Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Der Kohlenstoff-Kreislauf aus einem anderen Blickwinkel
Der Klimawandel gilt als eines der wichtigsten globalen Probleme des 21. Jahrhunderts mit sowohl ökologischen als auch sozio-ökonomischen Folgen. Die primäre Ursache für die Änderung des Klimas ist die Zunahme von Treibhausgasen, insbesondere von Kohlendioxid, in der Erdatmosphäre. Dieses Kohlendioxid entstammt vor allem menschlichen Aktivitäten wie der Verbrennung fossiler Brennstoffe, der Waldrodung und der Zementproduktion. Nur etwa 45 Prozent dieses anthropogenen CO2-Ausstoßes verbleibt jedoch in der Atmosphäre, weil der Rest von den Ozeanen und der Landbiosphäre wieder aufgenommen wird. Durch diese Senken ist die jährliche Zunahme von CO2 in der Atmosphäre geringer als die Gesamtheit der anthropogenen Emissionen.
Allerdings gibt es dabei eine deutliche Variabilität in der Reaktion des Erdsystems, und zwar von Jahr zu Jahr, von Region zu Region und von Sommer zu Winter. Diese Schwankungen basieren auf Umweltweinflüssen, denn die natürlichen Prozesse des Kohlenstoff-Austauschs, wie beispielsweise die Photosynthese, der Abbau organischer Stoffe im Erdreich und die Lösung und Umsetzung von CO2 im Meereswasser, hängen von der Temperatur und vielen anderen Umweltfaktoren ab. Wie stark diese einzelnen Faktoren die Prozesse des Kohlenstoffkreislaufs ändern, muss quantitativ analysiert werden. Nur so lässt sich die Rolle des Kohlenstoffkreislaufs im Klimasystem, auch im Hinblick auf eine prognostizierte weitere Klimaerwärmung, besser verstehen. Voraussetzung dafür ist die Erfassung des aktuellen räumlichen und zeitlichen CO2-Austauschs zwischen der Erdoberfläche und der Atmosphäre.
Quellen und Senken von Treibhausgasen auf der Spur
Global betrachtet wird Kohlenstoff in Form von CO2 ständig zwischen der Landoberfläche (terrestrische Biosphäre), den Meeren (Hydrosphäre) und dem Erdboden (Lithosphäre) sowie hauptsächlich über die Atmosphäre ausgetauscht. Hierbei lassen sich sogenannte Quellen – Gebiete oder Ökosysteme die mehr CO2 an die Atmosphäre abgeben, als sie wieder aufnehmen – von Senken, die mehr CO2 aufnehmen als sie abgeben, unterscheiden.
Um die globalen CO2-Flüsse besser zu bestimmen, werden Daten von weltweiten Messstationen (siehe Abb. 1) ausgewertet; letztere werden von mehreren internationalen Institutionen betrieben, unter anderen vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Die Interpretation der gemessenen atmosphärischen CO2-Konzentrationen erfolgt mithilfe eines Transportmodells unter Anwendung der Bayes’schen Wahrscheinlichkeitstheorie und unter Berücksichtigung von Vorkenntnissen über die Prozesse und ihren Ungewissheiten. Hierbei kommt der Algorithmus der sogenannten „Jena Inversion“ zum Einsatz [1]. Das Ergebnis sind räumlich und zeitlich aufgelöste Schätzungen des CO2-Austauschs zwischen der Erdoberfläche und der Atmosphäre: die CO2-Flüsse.
Eine neue Ära: Messungen vom Weltall aus
Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, sind die bodenbasierten Messstationen eher ungleichmäßig über den Erdball verteilt und liefern daher nur wenige Daten aus klimatisch wichtigen Regionen wie den Tropen oder Sibirien. Hier bieten satellitenbasierte Messungen erstmals die Möglichkeit, eine nahezu globale Datenabdeckung zu erreichen. Das Messprinzip basiert auf der Eigenschaft des Kohlendioxids, reflektiertes Sonnenlicht bei bestimmten Wellenlängen zu absorbieren. Die Sensoren der Satelliten messen dabei den gesamten Anteil an Kohlendioxid-Molekülen in der Luftsäule zwischen dem Satelliten und der Erdoberfläche. Dieser CO2-Anteil wird durch die Menge aller Luftmoleküle in der Säule geteilt, um die säulenintegrierte Konzentration von Kohlendioxid, XCO2, zu bestimmen.
