Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Attosekundenphysik: Bewegung im Inneren der Atome

Autoren
Drescher, Markus; Goulielmakis, Eleftherios; Uiberacker, Matthias; Krausz, Ferenc
Abteilungen
Attosekunden- und Hochfeldphysik (Prof. Dr. Ferenc Krausz)
MPI für Quantenoptik, Garching
Zusammenfassung
Mit modernsten Mikroskopen können Forscher einzelne Atome in ihrem Ruhezustand beobachten. Bewegen sich jedoch die Atome, braucht man sehr kurze Lichtpulse, um die Bewegung aus einer Serie von Schnappschüssen rekonstruieren zu können. Reicht zur scharfen Abbildung eines fliegenden Tennisballes eine Belichtungszeit von weniger als eine tausendstel Sekunde, so muss man die Lichtpulse billionenfach, auf wenige Femtosekunden verkürzen, um die schnellsten atomaren Bewegungen in Molekülen festhalten zu können. Innerhalb der Elektronenhülle angeregter Atome sausen Elektronen noch tausendmal schneller. Sie wechseln aus einem Energiezustand in einen anderen typischerweise in der Zeit von 10 bis 1000 Attosekunden. Dabei fliegen Atome, die ursprünglich in einem Molekül gebunden waren, auseinander oder senden ultraviolette bzw. Röntgenstrahlung aus. Diese Vorgänge sind von grundlegender Bedeutung für die Kontrolle chemischer Reaktionen und Synthese neuer Materialien. Sie könnten sogar für die Konstruktion eines handlichen Röntgenlasers eingesetzt werden.

Im Atominneren beträgt die typische Dauer elektronischer Übergänge 100 Attosekunden, eine unvorstellbar kurze Zeit. Sie verhält sich zu einer Sekunde (Herzschlag), wie eine Minute zum Alter des Universums (20 Milliarden Jahre). Dies veranschaulicht die beigefügte Zeitskala (Abb. 1). Darin entspricht eine Stufe einer tausendfachen Zeitdehnung (nach oben) oder -verkürzung (nach unten). Die Messung derart kurzlebiger Vorgänge erfordert vollkommen neue Werkzeuge und Messverfahren. Die Entwicklung dieser Werkzeuge und Verfahren sowie deren Einsatz zur Kontrolle und Beobachtung von Vorgängen in der Atomhülle bildet einen der Forschungsschwerpunkte in der neuen Abteilung von Attosekundenphysik.

Wer Elektronen in ihrer natürlichen Umgebung beobachten will, muß sich sputen: Während einer einzigen Schwingung des elektromagnetischen Feldes von sichtbarem Licht hat das Elektron des Wasserstoffatoms den Kern bereits 100-mal umrundet. Eine räumlich aufgelöste Zeitlupenaufnahme solcher Elektronenbewegung wäre sicher phantastisch, widerspricht aber den Prinzipien der Quantenmechanik. Erlaubt ist es dagegen, den momentanen Energiezustand der Elektronen mithilfe der Elektronenspektroskopie mit hoher zeitlicher Präzision zu verfolgen. Durch Anregung mit Licht bei die Bindungsenergie Ebind überschreitenden Photonenenergien hν wird dabei ein Elektron aus der Atomhülle gelöst und seine kinetische Energie Ekin = hν - Ebind nachgewiesen. Die Elektronenhülle der anderen Elemente des Periodensystems ist wesentlich umfangreicher als beim Wasserstoff; wird ein Elektron aus einer inneren Schale der Atomhülle entfernt, stellt sich durch Wechselwirkung der verbleibenden Elektronen ein neuer Gleichgewichtszustand ein. Zwar dauert der komplexe Energieaustausch zwischen den Elektronen in der Regel mehrere klasssische Umlaufperioden um den Atomkern, aber dennoch wird der neue ionische Zustand bereits innerhalb von einigen hundert Attosekunden (1 as = 10-18 s) bis wenigen Femtosekunden ( 1 fs = 10-15 s) erreicht. Ein zeitliches
Verfolgen von Änderungen der elektronischen Struktur als Folge einer Photoanregung erfordert neben einer hohen Anregungsenergie also auch eine Methode für extrem schnelle stroboskopische Momentaufnahmen der Elektronen-Energieverteilung. Derart schnelle elektronische Detektoren sind bislang nicht verfügbar und Schmierbild- (Streak-) Kameras erreichen bestenfalls eine Auflösung von einigen 100 fs.

