Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme
Zur Kopplung von kontinuierlichen Reaktions- und Trennprozessen
Kontinuierliche Herstellung von Grundchemikalien
Zur Herstellung von in großen Mengen benötigten Grundchemikalien wurden im vergangenen Jahrhundert effiziente Verfahren entwickelt. Wesentliches Merkmal dieser Verfahren ist die unterbrechungsfreie Bereitstellung von Produktströmen. Attraktive Vorteile dieser kontinuierlichen Betriebsweise sind u. a. ein zeitunabhängiges (stationäres) Verhalten, die damit verbundene Möglichkeit einer umfassenden Prozessautomatisierung sowie die verbesserte Konstanz der Produktqualität. In der chemischen Industrie werden heutzutage die relativ wenigen Basischemikalien (wie z. B. Ethen, Propen, Methanol, Ammoniak, Schwefelsäure) sowie der Großteil der daraus hergestellten ca. 300 Zwischenprodukte (wie z. B. Formaldehyd, Ethylenoxid, Acrylsäure) in hocheffizienten kontinuierlich arbeitenden Verfahren erzeugt [1]. Kennzeichen dieser Verfahren ist es, dass die zahlreichen zu realisierenden Teilschritte (Reaktionen und Stofftrennungen) bei häufig sehr unterschiedlichen Bedingungen ablaufen. Einige der Schritte sind schnell und können in kleineren Apparaten realisiert werden. Andere sind dagegen langsam und müssen folglich zur Gewährleistung kontinuierlicher Stoffströme und zur Vermeidung von Zwischenspeichern in größeren Apparaten durchgeführt werden. Eines der eindrucksvollsten und kompliziertesten Beispiele der industriell realisierten Dimensionen kontinuierlicher Prozessführungen ist sicherlich der Prozess des „Steam Cracking” [1]. Mit diesem thermischen Crack-Prozess werden riesige Mengen an längerkettigen Kohlenwasserstoffen (Naphtha) in Gegenwart von Wasserdampf in kurzkettige Kohlenwasserstoffe umgewandelt. In gewaltigen Anlagen entstehen so als Hauptprodukte die wesentlichen Basischemikalien Methan, Ethen und Propen sowie Butene, Pentene und Aromaten. Dabei werden Rohrreaktoren, in denen die Rohstoffe in Sekundenbruchteilen bei Temperaturen oberhalb von 800°C gespalten werden, mit sehr großen und teilweise bei Unterdruck und tiefen Temperaturen betriebenen Destillationskolonnen direkt verschaltet.
Chargenweise Herstellung von Feinchemikalien
Aus den genannten ca. 300 Zwischenprodukten werden in verschiedenen Industriezweigen (z. B. in der pharmazeutischen Industrie) tausende von Feinchemikalien hergestellt. In diesen Bereichen dominiert gegenwärtig die chargenweise Produktion. Merkmale dieser Batch-Prozesse sind unvermeidliche Totzeiten zum Befüllen, Leeren und Reinigen von Apparaten, schwankende Produktqualitäten und relativ geringe Produktivitäten. Aufgrund dieser Nachteile wurden in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, auch kleinere Produktmengen in kontinuierlichen Prozessen zu erzeugen, beispielsweise am „Novartis-MIT Center for Continuous Manufacturing”. Im Bereich der chemischen Synthesen wurden in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte auf dem Gebiet der sogenannten „Flow Chemistry” erzielt [2]. Um jedoch im Bereich der Feinchemikalien vollständig kontinuierliche Prozessketten zu entwickeln, besteht zur Zeit ein Mangel an unterbrechungsfrei über einen längeren Zeitraum arbeitenden und die notwendigen Reinheiten sicherstellenden Trenn- und Aufreinigungsverfahren. Insbesondere die im Bereich der pharmazeutischen Industrie bevorzugt eingesetzten chromatographischen Trennverfahren sowie die selektive Kristallisation werden bisher überwiegend chargenweise genutzt.
Untersuchungen zu Prozesskopplungen
Die Abteilung „Physikalisch-Chemische Grundlagen der Prozesstechnik” des Magdeburger Max-Planck-Instituts für Dynamik komplexer technischer Systeme hat in den letzten Jahren einige systematische Beiträge zur Entwicklung kontinuierlicher Trennverfahren sowie zu deren Einbeziehung in kontinuierlich ablaufende Reaktionsprozesse erarbeitet.
Auf dem Gebiet der Chromatographie gelang es, Fortschritte bei der Verwendung von mehreren miteinander verschalteten und periodisch angeströmten Trennsäulen zu erzielen. Das eingesetzte und in Magdeburg weiterentwickelte Grundprinzip der sogenannten „Simulated Moving Bed” (SMB)-Chromatographie zeigt Abbildung 1 [3].