Der erste Satellitensensor, der Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan mit hoher Empfindlichkeit in der Nähe der Erdoberfläche messen konnte, war SCIAMACHY (SCanning Imaging Absorption SpectroMeter for Atmospheric CHartographY). Er war von 2002 bis 2012 auf dem europäischen Umweltsatelliten ENVISAT in Betrieb. Obwohl diese Methan-Messungen zu einem neuen Verständnis der Methan-Quellen geführt haben, waren die systematischen Fehler und Unsicherheiten der XCO2-Messungen allerdings so groß, dass sich die Datenanalyse als schwierig gestaltete. Zu dieser Zeit fehlten außerdem unabhängige Messungen zur Validierung. Seit 2009 misst nun der japanische Satellit GOSAT (Greenhouse Gases Oberserving Satellite) XCO2 und XCH4 mit deutlich geringerer Messunsicherheit. Zusätzlich ermittelt seit 2014 der NASA-Satellit OCO-2 (Orbiting Carbon Observatory 2) Kohlendioxid mit einer noch größeren räumlichen Auflösung.
Obwohl die räumliche Datenabdeckung viel besser ist als diejenige des bodenbasierten Netzwerks, begrenzen Wolken und Dunkelheit die Messperiode über das gesamte Jahr hinweg, mit deutlich weniger Messungen im Winter in den höheren Breitengraden. Die XCO2-Messungen von GOSAT im Juni und Dezember 2010 sind in Abbildung 1 dargestellt.
Vergleich mit den Schätzungen bodenbasierter Messungen: Widersprüche und Erklärungen
Einerseits ist dieser neue Datenstrom eine vielversprechende Informationsquelle über den Kohlenstoffkreislauf, andererseits erweist er sich als schwer vereinbar mit den Informationen aus den bodenbasierten Netzwerken. Verglichen mit Flussabschätzungen, die auf Messungen des spärlichen Bodenmessnetzes beruhen (Messnetzflüsse), sind satellitenbasierte Flussschätzungen (GOSAT-Flüsse) signifikant anders. Die GOSAT-Flüsse weisen – konträr zu den Messnetzflüssen – darauf hin, dass die Tropen eine große CO2-Quelle für die Atmosphäre darstellen und die nördlichen mittleren Breiten deutlich mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen. Diese augenscheinliche Umverteilung der CO2-Flüsse bei Verwendung von Satellitendaten wurde kürzlich durch mehrere Studien untermauert, unter anderem einer Modellvergleichsstudie mit mehreren Teilnehmern [2], deren Resultate in Abbildung 2 zusammengefasst sind.
Um die Daten von verschiedenen Modellen besser vergleichen zu können, sind in dieser Abbildung alle Landflüsse über die gleichen drei Regionen integriert: den Tropen, den nördlichen Extratropen und den südlichen Extratropen. Vergleicht man die GOSAT- und Messnetzflüsse auf kleineren räumlichen Skalen, zeigen sich noch stärkere Unterschiede. Dabei sticht die Verstärkung der CO2-Senke in Europa (hier nicht einzeln aufgeführt) hervor, eine Region mit vergleichsweise guter Datenabdeckung aus bodenbasierten Messungen. Generell betrachten manche diese Unvereinbarkeit der Flussschätzungen als einen Beweis für grundlegende systematische Fehler in den XCO2-Messungen [3,4], während andere argumentieren, dass das europäische Signal der Satellitenmessungen robust ist [5].