Höchste zeitliche Auflösung verspricht die Anrege-Abfrage (pump-probe)-Technik, bei der ein Pump-Lichtpuls das zu untersuchende System anregt, dessen Zustand sich dann für eine definierte Zeit dynamisch entwickelt, bis er mit einem zeitlich versetzten probe-Puls abgefragt wird. Diese Methode in Verbindung mit dem enormen Fortschritt in der Entwicklung von Femtosekunden-Laserquellen in den letzten Jahren - Laserpulse bis ca. 5 fs Dauer sind inzwischen realisierbar - kam insbesondere der Laserchemie (auch "Femtochemie" genannt) zugute. Hier laufen die typischen, durch die Kopplung von Elektronen- und Kernbewegung bestimmten molekularen Photoreaktionen wie Schwingungsanregung und Dissoziation auf einer Femto- bis Pikosekundenskala ab. Die Zeitauflösung dieses Verfahrens war bislang aber durch die Pulsdauer, d.h. das zeitliche Profil der beteiligten (Laser-) Lichtpulse begrenzt. Das Übertragen der Anrege-Abfrage-Technik auf die zeitaufgelöste Messung von Abläufen innerhalb der Elektronenhülle von Atomen erfordert sub-fs-Pulse ionisierender Strahlung im extrem-ultravioletten (EUV) oder Röntgen-Spektralbereich. Derartig kurze Pulse bei derart kurzen Wellenlängen (bzw. hohen Photonenenergien) werden weder direkt von Lasersystemen noch von lasergetriebenen Plasmen, Synchrotron- oder anderen konventionellen Strahlungsquellen geliefert. Unserer Gruppe gelang vor zwei Jahren erstmals, lasergenerierte EUV bzw. (weiche) Röntgen-Pulse mit sub-Femtosekunden-Dauer zu erzeugen und experimentell nachzuweisen.

Schon seit geraumer Zeit wurden Hohe Harmonische von Femtosekunden-Laserstrahlung als Kandidaten für sub-Femtosekunden Lichtpulse angesehen. Bei dieser Technik werden im Fokus eines Laserstrahls in einem Gasmedium - in der Regel wird ein Edelgas verwendet - bei Feldstärken in der Größenordnung des Coulomb-Feldes, das ein Leuchtelektron im Atom verspürt, ungeradzahlige Vielfache hνEUV = n·hνL der Laserfrequenz νL erzeugt. Die hohen Ordnungen n dieser Obertöne des Lichts (n > 300 werden erreicht) entsprechen Wellenlängen im EUV und weichen Röntgenbereich. Die zunächst eingesetzten fundamentalen Laserpulse mit einer Dauer von einigen 10 fs ergaben sich über viele Laserperioden erstreckende Pulszüge mit einer Attosekunden-Substruktur. Diverse Schemata zur Selektion eines einzelnen Teilpulses wurden vorgeschlagen. Der Durchbruch zur Erzeugung isolierter Attosekundenpulse gelang schließlich durch die Verkürzung der generierenden Laserpulse auf wenige (

