten zeigen, dass sich die Auszeichnung und Stabilität händischer Molekül-Konfigurationen als ein Dekohärenz-Phänomen verstehen lässt. Sie ist also eine Konsequenz der quantenmechanischen Wechselwirkung zwischen dem Molekül und anderen Teilchen aus seiner Umgebung ­– und zwar auch dann, wenn letztere selbst nicht chiral sind. Der Effekt basiert darauf, dass nach einem typischen Wechselwirkungsprozess die Dynamik der Umgebungsteilchen stärker davon abhängt, ob das Molekül in einer rechts- oder linkshändigen Form vorliegt, als von den Energiewerten des Moleküls. Dies wirkt wie eine quantenmechanische Messung, die dazu führt, dass die händischen Formen des Moleküls aufgrund des sogenannten „Quanten-Zeno-Effekts“ stabilisiert werden.

Durch Anwendung molekularer Streutheorie können wir den zugehörigen Mechanismus identifizieren. Er basiert auf einem üblicherweise vernachlässigten, paritätsverletzenden Beitrag in der van der Waals-Wechselwirkung zwischen Gasteilchen [5]. Konkret betrachten wir dazu die Wechselwirkung des in Abbildung 2 dargestellten Dihydrodisulfids, eines der einfachsten chiralen Moleküle, mit Heliumgas. Die numerischen Rechnungen zeigen, dass der Effekt überraschend stark ist, was die beobachtete Stabilität der händischen Formen erklärt. Wir schlagen auch ein Experiment vor, das es erlaubt, den graduellen Übergang vom oszillierenden Verhalten zur stabilen chiralen Konfiguration als Funktion des Umgebungsdrucks zu verifizieren [5, 6].

Verschränkung auf großen Skalen

Zu den bemerkenswerten Vorhersagen der Quantenmechanik gehört es, dass materielle Objekte, obwohl weit separiert und nicht miteinander wechselwirkend, bei Messungen Korrelationen aufweisen können, die sich nicht als lokale Eigenschaften erklären lassen. Verletzen die Korrelationen eine sogenannte Bell-Ungleichung, widerlegt dies unzweifelhaft die „klassische“ Vorstellung, dass sich die physikalische Wirklichkeit auf lokal-realistische Weise beschreiben lässt. Mit unseren Arbeiten zur Dissoziationszeit-Verschränkung massiver Teilchen entwickeln wir Methoden, solche nichtklassischen Korrelationen in der Bewegung weit separierter freier Teilchen herzustellen und nachzuweisen.

Ein Vorschlag basiert auf der geschickten Spaltung von zwei-atomigen Molekülen mithilfe von Magnetfeld-Pulsen [7]. Im Idealfall führt dies zu einem Bewegungszustand der dissoziierten Atome, mit dem sich eine Bell-Ungleichung durch Interferometrie der Einzelteilchen verletzen lässt. Allerdings ist es hierfür wichtig zu wissen, wie schädlich die Tatsache ist, dass die quantenmechanischen Wellenfunktionen der Atome mit der Zeit langsam zerlaufen. Die Berechnung dieses Effekts erlaubt es, ein konkretes experimentelles Szenario zu entwickeln.

Wir schlagen dazu vor, ein sogenanntes molekulares Bose-Einstein-Kondensat aus Lithium-Atomen mithilfe zweier gekreuzter, nicht-resonanter Laserstrahlen unterschiedlicher Intensität festzuhalten und über einen resonanzartigen Magnetfeldeffekt aufzuspalten. Die Atome laufen dann, gefangen in einem starken Laser, in unterschiedlichen Richtungen zu den Interferometern, die durch die flachwinklige Kreuzung mit Laserstrahlen gleicher Intensität aufgebaut sind. Es sollte so möglich sein, einen Bewegungszustand der Lithium-Atome herzustellen und nachzuweisen, bei dem jedes der Atome mehrere Sekunden lang zwischen einem „frühen“ und einem, um einen Zentimeter entfernten, „späten” Wellenpaket delokalisiert ist, wobei sich die Verschränkung zwischen diesen räumlich verschiedenen Alternativen über den mehrere zehn Zentimeter großen Abstand zwischen den Teilchen erstreckt [7-9].

M. Arndt, S. Gerlich, K. Hornberger, M. Mayor:
Interferometrie mit komplexen Molekülen.
Physik Journal 9, Nr. 10, 37-43 (2010).
K. Hornberger, S. Gerlich, H. Ulbricht, L. Hackermüller, S. Nimmrichter, I. V. Goldt, O. Boltalina, M. Arndt:
Theory and experimental verification of Kapitza-Dirac-Talbot-Lau interferometry.
New Journal of Physics 11, 043032 (2009).
S. Nimmrichter, K. Hornberger:
Theory of near-field matter wave interference beyond the eikonal approximation.
Physical Review A 78, 023612 (2008).
R. A. Harris, L. Stodolsky:
On the time dependence of optical activity.
Journal of Chemical Physics 74, 2145 (1981).
J. Trost, K. Hornberger:
Hund's paradox and the collisional stabilization of chiral molecules.
Physical Review Letters 103, 023202 (2009).
C. Day:
Month-long calculation resolves 82-year-old quantum paradox.
Physics Today 62 (9), 16-17 (2009).
C. Gneiting, K. Hornberger:
Bell test for the free motion of material particles.
Physical Review Letters 101, 260503 (2008).
C. Gneiting, K. Hornberger:
Nonclassical correlations from dissociation-time entanglement.
Applied Physics B 95, 237-244 (2009).
C. Gneiting, K. Hornberger:
Molecular Feshbach dissociation as a source for motionally entangled atoms.
Physical Review A 81, 013423 (2010).
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