Interessanterweise lässt sich diese Unvereinbarkeit weitgehend auflösen, besonders in den Extratropen, wenn man den Unterschied in der räumlichen Datenabdeckung betrachtet. Werden nur Satellitenmessungen innerhalb eines bestimmten Abstands einer Messstation in der Jena Inversion verwendet, stimmen die abgeschätzten Satellitenflüsse eher besser mit den Messnetzflüssen überein. Verringert sich also der Abstand zur Bodenmessstation, nähern sich die boden- und satellitenbasierten Flussabschätzungen an. Diese Tendenz zur Angleichung wird im Folgenden für die ausgewählten Regionen Europa, Nordafrika, und Australien in Abbildung 3 dargestellt, den drei Regionen mit den deutlichsten Unterschieden zwischen den GOSAT-Flüssen und den Messnetzflüssen. In Nordafrika ist diese Angleichung zwar nicht so eindeutig – vielleicht aufgrund der Sandpartikel in der Luft über der Sahara, die die Genauigkeit der Satellitenmessungen stören können. Aber in den extratropischen Regionen, nämlich Europa und Australien, führt die Begrenzung der räumlichen Datenabdeckung zu einer verbesserten Übereinstimmung.
Dieses Ergebnis deutet an, dass die Widersprüche der aus den beiden Datenströmen abgeleiteten Flüsse von ihrer unterschiedlichen räumlichen Abdeckung stammen, insbesondere da die tatsächliche räumliche Verteilung der Flüsse mit den spärlich verteilten Messstationen einfach nicht lösbar ist.
Um diese Schlussfolgerungen zu testen, wurden verschiedene experimentelle Berechnungen durchgeführt. Hier stellte sich die Frage: Wenn die GOSAT-Flüsse wahr wären, würde das Messnetz das Signal ausreichend sehen, damit eine Inversion die richtige regionale Verteilung der Flüsse wiedergeben könnte? Dazu wurden sogenannte Pseudo-Daten produziert: Die als korrekt angenommenen GOSAT-Flüsse wurden mit dem Modell transportiert und die simulierten CO2-Konzentrationen am Standort jeder Messstation gespeichert, um künstliche Datensätze zu erzeugen. Diese Pseudo-Daten wurden im Inversionssystem verwendet, um zu prüfen, ob sich die tatsächlichen regionalen Muster der GOSAT-Flüsse wieder abschätzen lassen. Die Resultate (rot in der Abbildung 3) zeigen, dass das Messnetz die tatsächliche räumliche Verteilung der CO2-Flüsse nicht wiedergeben kann.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass allein die Unvereinbarkeit der GOSAT- und Messnetzflüsse kein ausreichender Grund ist, die Genauigkeit der GOSAT-Messungen zu bezweifeln.
Weiterentwicklung der Satellitenmessungen
Derzeit werden am MPI für Biogeochemie die satellitenbasierten XCO2-Messungen durch unabhängige Referenzmessungen mithilfe von Flugzeugmissionen und bodenbasierter Fernerkundung validiert. Doch es gibt auch weitere Aspekte dieses neuen Datenstroms, die am Max-Planck-Institut für Biogeochemie erforscht werden. Ein wichtiges Forschungsthema ist die mögliche Verzerrung der resultierenden CO2-Flüsse dadurch, dass sich Fernerkundungsdaten ausschließlich unter wolkenfreien Bedingungen gewinnen lassen. Und letztlich werden Studien durchgeführt, um die Entwicklung neuer Satellitenmissionen zu unterstützen, zum Beispiel die deutsche-französische Methan-Mission MERLIN.
Technical Report 6, Max Planck Institute for Biogeochemistry, Jena, (2005).
J. Geophys. Res. Atmos., 120, 5253–5266 (2015)
DOI: 10.1002/2014JD022962
Geophys. Res. Lett., 41, 1065–1070 (2014)
DOI: 10.1002/ 2013GL058772
Atmos. Chem. Phys., 16, 1289-1302 (2016)
doi:10.5194/acp-16-1289-2016