Ein einfaches, aber erstaunlich leistungsfähiges semiklassisches Modell beschreibt die Erzeugung hoher Harmonischer als Resultat eines 3-Stufenprozesses: Zunächst wird ein relativ schwach gebundenes (Valenz-) Elektron eines Atoms (in unserem Fall das Edelgas Neon) durch Tunnelionisation im Laserfeld freigesetzt. Darauf folgt die Beschleunigung des Elektrons im elektrischen Wechselfeld und Rückkehr zum Mutter-Ion bei geeigneten Startbedingungen. Der letzte Schritt ist die Rekombination in den Grundzustand unter Aussendung hochenergetischer Strahlung. Im Allgemeinen erfolgt dieser Prozess periodisch; entsprechend findet man im Strahlungsspektrum ungerade Harmonische der Laserfrequenz bis zu einem Maximalwert, der durch die maximale im Laserfeld aufgenommene Elektronenenergie bestimmt ist. Zu diesen cut-off Harmonischen tragen nur die höchsten Feldstärken im Laserpuls bei. Für hinreichend kurze Pulsdauer und eine sorgfältige spektrale Filterung höchster Harmonischer sollte daher nur in einem kleinen zeitlichen Bereich um die stärkste Feldamplitude Strahlung in Form eines isolierten Attosekunden-Blitzes abgegeben werden (Abb. 2).

Grundlage der Strahlungserzeugung ist daher ein Lasersystem, welches intensive, aus nur etwa 2 Schwingungsperioden (ca. 5 fs) bestehende Lichtwellenpakete zu liefern imstande ist. Im Fokus des Lasers in einem mit Neon gefüllten Röhrchen (Abb. 3) führen Spitzenintensitäten von einigen 1014 W/cm2 (zum Vergleich Sonnenoberfläche: ca. 105 W/cm2) zur Erzeugung hoher Harmonischer bis zu Photonenergien von über 100 eV. Laser- und EUV- Strahl werden für die zeitauflösende Elektronenspektroskopie in einem zweiten Gasmedium erneut zur Wechselwirkung gebracht. Dem dient ein Doppelspiegel aus zwei konzentrischen Reflektoren: Der innere sphärische Röntgen-Multilayerspiegel filtert ein mehrere Elektronenvolt breites Band Hoher Harmonischer im Bereich von 90-100 eV aus dem EUV- Spektrum, während der äußere ringförmige Spiegel gleicher Brennweite den Laserstrahl refokussiert, sodass beide Strahlen im zweiten Medium räumlich überlappt sind. Der zeitliche Überlapp ist mit Hilfe einer piezokeramischen Translation des inneren Spiegels mit einer Präzision und Reproduzierbarkeit im Attosekundenbereich variierbar, sodass pump-probe-Experimente in diesem Zeitbereich möglich werden.

Bevor es dazu kommen konnte, musste eine weitere Bedingung zur perfekten Reproduktion des (theoretisch vorhergesagten) Attosekunden-EUV-Pulse (mit derselben Form und demselben Timing gegenüber dem generierenden Laserpuls) von Laserpuls zu Laserpuls erfüllt werden, nämlich die präzise Kontrolle des zeitlichen Verlaufs des elektrischen Feldes im Laserpuls. Dies ist erforderlich, da nur ein kosinusförmiger Verlauf, in dem die Maxima von Trägerwelle und Einhüllender, wie in Abbildung 2, zusammenfallen, erlaubt theoretischen Vorhersagen zufolge die Erzeugung eines einzelnen Attosekundenpulses pro Laserpuls. Dieser Schritt, die Erzeugung von ultrakurzen Laserpulsen mit kontrollierter Wellenform ist uns, in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Herrn Prof. Theodor Hänsch, in 2003 gelungen und hat den Weg zur reproduzierbaren Erzeugung und Messung von isoliertern Attosekundenpulsen eröffnet.