Der SMB-Prozess simuliert durch ein periodisches Weiterschalten von Zu- und Abläufen einen praktisch nicht realisierbaren Gegenstrom zwischen in den chromatographischen Trennsäulen vorliegenden und die Selektivität bereitstellenden Partikeln und den mobilen, das zu trennende Gemisch enthaltenden Flüssigphasen. Unter optimalen Bedingungen können durch diese Schaltung hohe Produktivitäten erzielt werden. Das Konzept ist aufgrund des Vorliegens von zwei Ausläufen besonders attraktiv für die Trennung von sogenannten Enantiomeren, d. h. zueinander spiegelbildlich aufgebauten Molekülen. Die Lösung derartiger anspruchsvoller Trennaufgaben ist bei der Herstellung von Medikamenten von zentraler Bedeutung [4]. Eine erfolgreiche Demonstration der entwickelten Konzepte zur Realisierung kontinuierlicher chromatographischer Trennungen gelang gemeinsam mit der Firma AstraZeneca im in Magdeburg koordinierten und durch die EU im 7. Rahmenprogramm geförderten Projekt „INTENANT” [4]. Die Enantiomeren des gegen Prostatakrebs wirksamen Moleküls Bicalutamid konnten mit einer speziellen Säulenschaltung über einen längeren Zeitraum erfolgreich kontinuierlich aufgetrennt werden [5].
Die direkte Kopplung einer in einem Rohrreaktor kontinuierlich ablaufenden chemischen Reaktion mit der anschließenden Produktabtrennung durch SMB-Chromatographie konnte im Rahmen einer Kooperation mit dem MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm (Abteilung „Biomolekulare Systeme”, Peter Seeberger) erfolgreich demonstriert werden. Betrachtet wurde als Modellreaktion die Reaktion von 2,4-Difluornitrobenzen (DFNB) und Morpholin (MOR). Aus Mischungen der drei entstehenden Produkte A, B und C konnte das Zielprodukt A mittels einer optimierten Säulenschaltung in hoher Reinheit kontinuierlich abgetrennt werden (Abb. 2) [6]. Durch Vermessung und mathematische Beschreibung der Geschwindigkeiten der ablaufenden Reaktionen sowie der Verteilungen der Komponenten in den chromatographischen Säulen konnte ein mathematisches Prozessmodell parametrisiert und erfolgreich für Optimierungsaufgaben eingesetzt werden [7].
Kristallisationsbasierte Trennverfahren sind ökonomisch attraktiver als die mehrere Hochdruckpumpen und relativ teure Partikel erfordernden chromatographischen Verfahren. Sie sind jedoch schwierig auf kontinuierliche Art zu realisieren. Eine in Magdeburg intensiv untersuchte Möglichkeit zur kontinuierlichen selektiven Kristallisation illustriert Abbildung 3.
Um hohe Triebkräfte in der flüssigen Phase, d. h. hohe Kristallwachstumsgeschwindigkeiten, aufrecht zu erhalten, wurden zwei Kristallisatoren (Tank A und Tank B) miteinander gekoppelt. Werden die zulaufenden Lösungen gering übersättigt, können in jedem der beiden Tanks nach Zugabe von reinen Impfkristallen selektiv nur die entsprechenden Zielkomponenten auskristallisiert werden. Das vorgeschlagene Prinzip wurde zunächst umfassend mathematisch analysiert und bewertet [8]. Vor kurzem gelang die erste erfolgreiche experimentelle Demonstration einer kontinuierlichen Enantiomerentrennung am Beispiel der in Wasser gelösten Aminosäure DL-Threonin.
Das bisher umfassendste Beispiel zur Demonstration des Potenzials kontinuierlicher Prozesse zur Gewinnung von hochwertigen Feinchemikalien konnte kürzlich vorgelegt werden. Erneut in Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Peter Seeberger gelang der Nachweis, dass mittels einer Kopplung aus drei Reaktionseinheiten und einer aus mehreren Stufen bestehenden Trenneinheit auf effiziente Weise und in hoher Reinheit Artesunat gewonnen werden kann, welches zur Bereitstellung von Medikamenten für die Malariabehandlung benötigt wird [9]. Ausgangsstoff für die Reaktion ist Dihydroartemisininsäure [2], welche als preiswertes Abfallprodukt bei der Extraktion von Artemisinin [10] aus den Blättern der Pflanze „Artemisia Annua” anfällt.
Abbildung 4 zeigt die Auftrennung des nach der dritten Reaktionsstufe anfallenden Gemischs durch eine Reihenschaltung aus Filtration, Mehrsäulenchromatographie und Kristallisation. Eine Hauptschwierigkeit bei der Entwicklung des Trennverfahrens war dabei die Identifikation und optimale Dosierung der unterschiedlichen, als mobile Phasen eingesetzten Lösungsmittel.
Die kurz vorgestellten Ergebnisse demonstrieren das Potenzial, kontinuierlich durchführbare Reaktionsprozesse direkt mit effizienten Trennprozessen zu koppeln. Die am MPI in Magdeburg durchgeführten Arbeiten haben Auswahl-, Auslegungs- und Optimierungsmethoden bereitgestellt, die zur weiteren Entwicklung und Verbreitung von verbesserten kontinuierlichen Verfahren zur Herstellung von Feinchemikalien beitragen.