Bei der Messung haben wir auf ein altbekanntes Konzept, auf das sog. Schmierbildverfahren, zurückgegriffen. Bis vor kurzem wurde dieses Verfahren ausschließlich zur Messung der Dauer kurzer Lichtblitze verwendet. Der Lichtblitz schlägt während seiner Dauer Elektronen aus einer Metallplatte heraus, die anschließend mit einem statischen elektrischen Feld zu einem fluoreszierenden Schirm beschleunigt werden (Abb. 4). Bevor sie am Schirm einschlagen, werden sie seitlich mit einem anderen Feld, dessen Stärke mit der Zeit linear zunimmt, abgelenkt. Die zeitveränderliche Ablenkung "verschmiert" den Auftreffpunkt der Elektronen am Schirm. Die räumliche Breite dieses "Schmierbildes" (Δx) ist direkt proportional zur zeitlichen Länge der Elektronenemission, d.h. zur Dauer des Lichtblitzes (Δt). Je schneller sich das ablenkende Feld ändert, um so kürzere Blitze kann man erfassen. Modernste Schmierbildkameras (streak camera) erreichen eine Auflösung im Bereich von einigen 100 Femtosekunden.

Die Innovation beim neuen Verfahren besteht darin, dass die Ablenkung der Elektronen durch ein - millionenfach schneller variierendes - Lichtfeld erfolgt, das seine Wirkung - in Ort und Zeit - unmittelbar bei der Freisetzung der Elektronen entfaltet. Zur Realisierung wird der Attosekunden-EUV/Röntgenblitz bei der Bestrahlung der Atome von einem intensiven, aus wenigen Schwingungen bestehenden Laserlichtpuls begleitet. In der Abbildung "lichtfeldkontrollierte Schmierbildkamera" repräsentieren die rote und die blaue Kurve den zeitlichen Verlauf des elektrischen Feldes des Laserlichts bzw. der Intensität des Attosekunden-Röntgenblitzes. Letzterer regt die Atome an, diese stoßen daraufhin Elektronen aus. Die entlang der Richtung des elektrischen Feldes des zeitgleich eingestrahlten Laserlichtpulses herausgeschlagenen Elektronen werden detektiert. Sie erfahren - je nach ihrem Emissionszeitpunkt innerhalb der halben Schwingungsperiode des Laserlichts - eine Änderung ihrer Geschwindigkeit: In dem dargestellten Fall werden die zuerst emittierten Elektronen beschleunigt während die am Ende des Röntgenblitzes losgelösten abgebremst werden.

Auf diese Weise werden die hintereinander emittierten Elektronen wieder getrennt detektiert, allerdings diesmal nicht räumlich auf einem Schirm, sondern nebeneinander auf der Energieskala. Die Breite ΔE und Form der gemessenen Energieverteilung der Elektronen spiegelt die Dauer und den Zeitverlauf der Elekronenemission wieder, genauso wie deren räumliche Verteilung im herkömmlichen Schmierbildverfahren. Allerdings erfolgt in diesem Fall die "Ablenkung" innerhalb von einer halben Lichtperiode, die den Weg zu Messungen im Attosekundenbereich eröffnet.

Der Emissionsverlauf der vom Röntgenblitz unmittelbar ausgeschlagenen Elektronen, der sog. Photoelektronen, spiegelt den Verlauf des anregenden Röntgenblitzes wieder, während der Verlauf der Emission von sog. Sekundär- oder Auger-Elektronen eine direkte Auskunft über die auf die blitzartige Anregung folgenden Relaxationsprozesse in der Elektronenhülle gibt. Durch die Messung der Emissionszeit der Photoelektronen mit dem neuen Schmierbildverfahren konnten wir eine Röntgenpulsdauer von 250 Attosekunden ermitteln. Das sind die bis dato berichteten kürzesten Pulse und zugleich die kürzeste gemessene Zeitspanne. Durch die Anwendung des Verfahrens auf Sekundärelektronen erlaubt das neue Messgerät die direkte Messung des zeitlichen Verlaufs von Vorgängen innerhalb der Elektronenhülle von Atomen mit einer Auflösung von ca. 100 Attosekunden.

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